Wir haben die Prüfung durchgeführt und zwar bereits im März. Es wurden verschiedene Szenarien geprüft. Ergebnis ist: Eine Verlängerung der Laufzeiten könnte nur einen sehr begrenzten Beitrag zur Lösung des Problems leisten, und dies zu sehr hohen wirtschaftlichen Kosten und mit Abstrichen an den notwendigen Sicherheitsüberprüfungen – und das bei einer Hochrisikotechnologie.

Erstens: Wir haben ein Problem bei der Gas – und damit der Wärmeversorgung, nicht beim Strom. Denn die hohe Abhängigkeit von Gas aus Russland besteht vor allem im Bereich der Wärmeerzeugung und der Industrie. Atomkraftwerke aber produzieren Strom, keine Wärme. Atomkraftwerke würden daher nur zu sehr wenig Gaseinsparung führen.

Zudem können Atomkraftwerke nur kontinuierlich Strom produzieren; sie laufen im Prinzip durch, während Gaskraftwerke hochflexibel sind und bei Spitzenlasten schnell mehr Strom liefern können oder bei geringerem Energiebedarf weniger. Sprich: Atomkraftwerke können rein technisch nicht das ersetzen, was Gaskraftwerke leisten. Deshalb würden die Gaskraftwerke allenfalls geringfügig weniger laufen, wenn die Kernkraft länger liefe. Auch KWK Anlagen (Kraft-Wärme-Kopplung) können nicht durch Atomkraftwerke ersetzt werden; hier sind andere Maßnahmen (Einsatz von grüner Fernwärme, Reduzierung Wärmebedarf) nötig.

Im Strombereich decken die drei sich noch am Netz befindlichen AKW Isar 2, Emsland und Neckarwestheim 2 mit insgesamt 4300 MW Leistung im Durchschnitt ca. 30 TWh pro Jahr ab – das sind nur ca. 5 Prozent der deutschen Stromproduktion. Sie würden vor allem Strom aus Braunkohlekraftwerken ersetzen, d.h. in der aktuellen Gaskrise kaum einen Beitrag zur Erhöhung der Unabhängigkeit von russischen Gasimporten leisten.

Nein. Hier kommt wieder die Frage der Flexibilität ins Spiel. Da, wo der Anteil der Stromerzeugung aus Gaskraftwerken durch Alternativen ersetzt werden kann, sind Kohlekraftwerke besser geeignet als Atomkraftwerke. Sie sind zwar nicht so flexibel wie Gaskraftwerke, aber flexibler als Atomkraftwerke. Das heißt, sie können schneller als Atomkraftwerke auf den unterschiedlichen Bedarf an Strom reagieren.

Die Betreiber der drei Atomkraftwerke, die noch in Betrieb sind, haben sich seit 11 Jahren auf das Abschaltdatum 31.12.2022 vorbereitet. Die Brennelemente in den Anlagen sind dann abgebrannt; die Anlagen verfügen über keine frischen Brennelemente mehr. Ein längerer Betrieb über den 31.12.2022 hinaus könnte allenfalls für etwa 80 Tage durch einen sogenannten Streckbetrieb ermöglicht werden. Das bedeutet, die Atomkraftwerke würden dann im Sommer 2022 weniger Strom produzieren – der dann anderweitig ersetzt werden müsste - und die Brennelemente langsamer „abgebrannt“, um über den 31.12.2022 hinaus im 1. Quartal 2023 noch Strom produzieren zu können. Dies würde den Betriebszyklus des Reaktorkerns verlängern. Insgesamt würde aber zwischen heute und Ende März 2023 nicht mehr Strom produziert.
Der Netto-Effekt wäre Null. In einer Gas-Mangellage ergibt sich insofern allein aus energietechnischer Sicht kein zusätzlicher Nutzen.

Die drei AKW sind sicherheitstechnisch zwar grundsätzlich auf einem hohen Niveau. Allerdings gab es mit Blick auf das Betriebsende zu Ende 2022 eine gesetzliche Ausnahme von einer wesentlichen Prüfpflicht, nämlich der Sicherheitsüberprüfung, die nach internationalen Sicherheitsstandards alle zehn Jahre erforderlich ist. Diese umfangreiche AKW-Sicherheitsüberprüfung hätte für die drei Atomkraftwerke im normalen Rhythmus 2019 vorgelegt werden müssen, da die letzte 2009 stattfand. Eine erneute Vorlage 2019 war wegen der endgültigen Abschaltung spätestens Ende 2022 ausnahmsweise nicht erforderlich.

Bei einem Weiterbetrieb nach dem 1.1.2023 wäre also die letzte PSÜ 13 Jahre alt, eine neue wäre zwingend geboten. Die Prüfung ist ein über Jahre währender Prozess, in dessen Verlauf erkanntes Verbesserungspotenzial laufend umgesetzt wird. Durch das Verschieben der Kontrolle, wären massive Investitionsbedarfe in die Sicherheitstechnik ebenfalls nicht auszuschließen.

Ein Weiterbetrieb wäre also nur möglich, wenn die Sicherheitsprüfung in Umfang und Prüftiefe deutlich reduziert würde oder auf weitreichende Nachrüstungsmaßnahmen, die in Zuge der Sicherheitsüberprüfung oder aufgrund des neuesten Standes von Wissenschaft und Technik erforderlich sind, verzichtet würde.

Der Standard verlangt, dass auch bei einer nicht auszuschließenden Kernschmelze die austretende Radioaktivität auf dem Anlagengelände verbleibt. Diese Voraussetzung ist auch durch Nachrüstungen kaum erreichbar.

Der Ausstieg aus der Atomenergie zum Ende dieses Jahres ist Gesetz. Das Atomgesetz legt für jedes Atomkraftwerk eine Strommenge und ein Datum fest, mit deren Ablauf die Berechtigung zum Leistungsbetrieb spätestens erlischt. Will man verlängern, muss man diese Daten gesetzlich ändern sowie neue Strommengen bestimmen.

Eine Laufzeitverlängerung erfordert eine neue, umfassende Risiko- und Güterabwägung des Gesetzgebers. Das Risiko der Atomenergienutzung auch mit den modernen Konvoi-Anlagen kann nur noch bis zum 31.12.2022 hingenommen werden. Diese Bewertung wäre zu aktualisieren und zu prüfen, weshalb die Risikoabwägung nun zu einem anderen Ergebnis führt.

Die Kraftwerke müssten mit frischem Brennstoff, also neuen Brennelementen versorgt werden. Unseren Gesprächen mit den Atomkraftswerksbetreibern zufolge dauert dies mindestens ein Jahr. Es müsste in dieser Zeit zudem eine erheblich größere Menge an frischen Brennelementen gefertigt werden als im bisher üblichen jährlichen Turnus. Selbst bei sofortiger Bestellung und beschleunigter Abwicklung wäre deshalb wohl mit einer Nutzung nicht vor Sommer 2023 zu rechnen. Hierfür wären zudem umfangreiche Berechnungen, Begutachtungen und Zustimmungen notwendig.

Bei der Debatte um Atomkraft muss man eben auch sagen, woher das Uran kommen soll. Das würde bei einem Weiterbetrieb gebraucht werden. Derzeit gibt es hierzu keine Lieferverträge mehr. Das Uran kommt in der EU zu einem wesentlichen Teil aus Russland bzw. wird in Russland aufbereitet. Aber: Wir wollen ja gerade Abhängigkeiten aus Russland reduzieren.

Nach Angaben von EURATOM bezog die EU im Jahr 2020 20,2 Prozent des Urans aus Russland, weitere 19,1 Prozent kamen von Russlands Verbündetem Kasachstan. Darüber hinaus bezieht die EU den Rohstoff des Atomzeitalters vor allem aus Niger (20,3 Prozent), Kanada (18,4 Prozent) und Australien (13,3 Prozent).

Der Krieg spielt dem russischen Präsidenten sogar in die Karten – der Preis für Uran ist bereits auf dem Weltmarkt um 30 Prozent gestiegen und hat den höchsten Stand seit elf Jahren erreicht. Die Sorge, Putin könnte ihnen die Uran-Lieferungen verwehren, versetzt viele ausländische AKW-Betreiber in Alarmbereitschaft. Ein Trumpf für Putin, der Folgen für den Westen haben könnte.

Frankreich hat derzeit große Probleme mit veralteten Atommeilern, die wegen Sicherheitsfragen vom Netz genommen wurden. Die Hälfte der derzeit 56 Kernkraftwerke des Betreibers Electricité de France (EdF) mit einer installierten Leistung von insgesamt 61,4 GW steht gar nicht zur Verfügung. Eine Folge: höhere europäische Strompreise und damit auch in Deutschland.

Dies war auch ein Grund, warum im Mai 2022 die Erdgasverstromung in Deutschland höher war als in den jeweiligen Maimonaten der Vorjahre. Normalerweise importiert Deutschland in Frühsommer Strom aus Frankreich, dieses Jahr wurde im Mai mehr dorthin exportiert. Durch die fehlenden Atomkraftwerke in Frankreich wurden somit nicht nur in Frankreich, sondern sogar in Deutschland zusätzliche Gaskraftwerke angeschaltet.

Konkreter: Im März 2022 hatte die franz. Atomenergiebehörde Autorité de sûreté nucléaire (ASN) viele Kernkraftwerke vom Netz genommen, um sie auf Korrosionen und Rissbildung in den Reaktoren zu überprüfen. Da sich die Korrosionsprobleme bestätigt haben, müssen die betroffenen Kraftwerke über den Sommer und Herbst einer umfangreichen Revision unterzogen werden. Nach Veröffentlichung von EdF stehen erst im kommenden Jahr alle Kapazitäten planmäßig wieder vollständig zur Verfügung.

Die Korrosionsprobleme zwingen EdF sein diesjähriges Stromproduktionsziel in den Kernkraftwerken auf das historisch niedrige Niveau von 280-300 TWh zu reduzieren. Dies führt zu steigenden Strompreisen auf den europäischen Strommärkten und zu veränderten Handelsflüssen. Im Vergleich zum Vorjahr haben die gehandelten Stromexporte von Deutschland nach Frankreich in den ersten fünf Monaten 2022 um rund 40 Prozent zugenommen. Auch aus den Nachbarländern Belgien und Spanien importiert Frankreich mehr Strom als im Vorjahr.

Auch sehen wir im Sommer regelmäßig Probleme bei hohen Temperaturen in Frankreich. Die sich derzeit am 29 am Netz befindlichen haben große Versorgungsprobleme, weil die Flüsse, die ja zur Kühlung gebraucht werden, so niedrige Pegelstände haben.

Gaskraftwerke können Atomkraftwerke ersetzen, umgekehrt ist es schwieriger, weil Atomkraftwerke wenig flexibel sind. Frankreich gleicht diese geringe Flexibilität durch Exporte aus. Wenn die Atomkraftwerke mehr Strom produzieren, als in Frankreich verbraucht wird, wird dieser Strom billig in die Nachbarländer verkauft. Denn wenn ein Atomkraftwerk abgeschaltet wird, steht es aus technischen Gründen gleich für mehrere Tage oder Wochen still. Gaskraftwerke können teilweise in wenigen Minuten an- und abgeschaltet werden.

Die Betreiber der AKW haben sich auf das Ende der Atomenergie-Produktion eingestellt und bekennen sich dazu. Auf die jüngste Debatte äußern sich Betreiber hierzu, dass die die Kraftwerke nur mit Abstrichen bei der Sicherheit weiterlaufen lassen könnten. Und das lehnen sie ab. Für den Fall, dass der Staat wegen einer aktuellen Notfallvorsorge meint, dass die drei AKW weiter betrieben werden sollen, muss der Staat für die politische und ökonomische Verantwortung einzutreten. Sprich: Alle Risiken und Kosten lägen beim Staat.

Der Beschuss des ukrainischen Atomkraftwerks Saporischschja am 3.3.2022 durch die russische Armee macht deutlich, dass Szenarien der Gefährdung, zu denen auch Sabotageakte oder Cyberangriffe gehören könnten, in Europa nicht völlig auszuschließen sind. Auch denkbare mittelbare Folgen eines Krieges (Unterbrechung der Stromversorgung) erhöhen mit Blick auf die dauerhaft zugewährleistende Kühlung des Reaktorkerns das Risiko der Atomkraftnutzung, die, das darf man eben nicht vergessen, ja eine Hochrisikotechnologie ist.

Für die am 31.12.2021 abgeschalteten Anlagen ist die Berechtigung zum Leistungsbetrieb aufgrund der gesetzlichen Regelung erloschen. Ein Betrieb könnte nur aufgrund einer gesetzlichen Aufhebung des Erlöschens und einer gesetzlichen Laufzeitverlängerung erfolgen. Diese Entscheidungen des Gesetzgebers kämen auch hier einer „Neugenehmigung“ gleich. Der Bundestag müsste die ähnlichen Verfahrensschritte einschließlich Öffentlichkeitsbeteiligung und Umweltverträglichkeitsprüfung dann selbst vornehmen.

Insbesondere ist es im Hinblick auf den grundrechtlich geschützten Anspruch auf die bestmögliche Schadensvorsorge erforderlich, den aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik der Nachweisführung zugrunde zu legen. Demnach müsste auch nachgewiesen werden, dass die Auswirkungen von Kernschmelzunfällen auf das Anlagengelände begrenzt werden können.

Dieser Standard, den zum Beispiel der AKW-Typ EPR umsetzt, ist durch Nachrüstungen nicht zu erreichen.

Das Bundesverfassungsgericht hat für Neugenehmigungen entschieden, dass dann, wenn die nach theoretischen wissenschaftlichen Konzepten erforderliche Schadensvorsorge praktisch nicht erreicht werden kann, die Genehmigung für ein Atomkraftwerk nicht erteilt werden darf. Es ist deshalb sehr wahrscheinlich, dass ein die Genehmigung ersetzendes Gesetz bereits im Eilverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht aufgehoben würde.