Angesichts der aktuellen Diskussion um Tankstellenpreise plant Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck eine Verschärfung des Wettbewerbsrechts. Eine Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen soll noch auf dieses Jahr vorgezogen werden. Ziel ist es, die Befugnisse des Kartellamts zu erweitern. Unter anderem sollen die Hürden für eine kartellrechtliche Gewinnabschöpfung gesenkt werden. Das Kartellamt soll zudem missbrauchsunabhängige Eingriffsbefugnisse erhalten. Eine solche Verschärfung des Wettbewerbsrechts kann zwar nicht kurzfristig in der aktuellen Situation wirken, aber dem Staat die nötige Stärke geben, zukünftig besser einzugreifen.
Konkret soll die Novelle des Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) vorgezogen werden, unter anderem mit folgenden Maßnahmen:
- Missbrauchsunabhängige Entflechtung ermöglichen, um Wettbewerb auf verfestigen Märkten zu schaffen
- Hürden für Kartellrechtliche Gewinnabschöpfung senken und so Schlagkraft der Kartelldurchsetzung erhöhen
- Sektoruntersuchungen schlagkräftiger ausgestalten
1. Missbrauchsunabhängige Entflechtung ermöglichen, um Wettbewerb auf verfestigen Märkten zu schaffen
Nach jetziger Rechtslage sind strukturelle Eingriffe in Märkte nur bei einem Kartellrechtsverstoß oder im Rahmen von Fusionskontrollentscheidungen möglich. Es existieren jedoch immer wieder stark verfestigte Märkte mit wenigen Anbietern im Markt und Wettbewerbsproblemen, auf denen aber weder Kartellrechtsverstöße noch wettbewerbsrechtswidrige Zusammenschlüsse zu beobachten oder nachweisbar sind. Hier kann ein Aufbrechen der Marktstrukturen mithilfe eines missbrauchsunabhängigen Entflechtungsinstruments Abhilfe schaffen.
So ist es derzeit im Kraftstoffmarkt nach aktueller Einschätzung auch des Bundeskartellamts kaum möglich, einen Kartellrechtsverstoß nachzuweisen. Es gibt ein Parallelverhalten bei den Preisen im Markt. Das bedeutet, die Unternehmen kennen die Preise ihrer Wettbewerber an den Tankstellen, weil der Markt sehr transparent ist. Das heißt, auch ohne eine kartellrechtswidrige Absprache werden die Preise sehr schnell einander angeglichen; ein Missbrauch des Wettbewerbsrecht ist schwer nachweisbar.
Dabei ist der Markt in Deutschland von sogenannten Oligopolen geprägt: Relativ wenige Mineralölkonzerne sind am Markt aktiv. Von - der Ölförderung über Transport und Raffinerie bis hin zur Tankstelle - die komplette Martkmacht liegt in der Hand weniger.
Deshalb soll mit der GWB-Novelle im Kartellrecht eine Entflechtungsmöglichkeit geschaffen werden, die unabhängig von einem nachgewiesenen Verstoß gegen das Kartellrecht anwendbar ist. Eine solche missbrauchsunabhängige Entflechtungsmöglichkeit muss an klar definierte Bedingungen geknüpft sein und kann nur als ultima ratio eingesetzt werden. Sie bietet aber die Chance, verfestigte Märkte aufzubrechen und so für mehr Wettbewerb zum Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher zu sorgen.
Eine missbrauchsunabhängige Entflechtung hilft zwar kurzfristig nicht für den Tankrabatt, verbessert aber für die Zukunft die Handlungsoptionen des Bundeskartellamts erheblich. Gerade dort, wo es nur wenige Anbieter im Markt (oligopolistische Märkte) mit hohen Gewinnmargen gibt, Märkte sich zum Nachteil der Endkunden verfestigen und hohe Preise oder schlechte Qualität die Folgen sind, kann die missbrauchsunabhängige Entflechtungsmöglichkeit sinnvoll Abhilfe schaffen. Der wesentliche Vorteil des Instruments besteht in der Reduktion oligopolitischer Strukturen und der damit verbundenen negativen Effekte aufgrund mangelnden Wettbewerbs. Das Instrument kann dabei auch schon präventiv wirken dort, wo Marktmacht missbraucht werden kann, der Missbrauch aber schwer nachweisbar ist. Somit kann das Instrument auf zahlreichen Märkten – nicht nur im Kraftstoffbereich – das Marktergebnis für die Verbraucherinnen und Verbraucher deutlich verbessern.
2. Hürden für Kartellrechtliche Gewinnabschöpfung senken und so Schlagkraft der Kartelldurchsetzung erhöhen
Neben der Verankerung von missbrauchsunabhängigen Eingriffsbefugnissen sollen auch die Voraussetzungen der sogenannten kartellrechtliche Vorteilsabschöpfung (§ 34 GWB) überarbeitet werden.
Bereits nach aktueller Rechtslage gibt es das Instrument der kartellrechtlichen Vorteilsabschöpfung. Es handelt sich hierbei nicht um ein steuerrechtliches Instrument, sondern um ein Instrument des Kartellrechts. Es ermöglicht den Kartellbehörden, Unternehmen Vorteile zu entziehen, die sie aus wettbewerbswidrigem Verhalten erlangt haben. Zweck der Vorteilsabschöpfung ist vor allem die Verhütung von Kartellrechtsverstößen. Die abgeschöpften Beträge fließen der Staatskasse zu.
Das Bundeskartellamt hat die Möglichkeit der Vorteilsabschöpfung bislang noch nie genutzt, da hier die Hürden nach aktueller Rechtslage besonders hoch sind. Die Vorteilsabschöpfung verlangt komplexe Analysen und Berechnungen zur Bestimmung der Höhe des abzuschöpfenden Gewinns und zusätzlich den Nachweis, dass ein Unternehmen vorsätzlich oder fahrlässig gegen das Kartellrecht oder eine Verfügung der Kartellbehörde verstoßen und dadurch einen wirtschaftlichen Vorteil erlangt hat. Folglich muss das Bundeskartellamt zunächst nachweisen, dass sich Unternehmen untereinander abgestimmt haben oder (ggf. kollektiv) marktbeherrschend sind und diese marktbeherrschende Stellung missbrauchen. Eine solche marktbeherrschende Stellung sowie ein kartellrechtswidriges Verhalten konnte auf den Kraftstoffmärkten bislang nicht festgestellt werden. Zudem stellt der Nachweis des Verschuldens („vorsätzlich oder fahrlässig“) insbesondere bei komplexen Preishöhenmissbrauchsverfahren eine hohe Hürde dar.
Diese Hürden sollen mit den Änderungen des Wettbewerbsrechts gesenkt werden.
Auch hier wirkt eine Novelle nicht kurzfristig. Eine Erleichterung der kartellrechtlichen Vorteilsabschöpfung erhöht jedoch für die Zukunft die Schlagkraft der Kartellrechtsdurchsetzung und sendet bereits jetzt ein Signal an die Märkte, dass das Kartellamt künftig stärker durchgreifen kann.
3. Sektoruntersuchungen schlagkräftiger ausgestalten
Bereits heute kann das Bundeskartellamt einzelne Wirtschaftszweige mit einer Sektoruntersuchung (§ 32e GWB) untersuchen. Allerdings ist die Verzahnung mit daraus folgenden, ggf. auch strukturellen, Maßnahmen auf den Märkten verbesserungswürdig. Hierzu werden Reformoptionen geprüft, wie in Zukunft das Bundeskartellamt unmittelbar aus einer Sektoruntersuchung Maßnahmen ableiten kann, wie etwa auch missbrauchsunabhängige Maßnahmen auf der Grundlage des neuen Entflechtungsinstruments.