Für das weitere Gelingen der Energiewende auf dem Weg zu einem klimaneutralen Stromsystem ist neben dem zügigen Ausbau erneuerbarer Energien und der Stromnetze ein stabiler Netzbetrieb essenziell. Die Energiewende verändert die Stromversorgung in Deutschland grundlegend. Marktteilnehmer und Netzbetreiber müssen neuen Anforderungen gerecht werden, um einen stabilen Betrieb des Stromversorgungssystems und damit auch die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Damit geht auch ein Weiterentwicklungsbedarf für Netzbetriebskonzepte, technische Spezifikationen und Regelsetzungen der Stromnetze einher.
Aufgrund des Rückgangs konventioneller Kraftwerke mit Synchrongeneratoren müssen deren Eigenschaften alternativ erbracht und Systemdienstleistungen sowie das Aufgabenspektrum der erneuerbaren Erzeugungsanlagen und weiterer Anlagen weiterentwickelt werden. Mit dem beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien , insbesondere Wind und PV, als tragende Säule der Energieversorgung und einem möglichen vorgezogenen Kohleausstieg 2030, kommt dem Anpassungsprozess eine besondere Bedeutung zu. Die erneuerbaren Energien sind im Vergleich zu konventionellen Großkraftwerken i.d.R. im Verteilnetz und über leistungselektronische Stromrichter an das Stromnetz angeschlossen. Daraus ergeben sich neue und andere Anforderungen an die erneuerbaren Erzeugungsanlagen aber auch neue Möglichkeiten, um einen sicheren und robusten Netzbetrieb zu gewährleisten. Außerdem bedarf es deutlich engerer Kooperationen zwischen Netzbetreibern (VNB/ÜNB und VNB/VNB). Insgesamt macht dieser „elektrotechnische Wandel“ (vom Synchrongenerator zur Leistungselektronik) neue Lösungen für den Netzbetrieb und zur Sicherstellung der Systemstabilität möglich und gleichzeitig erforderlich.
Aufgrund der hohen Anzahl der am Netz angeschlossenen Anlagen und der zunehmend erforderlichen Digitalisierung steigen Komplexität und Risiken des Stromversorgungssystems, auch hinsichtlich der Systemstabilität. Es bedarf deshalb der Entwicklung eines robusten und fehlertoleranten Systems auch unter den sich verändernden Rahmenbedingungen. Das Ziel ist ein sicherer und robuster Betrieb der Stromnetze mit 100% erneuerbaren Energien.
Roadmap Systemstabilität
Das BMWK entwickelt deshalb mit breiter Branchenbeteiligung und enger Einbindung der Bundesnetzagentur die „Roadmap Systemstabilität“ . Übergeordnetes Ziel der Roadmap ist es, einen Fahrplan zur Erreichung eines sicheren und robusten Systembetriebs mit 100% erneuerbaren Energien zu entwickeln. In der Roadmap soll aufgezeigt werden, welche Prozesse und Funktionalitäten hierfür benötigt werden. Dafür ist es notwendig, vom Ziel her zu denken und einen robusten Transformationspfad für den Weg dorthin aufzuzeigen.
Der Prozess ist im Oktober 2022 gestartet. Unter Leitung des BMWK sowie der Begleitung eines Beirates erfolgt die Erarbeitung durch themenspezifische Arbeitsgruppen mit aktiver Beteiligung aller relevanten Akteure (Netzbetreiber, Hersteller, Wissenschaft, Verbände). Dabei werden für die einzelnen Themenfelder die konkreten Handlungsbedarfe („Was“), Verantwortlichkeiten/ Umsetzungsprozesse („Wer“) und die Zeitschiene („Wann“) erarbeitet und festgelegt. Die konkreten Maßnahmen und Umsetzungsschritte sollen durch die Roadmap eindeutigen Prozessen (z.B. im Rahmen der Weiterentwicklung der technischen Anschlussregeln oder der Einführung marktgestützter Beschaffungen von Systemdienstleistungen) und Akteuren (z.B. Netzbetreiber, Normungsgremien, Bundesnetzagentur) zugeordnet werden.
Die Veröffentlichung der Roadmap Systemstabilität ist für Herbst 2023 vorgesehen. Nach der Veröffentlichung erfolgen die Umsetzung und das Monitoring der Maßnahmen der Roadmap.
Systemdienstleistungen
Systemdienstleistungen (SDL) dienen dazu, dass das Stromnetz immer stabil und sicher betrieben werden kann. Hierzu zählen
- Frequenzhaltung, um Ungleichgewichte zwischen Ein- und Ausspeisungen auszugleichen und die Netzfrequenz auf ihrem Sollwert von 50 Hertz zu halten,
- Spannungshaltung, um die Spannung immer innerhalb eines vorgegebenen Bereichs zu halten,
- Betriebsführung, bei der die Netzbetreiber den korrekten Netzbetrieb überwachen und ggf. steuernd eingreifen, z.B. bei Leitungsüberlastungen, und
- Versorgungswiederaufbau, um nach dem unwahrscheinlichen Fall eines großflächigen Stromausfalls die Stromversorgung schnellstmöglich wieder hochzufahren, insbesondere mithilfe sogenannter schwarzstartfähiger Kraftwerke.
Die Netzbetreiber greifen dabei auf Produkte für Systemdienstleistungen (SDL-Produkte) zurück, die entweder durch Netzbetriebsmittel der Netzbetreiber oder Netznutzer (Erzeuger, Verbraucher, Speicher) bereitgestellt werden können.
Marktgestützte Beschaffung von Systemdienstleistungen
Zukünftig sollen Systemdienstleistungen grundsätzlich transparent, diskriminierungsfrei und marktgestützt beschafft werden, sofern sie nicht durch die Netzbetreiber selbst aus Netzbetriebsmitteln erbracht werden. Die konkreten Beschaffungssysteme werden von der Bundesnetzagentur festgelegt werden. Ausnahmen wird es nur geben, wenn eine marktgestützte Beschaffung wirtschaftlich nicht effizient wäre. Hierfür hat der Bundestag am 08. Oktober 2020 ein Gesetz zur marktgestützten Beschaffung von Systemdienstleistungen beschlossen. Ziel der Regelung ist es, das Erbringen der Systemdienstleistungen durch die Einführung von transparenten und diskriminierungsfreien und marktgestützten Verfahren für alle Marktteilnehmer zu öffnen, egal ob Erzeuger, Speicher oder Verbraucher. Mit den Änderungen wird Wettbewerb angereizt. Dadurch können technische Potenziale zur Erbringung von Systemdienstleistungen gehoben werden und die Effizienz des Netzbetriebs wird verbessert.
Zur Unterstützung der Einführung marktgestützter Beschaffungssysteme und zur Entwicklung von konkreten mögliche Lösungsbeiträge für den zukünftigen Netzbetrieb hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz das Projekt SDL-Zukunft durchgeführt („Zukünftiger Bedarf und Beschaffung von Systemdienstleistungen“). Das Ministerium arbeitete im Rahmen dieses Projektes eng mit der Bundesnetzagentur zusammen und hat relevante Beteiligte wie Netzbetreiber, Branchenverbände und Wissenschaft einbezogen. In diesem Rahmen wurde auch untersucht, für welche Systemdienstleistungen eine marktgestützte Beschaffung zum damaligen Zeitpunkt nicht wirtschaftlich effizient erschien. Dazu hat das Projekt Beinen Ergebnisbericht veröffentlicht (PDF, 1.014 KB). Die Bundesnetzagentur hat am 18.12.2020 Festlegungen hierzu erlassen und folgende vier Systemdienstleistungen derzeit von einer marktgestützten Beschaffung ausgenommen:
- Trägheit der lokalen Netzstabilität (Momentanreserve)
- Inselbetriebsfähigkeit
- Kurzschlussstrom
- dynamische Blindstromstützung
Aktuell wird ein marktliches Beschaffungssystem für die Systemdienstleistungen Spannungsregelung/Blindleistung sowie erarbeitet. Für Schwarzstartfähigkeit hat die Bundesnetzagentur bereits ein marktgestütztes Beschaffungssystem per Festlegung erlassen. Im Rahmen des Projektes SDL-Zukunft wurden hierfür Vorschlag für ein Beschaffungssystem für Schwarzstartfähigkeit (PDF, 720 KB) sowie Spannungsregelung/Blindleistung erarbeitet.
Im Projekt wurde auch ein Ergebnispapier zur Mittel- und langfristigen Entwicklung des Netz- und Versorgungswiederaufbaus erstellt.
Den Endbericht des Projektes SDL-Zukunft finden Sie hier.