Jetzt muss gehandelt werden – Das ist das Resumee der Standortkonferenz 2020 in Berlin

V.l.n.r.: Prof. Gabriel Felbermayr (IfW), Sandra Berndt (Moderation), Bundesminister Peter Altmaier, Prof. Dieter Kempf (BDI), Birgit Steinborn (Siemens), Jörg Hofmann (IG Metall), Kerstin Andreae (BDEW) und Franziska Erdle (WV Metalle).

V.l.n.r.: Prof. Gabriel Felbermayr (IfW), Sandra Berndt (Moderation), Bundesminister Peter Altmaier, Prof. Dieter Kempf (BDI), Birgit Steinborn (Siemens), Jörg Hofmann (IG Metall), Kerstin Andreae (BDEW) und Franziska Erdle (WV Metalle).

© BMWi

Wissenschaft und Praxis trafen am 24. Juni 2020 im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) vor Ort und zugleich online zusammen: Die Diskussion auf dem Podium wurde live im Netz übertragen. Als neuartiges Hybrid-Format folgte die Standortkonferenz 2020 so den aktuellen Notwendigkeiten der Corona-Pandemie. Die Standortkonferenz bot die Gelegenheit, strukturelle Handlungsbedarfe zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit in Deutschland und Europa auch vor dem Hintergrund der Corona-Krise zu diskutieren.

Mit Bundesminister Peter Altmaier diskutierten Vertreterinnen und Vertreter von Wissenschaft, Unternehmensverbänden sowie Arbeitnehmervertretungen. Gäste auf dem Podium waren der Präsident des IfW, Prof. Gabriel Felbermayr, für das Bündnis Zukunft der Industrie der Präsident des BDI, Prof. Dieter Kempf, und Jörg Hofmann, erster Vorsitzender der IG Metall, Kerstin Andreae, Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung des BDEW, Birgit Steinborn, Gesamtbetriebsrätin und stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende von Siemens sowie Franziska Erdle, Hauptgeschäftsführerin der Wirtschaftsvereinigung Metalle.

In Kürze
Anlass für die Konferenz war die Studie „Analyse der industrie- relevanten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Deutschland im internationalen Vergleich“.
Bundesminister Peter Altmaier ging zu Beginn auf erste Maßnahmen der Industriestrategie 2030 ein.

Bundesminister Peter Altmaier ging zu Beginn auf erste Maßnahmen der Industriestrategie 2030 ein.

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Minister Peter Altmaier ging in seinem Eingangsstatement zunächst auf das Konjunkturprogramm und erste Maßnahmen der Industriestrategie 2030 ein: „Wir werden alles tun, damit es ab dem vierten Quartal 2020 eine Trendumkehr und einen Konjunkturaufschwung geben kann. Dafür haben wir ein großes Konjunkturpaket geschnürt. Und ich bin überzeugt, dass die 130 Milliarden Euro, davon 50 für Zukunftstechnologien, dazu beitragen werden, dass wir einen wirtschaftlichen Aufschwung erleben.“ Anlass für die Konferenz war die Studie „Analyse der industrierelevanten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Deutschland im internationalen Vergleich“. Der Präsident des IfW, Prof. Gabriel Felbermayr, stellte zentrale Ergebnisse vor (siehe Kasten S. 50): „Die Industrie ist wichtig, denn das Gros der Produktivitätszuwächse geschieht im Verarbeitenden Gewerbe. Wir brauchen mehr Produktivitätswachstum, wenn wir das Potenzialwachstum stabilisieren und vielleicht sogar erhöhen wollen.“ Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie hatte die Standort-Studie im Rahmen der Industriestrategie 2030 in Auftrag gegeben. Diese soll wirtschaftliche Rahmenbedingungen verbessern, neue Technologien stärken und technologische Souveränität sichern. Minister Peter Altmaier hatte die Strategie am 29. November 2019 nach einem intensiven Dialogprozess vorgestellt.

Der Präsident des IfW, Prof. Gabriel Felbermayr, stellte zentrale Ergebnisse der Studie vor.

Der Präsident des IfW, Prof. Gabriel Felbermayr, stellte zentrale Ergebnisse der Studie vor.

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Die Standort-Studie sollte vor diesem Hintergrund die Standortqualität in Deutschland analysieren sowie eine umfassende und kritische Bestandsaufnahme der wichtigsten industrie relevanten Rahmenbedingungen im internationalen Vergleich durchführen. Die Studie wurde in der Woche der Standortkonferenz veröffentlicht. Sie untersucht die Einbindung in internationale Wertschöpfungsketten und die industrielle Standortqualität Deutschlands anhand zentraler Faktoren. Außerdem betrachtet sie für Deutschland zentrale Branchen des Verarbeitenden Gewerbes in Fallstudien. Die Studie schließt mit Schlussfolgerungen für eine zukunftsweisende Industriepolitik.

Abbildung 1: Bewertung Deutschlands relativ zu Standortfaktoren in Deutschland im internationalen Vergleich Bild vergrößern

Abbildung 1: Bewertung Deutschlands relativ zu Standortfaktoren in Deutschland im internationalen Vergleich; Bewertung Deutschlands relativ zu: Frankreich, Italien, Spanien, Vereinigtes Königreich, Polen, Tschechische Republik, USA, Kanada, Japan, China, Südkorea, Brasilien. Eigene Darstellung

Die Frage der wirtschaftlichen Standortbedingungen gewinnt gerade vor dem Hintergrund der derzeitigen Corona-Krise an Bedeutung. In Folge der COVID-19-Pandemie und der damit verbundenen Einschränkungen des öffentlichen Lebens steht die Wirtschaft weltweit mit ihren komplexen Wertschöpfungsketten vor großen Herausforderungen. Weite Teile der Wirtschaft waren und sind von einem Einbruch der globalen Nachfrage sowie von einem mit Verhaltensänderungen von Bürgerinnen und Bürgern sowie Unternehmen verbundenen Rückgang der Nachfrage betroffen. Viele Unternehmen haben zudem erhebliche Produktionsausfälle durch beeinträchtigte Lieferketten zu verzeichnen. Eingeschränkte Reisemöglichkeiten erschweren bis heute den Kontakt zu Kunden, die Wartung von Maschinen und Anlagen und die Akquise neuer Aufträge. Offen zu Tage getreten ist zudem die hohe Abhängigkeit deutscher und europäischer Hersteller von Zulieferern aus Drittstaaten wie zum Beispiel China und Indien, insbesondere im medizinischen und pharmazeutischen Bereich.

Die Bundesregierung hat mit einem Konjunkturprogramm von historischem Ausmaß auf diese Situation reagiert, damit Deutschland möglichst schnell und gestärkt aus der Krise hervorgehen kann. Zentrale Elemente des 130 Mrd. Euro-Programms sind die Überbrückungshilfen für kleine und mittelständische Unternehmen, klassische Konjunkturmaßnahmen sowie eine starke investive Komponente, die wichtige Zukunftsbereiche wie die Digitalisierung, künstliche Intelligenz, Wasserstofftechnologien sowie die Unterstützung einer nachhaltigen und wettbewerbsfähigen Industrie stärkt. Viele Handlungsfelder des Konjunkturprogramms sind bereits durch die Industriestrategie 2030 adressiert, denn technologischer Strukturwandel und protektionistische Tendenzen weltweit stellten die Industrie in Deutschland und Europa schon vor der Pandemie vor große Herausforderungen.

Die Standortkonferenz wurde in Kooperation mit dem Bündnis Zukunft der Industrie durchgeführt. Aus Anlass der Standortkonferenz hat das Bündnis, zu dem 17 Partner, darunter der BDI und die IG Metall gehören, eine gemeinsame Erklärung „Gemeinsam für eine zukunftsfähige Industrie mit qualifizierten Beschäftigten“ veröffentlicht. Auch die deutsche EU-Ratspräsidentschaft und mit ihr die wichtigsten Vorhaben und Ziele Deutschlands im Bereich der europäischen Industriepolitik wurden thematisiert. Für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Podiums war klar: Die Bewältigung der wirtschaftlichen Folgen der COVID-19-Pandemie ist zentrales Thema. Ziel muss es sein, den Wirtschaftsstandort EU zu neuer Stärke zu führen, indem seine Wettbewerbsfähigkeit, seine Innovationskraft und Resilienz weiter verbessert werden. Der Industrie kommt dabei eine Schlüsselrolle zu, auch im Kontext der Post-Corona-Wachstumsstrategie.

Zentrale Ergebnisse der Standortanalyse des IFW

Das IfW hat im Rahmen einer Metastudie die wichtigsten Standortfaktoren untersucht (insbesondere Steuern und Abgaben, Infrastruktur, Arbeitsmarkt und Fachkräfte, Forschung und Innovation, Unternehmensfinanzierung, regulatorische Rahmenbedingungen und Energiekosten), eine Bestandsaufnahme des industriellen Sektors in Deutschland und der Einbindung in internationale Wertschöpfungsketten unternommen sowie einzelne Branchen in Fallstudien näher beleuchtet (Metallindustrie, Chemieindustrie, Elektroindustrie, Maschinen- und Anlagenbau, Automobilindustrie). Kurzfristig wurden auch Bezüge zur Covid-19-Krise hergestellt und bei den Empfehlungen berücksichtigt. Das aktuell beschlossene Konjunkturprogramm der Bundesregierung lag zum Zeitpunkt der Fertigstellung der Studie noch nicht vor.

Das IfW sieht den Industriestandort Deutschland bei den meisten Standortfaktoren als nach wie vor wettbewerbsfähig an, identifiziert jedoch auch Defizite. Das IfW empfiehlt unter anderem eine Senkung der Körperschaftssteuer um 5 Prozentpunkte und die vollständige Abschaffung des Solidaritätszuschlages. Die EEG-Umlage solle für besonders betroffene Betriebe kompensiert werden. Grüner Wasserstoff werde in der Energiepolitik zukünftig eine Schlüsselrolle spielen.

Darüber hinaus befürwortet die Studie beschleunigte Genehmigungsverfahren insbesondere beim Ausbau der digitalen Infrastruktur. Im Bereich Bildung und Fachkräfte werden verschiedene Maßnahmen zur Verbesserung der digitalen Kompetenzen sowie zur Hebung des Fachkräftepotenzials von Frauen und ausländischen Erwerbstätigen angeregt. Um technologische Innovationen voranzubringen, bedürfe es eines europäischen Marktes für Wagniskapital und einer Vollendung des digitalen Binnenmarktes. Es wird betont, dass Offenheit für den technologischen Austausch zentral für die Innovationsfähigkeit der deutschen Industrie ist. Durch Vorratshaltung und Diversifizierung von Lieferketten könne bei gleichzeitiger Offenhaltung von Märkten die wirtschaftliche Resilienz in lebensnotwendigen Bereichen erhöht werden.

Link zur Studie: www.bmwi.de/Redaktion/DE/Publikationen/Studien/industriestudie.html

Kontakt:
Erkan Ertan
Referat: Grundsatzfragen der Industriepolitik
schlaglichter@bmwi.bund.de