Wissenschaftler schlagen mögliche Wege vor

Ein einheitlicher Preis für die Emission von Kohlenstoffdioxid (CO2), und das möglichst auf globaler Ebene: Sowohl der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung als auch der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie sehen dies als notwendig an, damit Deutschland seine Klimaziele auf marktwirtschaftliche und kosteneffiziente Weise erreicht. Allerdings schlagen beide Gremien in ihren aktuellen Gutachten unterschiedliche Wege zur Erreichung eines einheitlichen CO2-Preises vor.

Ein CO2- Logo aus Papier auf grünem Hintergrund

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In der Gesellschaft steigt zunehmend das Bewusstsein für die Themen Klimaschutz und Klimawandel, und Teile der Bevölkerung bringen ihren Unmut über unzureichende Fortschritte beim Klimaschutz vermehrt durch Protestaktionen zum Ausdruck. Mit dem Klimaabkommen von Paris hat sich die internationale Gemeinschaft dazu verpflichtet, die globale Erwärmung auf unter zwei Grad bzw. möglichst auf unter 1,5 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Niveau zu begrenzen. Um dieses ehrgeizige Vorhaben zu erreichen, müssen die Treibhausgasemissionen allerdings spürbar reduziert werden. Dies erfordert große Anpassungen – der Energieversorgungssysteme, aber auch des Energieverbrauchs. Eine zielgerichtete politische Weichenstellung ist daher unumgänglich. Vor diesem Hintergrund haben sowohl der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (Sachverständigenrat) als auch der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (Beirat) jeweils ein Gutachten zur Reform der Klimapolitik vorgelegt.1

Einheitlicher CO2-Preis als marktwirtschaftliches Instrument zur Erreichung der Klimaschutzziele laut Gutachten notwendig

Beide Gremien legen in ihren Gutachten dar, dass die notwendige Reduktion von Treibhausgasemissionen, die zur Erreichung der Klimaschutzziele erforderlich ist, am besten gelingen kann, wenn die volkswirtschaftlichen Kosten der Transformation möglichst gering gehalten werden. Das bedeutet, dass die nächste Einheit an CO2-Emission dort eingespart werden sollte, wo dies am kostengünstigsten möglich ist – unabhängig von Ort, Technologie, Sektor der wirtschaftlichen Aktivität und Emittent. Aufgrund der Vielzahl an Akteuren sollte die marktwirtschaftliche Koordination über die Lenkungsfunktion von Preisen erfolgen. Sowohl der Sachverständigenrat als auch der Beirat sprechen sich daher perspektivisch für einen einheitlichen Preis für die Emission von CO2 aus.

Für eine wirksame Eindämmung der Erderwärmung und ein kosteneffizientes Vorgehen ist eine globale Koordination unverzichtbar. Langfristiges Ziel sollte daher ein global einheitlicher Preis für die Emission von Treibhausgasen sein. Mittelfristig spielt, so die Experten, insbesondere die Koordination innerhalb der EU eine herausragende Rolle. Um als Zwischenschritt zu einer globalen Lösung einen einheitlichen europäischen Preis zu erreichen, sei es bis spätestens 2030 notwendig, die Sektoren Verkehr und Gebäude in den 2005 eingeführten europäischen Emissionshandel (EU-ETS) einzubinden.

Mögliche Wege bis zur Schaffung einer europäischen Lösung

Um die Sektoren Verkehr und Gebäude in das EU-ETS einzubinden, schlägt der Sachverständigenrat in seinem Gutachten zwei Varianten einer nationalen „Übergangslösung“ vor: die Schaffung eines separaten nationalen Emissionshandels (ggf. mit Mindest- und Höchstpreisen) für die Sektoren Gebäude und Verkehr oder die Einführung einer CO2-Steuer. Beide Ansätze hätten Vor- und Nachteile. Schlussendlich hänge der Erfolg beider Maßnahmen vom Willen der Politik ab, den CO2-Preis als zentrales Instrument der Klimapolitik zu etablieren.

Der Beirat schlägt in seinem Gutachten vor, kurzfristig separate Emissionshandelssysteme mit Preiskorridoren jeweils für die Sektoren Verkehr und Gebäude einzuführen. Gleichzeitig sollten die bisher bestehenden impliziten Steuern und Abgaben auf CO2-Emissionen abgeschafft bzw. auf das europäisch zulässige Mindestniveau reduziert werden. Insbesondere eine Abschaffung der Erneuerbare-Energien-Gesetz-Um­lage (EEG-Umlage), der Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz-Umlage (KWKG-Umlage) und des Ökosteuer-Anteils an der Mineralölbesteuerung sei in diesem Zusammenhang zu diskutieren. Dies würde unmittelbar zu einer Absenkung des Strompreises und über die festgelegten, über die Zeit ansteigenden Preiskorridore mittelfristig zu einer Konvergenz der Preise für CO2-Emissionen in beiden Sektoren führen. Mittelfristig sollten, so der Beirat, die nationalen, separaten Emissionshandelssysteme für Gebäude und Verkehr in das EU-ETS integriert werden.

Europäisches Emissionshandelssystem (EU-ETS)

Das EU-Emissionshandelssystem (EU-ETS) ist ein Kernelement der EU-Politik zur Eindämmung des Klimawandels und das wichtigste Instrument zur kostenwirksamen Verringerung der Treibhausgasemissionen der Energiewirtschaft und der Industrie. Es ist der weltweit erste bedeutende und bislang auch der größte Kohlenstoffmarkt. Es wurde 2003 vom Europäischen Parlament und dem Rat der EU beschlossen und trat am 1. Januar 2005 in Kraft. Das EU-ETS umfasst derzeit 31 Länder (alle 28 EU-Länder sowie Island, Liechtenstein und Norwegen) und begrenzt den CO2-Ausstoß von mehr als 11.000 energieintensiven Anlagen (in der Stromerzeugungs- und verarbeitenden Industrie) sowie von Luftfahrzeugbetreibern, die Verkehrsdienste zwischen diesen Staaten anbieten. Es werden dadurch rund 45 Prozent der Treibhausgasemissionen in der EU abgedeckt.

Entlastung von privaten Haushalten

Das Ziel der CO2-Bepreisung besteht vor allem darin, auf eine effiziente Art und Weise Anreize für die Reduktion von Emissionen zu setzen und nicht darin, zusätzliche Einnahmen für den Staat zu generieren. Der Sachverständigenrat schlägt daher vor, die staatlichen Einnahmen aus der CO2-Beprei­sung an die Bevölkerung zurückzugeben, da dies die Akzeptanz dafür erhöhen könnte. Eine pauschale Erstattung je Einwohner oder eine Senkung von Strompreisbestandteilen (z. B. Stromsteuer) würden einkommensschwache Haushalte relativ stärker entlasten und somit zum sozialen Ausgleich beitragen. Verhaltensanpassungen mit dem Ziel der Vermeidung von CO2 könnten durch zielgerichtete, begleitende Maßnahmen, wie die Förderung der Anschaffung von emissionsärmeren Technologien (z. B. bei der Heiztechnik), unterstützt werden.

Der Beirat betont, dass die von ihm vorgeschlagenen Maßnahmen zu einer sofortigen finanziellen Entlastung privater Haushalte und Unternehmen führen würden, da der Strompreis durch den Wegfall von Steuern, Abgaben und Umlagen auf die Emission von CO2 signifikant fallen würde. Die Einnahmen aus der Versteigerung der Zertifikate würden dementsprechend zunächst lediglich die durch die Abschaffung der Steuern wegfallenden staatlichen Einnahmen kompensieren. Mittelfristig entstehende zusätzliche Einnahmen sollten – so der Beirat – zur Finanzierung von Klimaschutzinvestitionen oder für eine pauschale „Klimaschutzdividende“ genutzt werden.

Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen

Der Sachverständigenrat stellt dar, dass eine Ausweitung des EU-ETS aufgrund höherer Vermeidungskosten im Gebäude- und Verkehrssektor insgesamt zu einem höheren CO2-Preis führen wird. Damit steige die Gefahr einer Verlagerung CO2-intensiver Aktivitäten ins Ausland (Carbon Leakage). Um dies zu vermeiden, sollte das bisherige Ausgleichssystem (kostenlose Zuteilung von Zertifikaten, Kompensation von stromintensiven Unternehmen) fortgeführt und gegebenenfalls ein Grenzausgleich erwogen werden. Die Einführung eines Grenzausgleichs, der letztlich eine ähnliche Wirkung wie eine Einführung von Zöllen entfalten würde, birgt allerdings handelspolitisches Konfliktpotenzial.

Bei Anwendung der vom Beirat vorgeschlagenen Maßnahmen würde der Strompreis zunächst sinken und damit auch das Problem des Carbon Leakage vorerst verringert werden. Mittelfristig könnten die Energiepreise steigen und damit Carbon Leakage zu einem ernsthaften Problem werden, dem vor dem Hintergrund der beschriebenen Herausforderungen zu begegnen wäre.

Klimaschutzziele Deutschlands und Hintergrund für die Gutachten

Die Bundesregierung will die Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2020 um mindestens 40 Prozent gegenüber 1990 senken. Aktuellen Schätzungen des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit zufolge ist davon auszugehen, dass bis zum Jahr 2020 eine Minderung der Treibhausgasemissionen um nur etwa 32 Prozent gegenüber dem Jahr 1990 erreicht werden wird. Gründe für das Nichterreichen des Klimaziels für das Jahr 2020 liegen unter anderem in überschätzten Minderungswirkungen einzelner Maßnahmen. Hinzu kommen exogene Entwicklungen wie ein höheres Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum als bisher angenommen.


Derzeit arbeitet die Bundesregierung an dem im Klimaschutzplan 2050 angekündigten Maßnahmenprogramm 2030. Damit soll zum einen das Gesamtziel erreicht werden, die Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2030 über alle Sektoren hinweg um mindestens 55 Prozent gegenüber dem Jahr 1990 zu senken; zum anderen soll das Maßnahmenprogramm dazu beitragen, die europarechtlich verbindlichen Klimaschutzziele Deutschlands für die Sektoren außerhalb des Emissionshandels zu verfolgen und damit die sogenannten Effort-Sharing-Ziele 2030 (38 Prozent Treibhausgasminderung gegenüber dem Jahr 2005) zu erreichen.


Vor dem Hintergrund der Arbeit an dem Maßnahmenprogramm 2030 und der Debatte in der Öffentlichkeit zum Thema Bepreisung von CO2 hat die Bundesregierung den Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung mit der Erstellung eines Sondergutachtens zu diesem Thema beauftragt. Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie ist in seiner Arbeit unabhängig und entscheidet eigenständig über die Themen seiner Gutachten.


Einige der bisherigen Klimaschutzmaßnahmen nicht mehr notwendig

Beide Gremien sehen die Chance, die deutsche Klimaschutz­politik so zu verändern, dass die Klimaschutzziele auf marktwirtschaftlichere Weise erreicht werden können. Das bisherige Vorgehen Deutschlands im Rahmen der Energiewende bewerten beide Gremien als ineffizient. Der Vorteil einer Neugestaltung der Energiewende liege darin, dass auf etwaige sektorspezifische Maßnahmen und Ziele verzichtet werden könne, wenn alle Sektoren in einen wirksamen Emissionsmarkt integriert sind. Weiterhin hätten Maßnahmen wie das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) keinen direkten Beitrag zur Reduktion von CO2-Emissionen geleistet, da der Energiesektor in das EU-ETS integriert ist und die Menge an Zertifikaten im EU-ETS nicht angepasst wurde. Der aus erneuerbaren Energien in Deutschland produzierte Strom führe dazu, dass deutsche Kraftwerke weniger fossile Brennstoffe verbrauchten und letztlich weniger CO2-Zertifikate nachfragten. Solange die Menge an Zertifikaten nicht angepasst werde (wie seit dem 01.01.2019 über die Marktstabilitätsreserve), verringere sich deren Preis. Aufgrund des geringeren Preises würden die Zertifikate von jenen Energieerzeugern genutzt, deren Tätigkeit nur bei einem relativ niedrigen CO2-Preis wirtschaftlich sei. Da dies insbesondere die Energieerzeugung aus fossilen Brennstoffen beträfe, würde so kein Beitrag für den Klimaschutz geleistet.

Die Bundesregierung diskutiert das Thema CO2-Bepreisung im Rahmen des Klimakabinetts. Im September soll eine Grundsatzentscheidung über Gesetze und Maßnahmen getroffen werden. Sie sollen bis zum Jahresende im Kabinett verabschiedet werden.

Das Sondergutachten des Sachverständigenrates kann hier abgerufen werden:
www.sachverstaendigenrat-wirtschaft.de/sondergutachten-2019.html

Das Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats findet sich hier: https://bit.ly/2yqFUqh

Kontakt: Dr. Franziska Lottmann
Referat: Grundsatzfragen der Wirtschaftspolitik

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1 „Aufbruch zu einer neuen Klimapolitik“, Sondergutachten des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, veröffentlicht am 12.07.2019. „Energiepreise und effiziente Klimapolitik“, Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, veröffentlicht am 15.07.2019.