1. Einleitung
  2. Gaspreise als existentielles Risiko
  3. Zielsetzungen aus Sicht der Kommission
  4. Gas- und Wärmepreisbremse für Haushalte und alle anderen Verbraucher (außer RLM-gemessene Industrie und Gaskraftwerke)
  5. Gaspreisbremse für industrielle Verbraucher (RLM-Kunden)
  6. Gassparkampagne und Gassparmaßnahmen
  7. Die weitere Arbeit der Kommission
  8. Anhang

Einleitung

Der Wegfall der Lieferungen von russischem Erdgas hat umfangreiche Auswirkungen auf die deutsche und europäische Bevölkerung und Wirtschaft. Die dramatisch gestiegenen Preise für Erdgas drohen in erheblichem Ausmaß die finanzielle Leistungsfähigkeit privater Haushalte und Unternehmen zu überfordern. Gleichzeitig ist die Versorgungssicherheit gefährdet, sodass massiv Erdgas eingespart werden muss – durch private Haushalte ebenso wie durch Industrie und Gewerbe.

Die Bewältigung dieser Herausforderung ist maßgeblich für den sozialen Zusammenhalt in unserem Land, für die Stabilität unserer Volkswirtschaft und die Bekämpfung der Inflation.

Die Bundesregierung hat aus diesem Grund am 23.09.2022 die ExpertInnen-Kommission Gas und Wärme eingesetzt und diese gebeten, Vorschläge zur Bewältigung der durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine ausgelöste Gaspreiskrise zu erarbeiten. Die Kommission wurde gebeten, zentrale Elemente einer deutschen Gaspreisbremse bereits zum 10.10.2022 vorzulegen. Diesem Wunsch kommt die Kommission mit der Vorlage dieses Zwischenberichtes nach.

Gaspreise als existentielles Risiko

Im Jahr 2021 wurden in Deutschland rund 1.000 Terawattstunden Erdgas verbraucht, davon 40 Prozent durch die privaten Haushalte und kleineren Gewerbekunden und 60 Prozent durch die Gasverstromung und die großen Industriekunden. Die Großhandelspreise bewegen sich auf einem historisch hohen Niveau und sind ein zentraler Grund für die steigende Inflation. Eine Kilowattstunde Gas kostet im Mittel derzeit 28,3 ct für Neukunden.1 Vor einem Jahr um diese Zeit lag der Preis für Neukunden bei 6,8 ct pro Kilowattstunde. Private Verbraucher und Unternehmen müssen weiter mit deutlich steigenden Gas- und Fernwärmepreisen rechnen.

Der Preisanstieg besitzt erhebliche soziale Sprengkraft. Bis weit in die gesellschaftliche Mitte droht eine Preisentwicklung, die diese Haushalte an den Rand ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit bringt oder diese finanziell überfordern kann.

Gleiches gilt für Industrie, Gewerbe, Handel und Dienstleistungen, wie z. B. Unternehmen sowie soziale, kulturelle, wissenschaftliche und sonstige Einrichtungen. Der Gas- und Fernwärmepreisanstieg sowie der gleichzeitige Strompreisanstieg erzeugen hier einen enormen Kostendruck, mit zum Teil drastischen Folgen. Wir sehen bereits Geschäftsaufgaben in der gewerblichen Wirtschaft und Produktionsrückgänge in der Industrie. Da, wo Unternehmen in einem internationalen Wettbewerb stehen, drohen sie, ihre Wettbewerbsfähigkeit einzubüßen. Dies gilt insbesondere für die energieintensive Industrie.

Die Gasversorgungslage in Deutschland ist angespannt, aber stabil. Die Befüllung der Gasspeicher ist gut vorangekommen. Die Versorgungssicherheit in Deutschland ist derzeit weiter gewährleistet. Der kommende Winter stellt für unser Land gleichwohl eine enorme Herausforderung dar. Trotz voller Gasspeicher wird die Versorgung mit Erdgas Deutschland keinen Gasverbrauch mehr auf Vorjahresniveau ermöglichen, weil die eingespeicherte Gasmenge nicht ausreichen wird, um ohne weitere Einsparungen den Bedarf im Winter 2022/2023 zu decken. Die Bundesnetzagentur hat im Juni 2022 die Alarmstufe des Notfallplans Gas ausgerufen und geht davon aus, dass mindestens 20 Prozent Einsparungen beim Gasverbrauch nötig sind, um einer Gasmangellage im kommenden Winter vorzubeugen. Eine Verschlechterung der Versorgungslage ist je nach Verlauf des Winters und weiterer Einflussfaktoren nicht auszuschließen. Sparanstrengungen sind daher zu intensivieren.

Zielsetzungen aus Sicht der Kommission

Die Gaspreiskrise stellt die Politik vor große und komplexe Herausforderungen. Sie verschärft die gegenwärtige Krisenbelastung, fordert die Bewältigungskapazität der Politik heraus und macht die Bedeutung gestärkter Krisenresilienz offensichtlich. Die Kommission hat sich bei ihren Vorschlägen in diesem Zwischenbericht von folgenden Zielsetzungen und Grundüberlegungen leiten lassen:

Schnelle Entlastungswirkung

Die Kommission hält es für erforderlich, dass finanzielle Entlastungen die Betroffenen so schnell wie möglich erreichen, spätestens bis zum Jahreswechsel. Dies bedingt, dass die zu ergreifenden Maßnahmen schnell implementiert werden müssen. Die notwendige Schnelligkeit hat zur Folge, dass Ausdifferenzierungen und die Zielgenauigkeit der Maßnahmen kurzfristig nicht immer in dem Maße gegeben sind, wie es wünschenswert und idealerweise notwendig wäre. Die Kommission macht darum Vorschläge, wie die schnellen Maßnahmen im Zeitverlauf in ausdifferenzierte Maßnahmen überführt werden können.

Wirksamer Schutz vor finanzieller Überforderung

Für die Kommission ist es von zentraler Bedeutung, dass das Ziel erreicht wird, diejenigen vor einer finanziellen Überforderung zu schützen, die davon am stärksten bedroht werden, und den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu fördern. Dies kann nicht immer im Rahmen nur eines Instrumentes gewährleistet werden. Darum schlägt die Kommission vor, bestimmte Instrumente durch geeignete Maßnahmen zu flankieren, z.B. durch Härtefallregelungen. Die Fähigkeit des Staates ist zu verbessern, zielgerichtete Unterstützungen zu leisten.

Klare Einsparanreize

Zentrales Ziel ist es, eine Gasmangellange oder einen weiteren Anstieg der Großhandelspreise in Deutschland und Europa zu vermeiden. Diese hätte erhebliche soziale und wirtschaftliche Verwerfungen zur Folge. Es ist daher zwingend notwendig, dass wir in Deutschland im kommenden Winter einen gemeinsamen Kraftakt unternehmen, in erheblichem Umfang Gas einzusparen. Die Kommission hält es für erforderlich, dass wir mindestens 20 Prozent Gas einsparen. Darüberhinausgehende Einsparungen helfen, einer Gasmangellage vorzubeugen und die Großhandelspreise zu senken.

Die Energiekrise über den nächsten Winter hinausdenken

Es ist unbedingt erforderlich, alles zu unternehmen, um sicher durch den kommenden Winter zu kommen. Die Gaspreiskrise wird Deutschland jedoch bis mindestens in das Jahr 2024 hinein stark fordern. Die Herausforderungen im Winter 2023/24 werden mindestens genauso groß sein wie in diesem Winter – wahrscheinlich sind sie sogar größer. Die Bundesregierung sollte darum schon heute Maßnahmen ergreifen, die auch mittelfristig bei der Bewältigung der Gaspreiskrise helfen können.

Die Transformation berücksichtigen und beschleunigen

Die Energiekrise beschleunigt den Strukturwandel in Deutschland, der im Zuge der Transformation hin zur Klimaneutralität zu erwarten ist. Viele Unternehmen stehen vor der Herausforderung, dass ihre Transformationspläne durch die extremen Preisentwicklungen wichtiger Brückentechnologien gefährdet sind. Gleichzeitig weist die Kommission darauf hin, dass vor dem Hintergrund der Gaskrise diese Transformationsprozesse beschleunigt werden sollten. Die Bundesregierung sollte die Transformationspläne maßnahmenseitig unterstützen und beschleunigen und gegebenenfalls im Rahmen von Maßnahmen bestehende Pläne unterstützen.

Stabilisierung der Volkswirtschaft und des Preisniveaus

Für die Kommission ist es von zentraler Bedeutung, dass die Maßnahmen zur Bewältigung der Gaskrise zur Stabilisierung der Lieferbeziehungen und zur Dämpfung der Inflation beitragen. Die Kommission empfiehlt daher Instrumente, die Gaskunden gezielt entlasten, um deren Existenzen zu sichern, während starke Sparanreize erhalten bleiben, um einen Zielkonflikt mit dem Gebot des Gassparens zu vermeiden.

Europa mitdenken

Ganz Europa ist von der Krise betroffen. Wir können die Krise nur gemeinsam und solidarisch bewältigen. Deutschland hat aufgrund seiner Größe und Abhängigkeit von russischem Gas eine besondere Verantwortung, sich um ein koordiniertes Vorgehen mit seinen Nachbarn zu bemühen. Die Kommission hält es deswegen für wichtig, den Effekt der Maßnahmen auf Europa mitzudenken, die vorgeschlagenen Maßnahmen in ein europäisches Maßnahmenpaket zu integrieren, eine gemeinsame Lösung für eine Senkung des Gasverbrauchs und der Gaskosten zu suchen, den Anreiz für Energiesparen und den Binnenmarkt zu erhalten sowie die europäische Versorgungssicherheit sicherzustellen.

Gas- und Wärmepreisbremse für Haushalte und alle anderen Verbraucher (außer RLM-gemessene Industrie und Gaskraftwerke)

Haushalte und KMUs sind zum Teil schon jetzt stark von der Gaspreiskrise betroffen. Im weiteren Verlauf der Heizperiode ist mit einer deutlichen Steigerung der Belastung zu rechnen, die die Belastung anderer Haushalte um ein Vielfaches übersteigt. Dies erfordert eine schnelle und erhebliche Entlastung der Gaskunden, die im Rahmen der bestehenden, technischen Möglichkeiten nicht zeitnah umsetzbar sind. Dazu erhalten die Versorger den Gegenwert der Abschlagzahlungen. Um dem zu begegnen wird ein zweistufiges Entlastungsprogramm etabliert, das über die Gasversorger abgewickelt wird.
Um eine Umsetzung beider Stufen zu ermöglichen, ist es von entscheidender Bedeutung, die Versorger in die Lage zu versetzen, die Maßnahmen schnell, rechtssicher und ohne eigene Risiken umzusetzen. Der Staat sollte die Regelungen so ausgestalten, dass rechtliche Risiken insbesondere im Bereich der beihilferechtlichen Prüfungen nicht entstehen.

Stufe 1: Einmalzahlung im Dezember 2022

Um die extremen Belastungen von Gas- und Fernwärmekunden abzufangen, die um ein Vielfaches höher sind als die Belastungen von Haushalten, die nicht mit Gas heizen, erhalten die Gaskunden bereits im Dezember 2022 eine Einmalzahlung auf Basis des Verbrauchs, welcher der Abschlagszahlung aus September 2022 zugrunde gelegt wurde. Diese Einmalzahlung dient als finanzielle Brücke bis zur regulären Einführung der Gaspreisbremse.

Um die Einmalzahlung schnell umzusetzen empfiehlt die Kommission folgendes Verfahren:

Der Staat übernimmt einmalig die jeweilige Abschlagszahlung aller Gas- Standardlastprofil-Kunden2 und Fernwärmekunden sowie aller Gaskunden mit Registrierender Leistungsmessung (RLM) außer für Industrie und Stromerzeugungskraftwerke.

Dazu erhalten die Versorger als Ausgleich die Summe der jeweiligen Abschlagszahlungen spätestens zum 1.12.2022 vom Bund erstattet. Die Übernahme der Abschlagszahlungen bei Vermietern wird entsprechend § 560 Abs. 3 BGB in der Dezemberabrechnung behandelt.

Zur schnellen Abwicklung müssen die Versorger insoweit von allen Informationspflichten, Form und Fristen etc. gegenüber ihren Kunden freigestellt werden.Erstattungen im Rahmen der Jahresabrechnung erfolgen ausschließlich an die Endkunden.

Voraussetzung für das Aussetzen der Abschlagszahlung gegenüber den Kunden ist ein fristgerechter Zahlungseingang bei den Versorgern bis zum 01.12.2022.

Bei Mietshäusern und Wohnungseigentümergemeinschaften (WEG), die zentral beheizt werden, gibt es häufig keine direkte Vertragsbeziehung zwischen Versorger und BewohnerIn, stattdessen ist jeweils der Vermieter oder Verwalter zwischengeschaltet. Der Versorger kennt in diesen Fällen lediglich den Verbrauch des Gesamtgebäudes. In diesen Fällen wird im Dezember 2022 dem Betriebskostenkonto der MieterIn die Einmalzahlung gutgeschrieben. Hierüber ist der MieterIn rechtzeitig schriftlich oder elektronisch zu informieren.

Der Verteilungsschlüssel ist analog zu dem Schlüssel, mit dem auch in der Vergangenheit die Gaskosten auf die Wohnungen verteilt wurden.

Der erhaltene Rabatt ist bei der Einkommenssteuererklärung als geldwerter Vorteil anzugeben. Dabei sollen möglichst hohe Freibeträge gelten. Eine Veranlagungspflicht entsteht alleine durch den Rabatt nicht.

Stufe 2: Gas- und Wärmepreisbremse ab März 2023

Durch einen garantierten Brutto-Preis inklusive aller staatlich induzierter Preisbestandteile3 von 12 ct/kWh für Gas für ein Kontingent der Gasverbrauchsmenge wird die Belastungsentwicklung für Gaskunden gedämpft. Für den Rest der Verbrauchsmenge oberhalb des Kontingentes gilt der vertraglich vereinbarte Arbeitspreis. Die Gas- und Wärmepreisbremse soll zum 01.03.2023 in Kraft treten und endet frühestens zum 30.04.2024. Sie erreicht den Kunden mit der Abschlagszahlung.

Das Kontingent beträgt 80 Prozent des Verbrauchs, der der Abschlagszahlung aus September 2022 zugrunde gelegt wurde. Der erhaltene Betrag muss nicht zurückgezahlt werden, selbst wenn der tatsächliche Verbrauch in der Jahresendabrechnung von der angenommenen Menge abweicht. Daher bleibt der volle Energiesparanreiz bestehen und jede eingesparte kWh reduziert den Rechnungsbetrag um den im Versorgungsvertrag vereinbarten Arbeitspreis.

Der monatliche Betrag der Gas- und Wärmepreisbremse für Kunden, die einen Arbeitspreis oberhalb des Garantiepreises haben, errechnet sich wie folgt:

Rabatt = (individueller Arbeitspreis – Garantiepreis) * Kontingent / #Abschläge

Auch Fernwärmekunden sind durch den steigenden Gaspreis betroffen, so dass auch für diese eine Wärmepreisbremse eingeführt werden soll. Dazu wird analog zum Gaspreis ein garantierter Brutto-Preis von 9,5 ct/kWh für Fernwärme für ein Kontingent von 80 Prozent eingeführt.

Der Versorger wird einer staatlichen Stelle mit einer angemessenen Frist im Voraus eine halbjährliche Abrechnung über den zu erstatteten Rabatt ausstellen. ↵ Die Bundesregierung sollte robuste Maßnahmen zur Vermeidung von Missbrauch ergreifen, insbesondere mit Blick auf Vertragsausgestaltungen, die auf eine Erhöhung des Rabatts abzielen.

Bei zentral beheizten Mietshäusern wird der Rabatt entsprechend der Vorgehensweise bei Einzelwohnungen auf das Kontingent gezahlt, das je Liefervertrag/Zähler anhand der bisherigen Abschlagszahlungen berechnet wird. Daher muss der Rabatt vom Vermieter auf die Wohnungen bzw. BewohnerInnen umgelegt werden. Der Verteilungsschlüssel ist analog zu dem Schlüssel, mit dem auch in der Vergangenheit die Gaskosten in der Betriebskostenabrechnung auf die Wohnungen verteilt wurden. Für von Wohnungseigentümergemeinschaften (WEG) bewirtschaftete Mehrfamilienhäuser wird entsprechend verfahren.

Es soll geprüft werden, wie die Voraussetzungen geschaffen werden können, dass ein haushaltsbezogenes Mindestkontingent und eine Obergrenze für das geförderte Kontingent umgesetzt werden können. Dies ist erforderlich für eine sozial ausgewogenere Ausgestaltung der Gaspreisbremse. Die so erhobenen
Daten sind auch für eine zielgenaue Preisstabilisierung und Entlastungsmaßnahmen im weiteren Verlauf der Krise von Relevanz.

Der durch die Preisbremse erhaltene Rabatt ist bei der Einkommenssteuererklärung als geldwerter Vorteil anzugeben. Dabei sollen möglichst hohe Freibeträge gelten. Eine Veranlagungspflicht entsteht alleine durch den Rabatt nicht.

Sollten auf europäischer Ebene Maßnahmen zur Dämpfung der Gasgroßhandelspreise ergriffen werden, würde sich die Wirkung der Gas- und Wärmepreisbremse automatisch anpassen. Durch europäische Eingriffe eventuell gesenkte Großhandelspreise führen zu sinkenden Arbeitspreisen und entsprechend zu einer geringeren staatlichen Subvention. Die vorgestellte Maßnahme ist somit zu europäischen Maßnahmen vollumfänglich kompatibel und erhält den Anreiz zum Gassparen aufrecht. Wir empfehlen der Bundesregierung bei der Mitwirkung für die europäischen Maßnahmen auf ein System hinzuarbeiten, welches den hier skizzierten Sparanreiz aufnimmt.

Flankierende Maßnahmen

Fähigkeit zu sozial-differenzierten Direktzahlungen des Bundes schaffen

Die ExpertInnen-Kommission sieht eine gezielte Kompensation der privaten wie unternehmerischen VerbraucherInnen außerhalb der Bepreisungssysteme durch sozial differenzierte Direktzahlungen als grundsätzlich guten Mechanismus an. Derzeit ist ein solches Vorgehen nicht möglich, da es keine entsprechende staatliche Infrastruktur gibt. Die gesetzlichen Grundlagen sollten daher so schnell wie möglich geschaffen und diese operativ umgesetzt werden. Für Privatpersonen bietet das laufende Gesetzgebungsverfahren zur Änderung der Abgabenordnung im Jahressteuergesetz 2022 die passende Gelegenheit, um zukünftig solche zielgerichteten Direktzahlungen zu ermöglichen. Hier sollten im geplanten neuen § 139b weitere Merkmale vorgesehen werden, um eine gezielte Differenzierung zwischen verschiedenen Verbrauchergruppen zu ermöglichen.

Hilfsfonds zum Schutz von MieterInnen und EigentümerInnen

Ergänzend zu dem Modell der Einmalzahlung wird für Härtefälle aufgrund von Gas- und Fernwärmepreisen für den Zeitraum 01.01.2022-28.02.2023 ein Hilfsfond eingerichtet. Dieser Sofort-Hilfsfond besteht aus zwei Elementen:

  • Zum einen aus einer zinslosen Liquiditätshilfe für die Wohnungsunternehmen, die für Ihre MieterInnen bei extremen Preissteigerungen für Gas und Fernwärme in Vorleistung gehen wollen (z.B. für MieterInnen, deren Vorauszahlungen (Abschlag) im vierten Quartal und im Jan./Feb. 2023 durch die vorgeschlagene Einmalzahlung nicht ausgeglichen werden kann und die somit überlastet werden).
  • Zum anderen aus einer Unterstützung für MieterInnen sowie EigentümerInnen, die von den besonderen Preissteigerungen schon vor diesem Zeitraum betroffen sind, und über das vorgesehene Modell nicht ausreichend entlastet werden.

Die Definition eines Härtefalls und die Durchführung des Sofort-Hilfefonds werden durch den Bund bestimmt.

Wohngeld Plus

Die Soforthilfe muss so lange aufrechterhalten werden, bis das von der Bundesregierung vorgeschlagene Wohngeld Plus tatsächlich voll administrierbar ist und die BürgerInnen tatsächlich ihre Ansprüche auch ausbezahlt bekommen.

Gleichzeitig muss die Wohngeld-Gesetzgebung, die bereits im parlamentarischen Verfahren ist, ohne Verzögerungen so abgeschlossen werden, dass ab Januar 2023 mindestens zwei Millionen Menschen zusätzlich die Heizkostenzuschüsse erhalten, die im Gesetz für die WohngeldempfängerInnen vorgesehenen sind. Die vorgeschlagenen Summen für die Heizkosten-, Klima- und CO2-Kompenten müssen im Hinblick auf die enorm steigenden Heizkosten nochmals deutlich angehoben werden. Für die Wohngeldämter bedarf es einer unverzüglichen Aufstockung des Personals, um den Antragsstau zu überwinden und die zeitnahe Auszahlung zu ermöglichen.

Hilfsfonds soziale Dienstleister

Die Gaspreisbremse führt in ihrer Mechanik dazu, dass die Energiekosten auch für die sozialen Dienstleister (Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen, Reha-Kliniken, Sozialkaufhäuser etc.) 2023 weiter spürbar über den Werten liegen, die Vergütungs- und Kostenerstattungsregelungen der Refinanzierung zugrunde gelegt wurden. Diese kostensenkenden Sparanreize könnten kurzfristig nur durch Angebotseinschränkungen erreicht werden, die gesellschaftlich als nicht vertretbar einzuschätzen sind. Die soziale Infrastruktur ist ein zentraler Bestandteil der Daseinsvorsorge und muss in der Krise abgesichert werden, um die Versorgung der vulnerablen Personengruppen sicherzustellen. Langwierige Verhandlungen und Schiedsstellenverfahren um Refinanzierungsmöglichkeiten zwischen Leistungserbringern und Kostenträgern müssen vermieden werden, um Liquiditätsengpässe, Insolvenzen und Leistungseinschränkungen wirksam zu verhindern. Der Fonds wird über die Kostenträger der Sozialversicherungen administriert.

Gaspreisbremse für industrielle Verbraucher (RLM-Kunden)

Gas ist für die Industrie der wichtigste Energieträger und ein wichtiger Rohstoff. Durch die Preisentwicklungen in der Folge des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine ist die Industrie in Europa und insbesondere in Deutschland unter massiven Kosten- und Wettbewerbsdruck geraten. Für einen beträchtlichen Teil der Unternehmen muss eine existentielle Bedrohung unterstellt werden.

Aufgrund der schwierigen Lage hat die Industrie seit Beginn der Krise bereits im erheblichen Umfang den Verbrauch von Gas reduziert, zwischen 20 und 25 Prozent über die gesamte Industrie hinweg. Die Einsparungen wurden zum Teil durch Effizienz und Prozessoptimierung, durch einen Wechsel des Energieträgers (Fuel Switch von Gas vor allem zu Öl), aber auch durch eine deutliche Reduzierung von Produktionsvolumina erreicht. Es ist zu befürchten, dass sich letzterer zu Lasten von Wachstum und Beschäftigung auch im kommenden Jahr fortsetzt. Daher ist das Anliegen der Bundesregierung, die Belastung der Industrie durch hohe Gaspreise zu dämpfen, richtig.

Gleichzeitig ist die Bedrohung von Wirtschaft und Gesellschaft durch eine konkrete Gasmangellage weiterhin hoch. In diesem Fall müsste die BNetzA über den Bundeslastverteiler Unternehmen anweisen, ihren Gasverbrauch zu reduzieren. Dies würde entsprechend negative Folgen für Deutschland und Europa haben. Selbst wenn alle angebotsausweitenden Maßnahmen ergriffen würden, werden in den kommenden Monaten weitere Anreize zur Gaseinsparung notwendig sein. Die Anreize, die ein hoher Gaspreis zum Gaseinsparen bietet, dürfen daher durch die getroffenen Maßnahmen zur Gaspreisdämpfung nicht ausgehebelt werden.

Nicht ausreichende Einsparungen führen zunächst zu einer Erhöhung des Großhandelspreises. Dadurch wird ein Teil der Wirkung der gewährten Subventionen aufgehoben.

Daraus ergibt sich ein schwieriges Spannungsverhältnis zwischen Sparanreizen auf der einen Seite und dem Erhalt der globalen Wettbewerbsfähigkeit und der Bekämpfung einer Rezession durch reduzierte Gaspreise auf der anderen Seite.

Aus diesem Grund schlägt die Kommission ein Instrument vor, das sowohl der Standortsicherung als auch der Wettbewerbsfähigkeit dient, Beschäftigungs- und Transformationsperspektiven aufzeigt und gleichzeitig effektiv einer Gasmangellage entgegenwirkt.

Es ist zwingend notwendig, dass Vorkehrungen zur Vermeidung von Missbrauch getroffen werden. Hierfür müssen einfache und schnell umsetzbare pragmatische Mechanismen entwickelt werden. Um die Wirksamkeit und Adäquatheit sicherzustellen, erfolgt zum 31.05.2023 eine Zwischenüberprüfung durch die Bundesregierung.

Die Unternehmen müssen die Teilnahme an dem Programm bei ihrem Versorger anmelden und öffentlich machen. Ein Opt-Out ist möglich.

Für die finanzielle und administrative Abwicklung der Gaspreisbremse für industrielle Verbraucher gelten die gleichen Bedingungen wie für die Gas- und Wärmepreisbremse für Haushalte und andere Verbraucher.

Das Instrument soll zum 01.01.2023 in Kraft treten und zum 30.04.2024 enden.

Adressatenkreis

Die Kommission schlägt vor, große industrielle Verbraucher (größer 1,5 Mio. kWh/a), die über eine geregelte Lastgangmessung (RLM) verfügen, mit einem eigenen Entlastungsinstrument zu adressieren. Es handelt sich in Summe um ca. 24.000-25.000 Unternehmen.
Ausgenommen hiervon sollen Gaskraftwerke, größere Wohneinheiten und ggfs. weitere, noch zu identifizierende Verbraucher sein. Gaskraftwerke sollen ausgenommen werden, da keine weiteren Anreize zur Gasverstromung gegeben werden sollen. Größere Wohnungseinheiten sind besser in dem
Modell für die SLP-Kunden adressierbar (viele kleinere Verbraucher hinter einer einzelnen Entnahmestelle).

Das Instrument

Es wird grundsätzlich ein zu entlastendes Kontingent des Gasverbrauches definiert.4 Das Kontingent bemisst sich im Regelfall an 70 Prozent des Verbrauches des Jahres 2021. Für die verbliebene Menge des Gasverbrauchs wird der volle vertraglich vereinbarte Marktpreis fällig. Dadurch wird ein starker Sparanreiz gesetzt. Eine mengenmäßige Obergrenze des zu entlastenden Gasverbrauches wird nicht definiert, da aufgrund der enormen Bandbreite der verbrauchten Mengen eine diskriminierungsfreie Definition nicht möglich ist.

Für dieses Kontingent von 70 Prozent wird ein Beschaffungspreis von 7 ct pro kWh definiert. Die geförderte Gasmenge kann das verbrauchende Unternehmen für seine Zwecke nutzen oder am Markt verwerten. Die Förderung ist an den Standorterhalt und eine Transformationsperspektive gebunden.

Die gewährte Subvention wird über den jeweiligen Gaslieferanten administriert.

Um eine Umsetzung beider Stufen zu ermöglichen, ist es von entscheidender Bedeutung, die Versorger in die Lage zu versetzen, die Maßnahmen schnell, rechtssicher und ohne eigene Risiken umzusetzen.

Der Staat sollte die Regelungen so ausgestalten, dass rechtliche Risiken insbesondere im Bereich der beihilferechtlichen Prüfungen nicht entstehen.

Ergänzende Instrumente

  • Das vorgeschlagene Instrument wird nicht jede denkbare unternehmerische Problemlage angemessen auflösen können. Daher ist ein geeigneter Instrumentensatz für die Behandlung von Härtefällen (z.B. durch Liquiditätshilfen, Bürgschaften, Zuschüsse, Kredite) notwendig.
  • Das geplante Substitutionsprodukt der BNetzA, das Investitionen zur Transformation von Gas auf Strom und grünen Wasserstoff unterstützen soll, muss um Investitionen auf einen vorübergehenden Fuel Switch auch zu anderen Energieträgern erweitert werden, da dieser in der akuten Notlage meist schneller und einfacher die erwünschte Einsparungswirkung erreichen kann.
  • Der §50g EnWG, der es Gasverbrauchern erlaubt, nicht genutzte Mengen ihres vertraglich vereinbarten Gaskontingents am Markt zu veräußern, und das so einen starken Einsparanreiz setzt, wird an die speziellen Gegebenheiten in den so genannten Bandbreitenverträgen angepasst. Damit wird ein zusätzlicher marktlicher Sparanreiz geschaffen.
  • Eine Einführung weiterer Instrumente wie zum Beispiel eines Reverse Auction Instruments soll im weiteren Verlauf der Arbeit der Kommission geprüft werden.
  • Es gibt eine relevante Anzahl von Unternehmen, die derzeit keine Versorgungsverträge erhalten. Lösungen für dieses Problem sollen im weiteren Verlauf der Kommissionsarbeit erarbeitet werden.
  • Bei Unternehmen, die direkt am Großhandelsmarkt beschaffen, wird eine wirtschaftlich äquivalente Lösung gefunden.

Gassparkampagne und Gassparmaßnahmen

Zum Auftrag der ExpertInnen-Kommission Wärme und Gas gehört es, Maßnahmen mit nachfragesenkenden Wirkungen vorzuschlagen.

Die Kommission schlägt daher monetäre und nicht-monetäre Gassparmaßnahmen in fünf Körben vor:

Korb 1: Gesetzgeberische Instrumente

Hierzu wird die Kommission in ihrem
Endbericht weitere Vorschläge machen.

Korb 2: Instrumente, die auf Verhaltensänderungen zielen / Information / geringinvestive Maßnahmen

Hierzu wird die Kommission in ihrem
Endbericht weitere Vorschläge machen.

Korb 3: Monetäre Anreize, um Gas zu sparen

Hierzu wird die Kommission in ihrem
Endbericht weitere Vorschläge machen.

Korb 4: Gas aus der Verstromung drängen, indem das Angebot anderer Energieträger ausgeweitet wird

Hierzu wird die Kommission in ihrem Endbericht Vorschläge machen.

Korb 5: Investitionen verstetigen und verstärken

Hierzu wird die Kommission in ihrem
Endbericht weitere Vorschläge machen.

Die weitere Arbeit der Kommission

Der Zeitplan für die Arbeit der ExpertInnen-Kommission war angesichts der drängenden Herausforderung kurz. Die Kommission ist sich bewusst, dass sie angesichts dessen nicht alle Aspekte umfassend prüfen konnte. Die ExpertInnen-Kommission ist sich bewusst, dass sie sich mit ihren Vorschlägen teilweise außerhalb des Rahmens des aktuellen, derzeit in Überarbeitung befindlichen Befristeten Krisenrahmens für staatliche Beihilfen zur Stützung der Wirtschaft infolge der Aggression Russlands gegen die Ukraine bewegt. Die derzeitigen beihilferechtlichen Vorgaben werden aber der Dimension der Herausforderung nicht gerecht.

Die Kommission legt mit diesem Bericht ein Zwischenergebnis ihrer Arbeit vor. Sie wird auftragsgemäß ihre Arbeit bis Ende Oktober fortsetzen. In der zweiten Phase ihrer Arbeit wird sich die Kommission mit folgenden Fragestellungen auseinandersetzen:

  • dem Umgang mit Härtefällen wegen Preissteigerungen bei nicht erdgas-basierten Wärmetechnologien
  • der Vertiefung der vorgeschlagenen Entlastungsmodelle
  • der Suche nach einer wirtschaftlich äquivalenten Lösung für Unternehmen, die direkt am Großhandelsmarkt beschaffen
  • der möglichen Konditionalisierung für Unternehmen, die an der Gaspreisbremse teilnehmen wollen
  • mit Optionen zur Angebotsausweitung und Nachfragereduzierung
  • mit notwendigen Investitionsanreizen, um die Krisenreaktion mit Komponenten für die notwendigen Transformation unserer Wirtschaft zu verbinden.
  • mit Liquiditäts- und Margining-Fragen
  • der Einbettung der vorgeschlagenen Maßnahmen in den europäischen Rahmen.

Anhang: Sondervoten

Sondervotum Isabella Weber, University of Massachusetts Amherst

„Die geförderte Gasmenge kann das verbrauchende Unternehmen für seine Zwecke nutzen oder am Markt verwerten.“

Im oben stehenden Satz wird eine Streichung der Passage „oder am Markt verwerten“ empfohlen. Sollte die Klausel als eine Umsetzung in der Form von Einmalzahlungen interpretiert werden, ergeben sich folgende Schwierigkeiten.

  1. Eine Einmalzahlung, verbunden mit sehr hohen und volatilen Gaspreisen, wirkt nicht produktionserhaltend. Stattdessen könnte eine Schließung von Unternehmen sogar befördert (sog. Winterschlaf). Dadurch könnte die Stabilität der europäischen Wirtschaftsstruktur gefährdet werden. Probleme in Lieferbeziehungen würden durch Stilllegungen angereizt. Damit könnten kritische Inputs ausfallen. Probleme in Lieferbeziehungen verstärken wiederum den Inflationsdruck.
  2. Für Unternehmen ergibt sich keine Planbarkeit über einen stabilen Preis, was das Investitionsklima eintrübt (Stichwort Transformation) und damit die Rezession weiter verschärft.
  3. Trotz Standorterhaltsklausel besteht die Gefahr der Abwanderung von Unternehmen wegen exorbitanter Produktionskosten im Inland. Bei Konkurs, der in einer Rezession für manche Unternehmen anzunehmen ist, wird die Subvention zur Konkursmasse.
  4. Es wird keine Gaspreisdämpfung erzielt. Damit fehlen auch Kostensenkung und inflationsdämpfende Wirkung.
  5. Die Inflationssteigerung riskiert eine stärkere Anhebung der EZB-Leitzinsen, was die Rezession weiter verschärfen dürfte.
  6. Sollte eine Gasmangellage auftreten, ist keine finanzielle Vorsorge gegeben, da die Unternehmen die Mittel bereits anderweitig aufgewendet haben dürften.
  7. Es entstehen komplexe Verwaltungs- und Rechenschaftsfragen, wenn Einmalzahlungen an Unternehmen über Gasversorger abgewickelt werden. Sollte diese Maßnahme trotz der schwerwiegenden Nachteile angestrebt werden, wäre es effizienter, die Ausschüttung über die KfW basierend auf vergangenen Gasrechnungen zu machen.

Sondervotum Frank Werneke, ver.di

Das vorgeschlagene Modell der Gaspreisbremse ist nicht ausreichend sozial ausbalanciert. Durch das Modell wir die Zweizimmerwohnung so behandelt wie die Villa mit Pool. Deshalb brauchen wir für ein gerechteres Modell zusätzliche soziale Haltelinien. Um Haushalte mit geringem bis durchschnittlichen Einkommen finanziell nicht zu überfordern, müsste ein MengenGrundkontingent pro Haushalt (Vorschlag: 4000 kWh) zu einem Preis aus der Zeit vor der Krise eingezogen werden. Dieses ist auch notwendig, um die Haushalte zu berücksichtigen, die bereits in der Vergangenheit in erheblich Umfang aus finanziellen Gründen den Gasverbrauch einschränken mussten. Darüber hinaus müsste für Privathaushalte eine Obergrenze (Vorschlag: 25.000 kWh) definiert werden, damit diejenigen mit hohem Einkommen und Verbrauch nicht über Bedarf gefördert werden.

Der vorliegende Bericht beinhaltet, trotz der unzureichenden sozialen Balance, konkrete Verbesserungen. Ich stimme dem Bericht deshalb zu und fordere, im folgenden politischen Prozess konkrete Verbesserungen an der Gaspreisbremse mit sozialen Haltelinien umzusetzen.

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1Vergleichsportal Verivox (Datenstand: 07.10.2022).

2Standardlastprofil (SLP)-Kunden Gas haben i.d.R. einen Jahresverbrauch von maximal 1,5 Mio. kWh und eine maximale stündliche Ausspeiseleistung von 500 Kilowattstunden pro Stunde

3Der Bruttopreis enthält die Beschaffungskosten, die Netznutzungsentgelte, die Erdgassteuer, die BEHG-Kosten, die verschiedenen Umlagen sowie die Mehrwertsteuer.

4Der Erdgas-Beschaffungspreis ergibt sich aus den Netto-Industriekundenpreisen (ohne Mehrwertsteuer), von denen die Netznutzungsentgelte (die sich im Bereich der industriellen Verbraucher sehr stark unterscheiden) sowie die für industrielle Verbraucher effektiv wirksam werdenden Steuern und Umlagen abgezogen werden.