672,5 Mrd. Euro Aufbau- und Resilienzfazilität: Wofür wird das Geld einegesetzt? Und wer bekommt wieviel?

Euroscheine

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Die Corona-Pandemie hat seit ihrem Ausbruch erhebliche Auswirkungen auf die Wirtschaft gehabt. So ist das Bruttoinlandsprodukt der EU im Jahr 2020 um insgesamt 6,2 % eingebrochen und somit stärker als in der Finanzkrise 2009. Dabei unterscheidet sich die Tiefe der Rezession zwischen Mitgliedstaaten zum Teil deutlich. Dies liegt unter anderem in der Schwere der Pandemie, den jeweils notwendigen Eindämmungsmaßnahmen sowie unterschiedlichen Wirtschaftsstrukturen begründet.

Um die Wirtschaft und die Bevölkerung in der Krise zu unterstützen, haben nicht nur die nationalen Regierungen schnell reagiert. Auch auf europäischer Ebene gab es entschlossene und solidarische Reaktionen, um die akuten Auswirkungen auf Mitgliedstaaten, Unternehmen sowie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer abzufedern. Je weiter die Krise voranschritt, desto mehr rückte aber auch der Wiederaufbau nach deren Ende in den Fokus.

Eine wesentliche Antwort hierauf ist das historisch einmalige, temporäre europäische Aufbauinstrument „Next Generation EU“ (NGEU), auf das sich die Europäische Kommission, der Rat und das Europäische Parlament im Dezember 2020 geeinigt haben. Ziel dieses – mit einem stattlichen Volumen von 750 Mrd. Euro versehenen – Instruments ist die Unterstützung der wirtschaftlichen Erholung nach der Corona-Krise. Für diesen klar begrenzten Einsatz sollen die notwendigen Mittel durch die Ausgabe von Anleihen durch die Europäische Kommission finanziert werden. Diese können eine Laufzeit bis 2058 haben.

Der Löwenanteil des Aufbauinstruments entfällt auf die Aufbau- und Resilienzfazilität (ARF). Bis zu 672,5 Mrd. Euro werden auf die EU-Mitgliedstaaten verteilt. Im Folgenden wird dargestellt, wie die ARF umgesetzt und in das bestehende Verfahren zur wirtschafts-, finanz- und beschäftigungspolitischen Koordinierung in der EU, das sog. Europäische Semester (Kasten oben), eingebettet ist, und wie die Mittel den Mitgliedstaaten zugewiesen werden.

Das Europäische Semester
Das „Europäische Semester“ bezeichnet den wirtschafts-, finanz-und beschäftigungspolitischen Koordinierungszyklus in der EU und besteht aus drei Säulen: (i) der wirtschaftspolitischen Koordinierung und Überwachung, (ii) dem makroökonomischen Ungleichgewichteverfahren (MIP) und (iii) der haushaltspolitischen Koordinierung nach dem Stabilitäts- und Wachstumspakt.

Die Europäische Kommission eröffnet jeweils das Semester mit analytischen Berichten und Einschätzungen zu den finanz-, wirtschafts-und beschäftigungspolitischen Prioritäten in der EU insgesamt sowie zur Politik der einzelnen Mitgliedstaaten. Ein wichtiges Dokument dabei ist die jährliche Strategie für nachhaltiges Wachstum. Hierin identifiziert die Europäische Kommission allgemeine wirtschaftliche und soziale Herausforderungen für die EU und gibt den Mitgliedstaaten politische Leitlinien für das kommende Jahr vor. Abgeschlossen wird das Europäische Semester jeweils mit länderspezifischen Empfehlungen des Rates der Europäischen Union: Diese sind wirtschafts- und auch finanzpolitische Handlungsempfehlungen an die einzelnen Mitgliedstaaten.

In Kürze
Ziel ist, die Auswirkungen der Krise zu mildern, Wachstum zu fördern sowie den grünen und digitalen Wandel zu unterstützen.

Aufbau- und Resilienzpläne: Kohärente Pakete von Reformen und Investitionen

Erklärtes Ziel der ARF ist es, die Umsetzung von Reformen und Investitionen in den Mitgliedstaaten zu unterstützten. Durch die geförderten Maßnahmen sollen grundsätzlich die wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen der Krise abgemildert sowie die Resilienz und Wachstumspotenziale gestärkt werden. Insbesondere soll die ARF den grünen und digitalen Wandel unterstützen. Gleichzeitig gilt es, länderspezifische Herausforderungen zu adressieren, die im Rahmen des Europäischen Semesters für die einzelnen EU-Staaten identifiziert werden.

Es liegt zunächst in der Verantwortung der Mitgliedstaaten, entsprechende kohärente Pakete aus Investitionen und Reformen zu schnüren, für die die ARF-Mittel in ihren Ländern eingesetzt werden. Dies geschieht in den sogenannten Aufbau- und Resilienzplänen (ARP), die die Staaten grundsätzlich bis Ende April dieses Jahres bei der Europäischen Kommission einreichen sollen. Dabei können Maßnahmen berücksichtigt werden, die seit dem 1. Februar 2020 eingeleitet wurden. Die Pläne müssen messbare Etappenziele und Zielwerte für die geplanten Reformen und Investitionen enthalten. Denn die Auszahlung der ARF-Mittel ist an die Erreichung der jeweils vereinbarten Ziele geknüpft. Die Mittel müssen bereits bis zum Jahr 2023 gebunden sein. Die Etappenziele und Zielwerte sind bis spätestens Ende August 2026 zu erreichen. Auszahlungen sind dann bis Ende 2026 möglich.

Die Europäische Kommission wird die von den EU-Ländern vorgelegten ARP anhand von elf Bewertungskriterien beurteilen. Zentrale Kriterien sind: Die ARP müssen zur Umsetzung aller oder eines wesentlichen Teils der länderspezifischen Empfehlungen an den jeweiligen Mitgliedstaat beitragen. Sie müssen wirksam zur Stärkung der Wachstumspotenziale, der Schaffung von Arbeitsplätzen sowie zur wirtschaftlichen, sozialen und institutionellen Resilienz beitragen ebenso wie zum ökologischen (mindestens 37 % der ARF-Mittel in jedem Mitgliedstaat) und zum digitalen Wandel (mindestens 20 % der ARF-Mittel).

In Kürze
Der ökologische und der digitale Wandel werden massiv gefördert.

Zudem müssen alle in den ARP enthaltenen Maßnahmen das sogenannte „Do no significant harm“-Prinzip einhalten: Sie dürfen die in der sog. Taxonomie-Verordnung der EU festgelegten Umweltziele, wie z. B. Klimaschutz oder Anpassung an den Klimawandel, nicht erheblich beeinträchtigen. Darüber hinaus sind die Staaten verpflichtet, angemessene Vorkehrungen zur Vermeidung bzw. Behebung von Korruption, Betrug und Interessenskonflikten zu treffen.

Damit die Mittel der ARF möglichst schnell bei den Mitgliedstaaten ankommen, gibt es für die vorgesehenen Entscheidungsprozesse klare Fristen. Die Europäische Kommission soll die eingereichten ARP innerhalb von zwei Monaten bewerten und einen Entscheidungsvorschlag vorlegen. Die Mitgliedstaaten sollen dann gemeinsam im Rat der Europäischen Union innerhalb von weiteren vier Wochen die nationalen ARP beschließen. Es wurde die Möglichkeit einer Vorabfinanzierung in Höhe von 13 % der jeweils nationalen ARF-Mittel geschaffen. Die ersten Gelder könnten somit bereits im Sommer an die Mitgliedstaaten ausgezahlt werden.

Um dennoch einen effektiven Mitteleinsatz sicherzustellen, sind enge Austausche zwischen allen beteiligten Institutionen vorgesehen. So können die Mitgliedstaaten z. B. erste Entwürfe der ARP bereits seit Oktober 2020 der Europäischen Kommission vorgelegen und mit dieser vor der offiziellen Einreichung diskutieren.

Enge Bezüge zu dem bestehenden Koordinierungsverfahren

Da im Zuge der ARF die Umsetzung notwendiger Strukturreformen in den EU-Staaten vorangebracht werden soll, gibt es enge Bezüge zu den bestehenden Verfahren der wirtschafts-, finanz- und beschäftigungspolitischen Koordinierung und Überwachung in der EU im Rahmen des Europäischen Semesters.

So müssen zum einem im Kontext des Europäischen Semesters ermittelte Herausforderungen, insbesondere jene aus den länderspezifischen Empfehlungen 2019 und 2020, adressiert werden. Zudem hat die Europäische Kommission in ihrer jährlichen Strategie für nachhaltiges Wachstum 2021 verschiedene Flaggschiffprojekte identifiziert, die gemeinsame Herausforderungen der EU-Länder darstellen und daher von den Mitgliedstaaten in ihren ARP berücksichtigt werden sollten. Hierzu zählen beispielsweise die beschleunigte Nutzung erneuerbarer Energien, der Ausbau von Breitband und 5G-Netzen oder die Anpassung der Bildungssysteme zur Förderung digitaler Fähigkeiten.

Technische Details zur Berechnung der Zuschüsse an Mitgliedstaaten
Die Verteilungsschlüssel für die beiden Tranchen der ARF-Mittel berücksichtigen jeweils die grundsätzliche Wirtschaftsleistung der Mitgliedstaaten gemessen anhand des nationalen Bruttoinlandsprodukts (BIP) pro Kopf im Vergleich zum BIP pro Kopf in der EU (jeweils 2019). Zudem wird der Anteil der Bevölkerung des jeweiligen Mitgliedstaates an der
EU-Gesamtbevölkerung im Jahr 2019 berücksichtigt. Während die relative Wirtschaftsleistung eines Mitgliedstaats seine Zuschüsse mindert, erhöht der Bevölkerungsanteil diese.

Die beiden Tranchen unterscheiden sich in der jeweils dritten Komponente des Verteilungsschlüssels:

1. Tranche: Hier wird zusätzlich die durchschnittliche Arbeitslosenquote des Mitgliedstaates für 2015 bis 2019 im Verhältnis zum entsprechenden Wert für die gesamte EU berücksichtigt. Mitgliedstaaten mit höheren Arbeitslosenquoten vor der Krise erhalten demnach grundsätzlich höhere Zuschüsse.

2. Tranche: Um das Ausmaß des wirtschaftlichen Einbruchs in jedem Mitgliedstaat entsprechend zu berücksichtigen, fließen hier als dritte Komponente gleichgewichtet der Rückgang des BIPs im Jahr 2020 sowie der kumulierte Rückgang in 2020 und 2021 ein. Mitgliedstaaten mit einem schwereren Einbruch infolge der Corona-Pandemie können mit höheren Zuschüssen aus dieser Tranche rechnen.

Zur besseren Vergleichbarkeit wird die Verteilung der Mittel im EU-Haushalt auf die verschiedenen Programme zumeist in sog. konstanten Preisen vorgenommen – in diesem Fall in Preisen aus dem Jahr 2018. Die Auszahlung der EU-Mittel (auch der ARF-Mittel) erfolgt aber erst zu einem späteren Zeitpunkt. Somit muss die Veränderung der Preise seit 2018 noch berücksichtigt werden. Hierfür hat man sich auf einen festen Deflator von zwei Prozent geeinigt. Daraus ergeben sich die Mittel in sog. laufenden Preisen. In laufenden Preisen betragen die Gesamtzuschüsse aus der ARF knapp 338 Mrd. Euro (in konstanten Preisen: 312,5 Mrd. Euro).

Gleichzeitig ist vorgesehen, im Rahmen des Europäischen Semesters über die Umsetzung der ARP zu berichten. In diesem Jahr wurden die Verfahren des Europäischen Semesters temporär verändert, um der Erstellung und Diskussion der ARP den notwendigen Raum zu lassen. So wird es insbesondere keine umfassenden wirtschaftspolitischen Analysen der Europäischen Kommission in sogenannten Länderberichten und dementsprechend keine neuen strukturpolitischen länderspezifischen Empfehlungen geben.

Eine zügige Rückkehr zu den etablierten Verfahren des Europäischen Semesters unter Berücksichtigung der ARF sollte aber angestrebt werden. Die ARP spiegeln letztlich nur eine krisenbedingte Momentaufnahme wider. Es ist aber notwendig, zukünftige wirtschaftspolitische Herausforderungen in den Mitgliedstaaten möglichst frühzeitig zu identifizieren.

Einer umfänglichen wirtschaftspolitischen Analyse und Koordinierung im Rahmen des Europäischen Semesters wird in den kommenden Jahren daher weiterhin eine wichtige Rolle zukommen. Außerdem unterscheidet sich die Höhe der Zuschüsse an die einzelnen Mitgliedstaaten deutlich (Abbildung 1).

Abbildung 1: Wer erhält wieviel? ARF-Zuschüsse in Mrd. Euro (in laufenden Preisen) Bild vergrößern

Abbildung 1: Wer erhält wieviel? ARF-Zuschüsse in Mrd. Euro (in laufenden Preisen)

© Verordnung (EU) 2021/241 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Februar 2021 zur Einrichtung der Aufbau- und Resilienzfazilität

Da die Bedeutung der ARF somit von Land zu Land sehr unterschiedlich ausfällt, können voraussichtlich nicht alle bestehenden strukturellen Herausforderungen mit Maßnahmen in den ARP angegangen werden.

Verteilung der ARF-Mittel auf die Mitgliedstaaten

Das Gesamtvolumen der ARF liegt bei 672,5 Mrd. Euro (in laufenden Preisen, Kasten links zum Unterschied zwischen laufenden und konstanten Preisen). Hiervon werden 312,5 Mrd. Euro direkt als Zuschüsse auf die Mitgliedstaaten verteilt. Dies geschieht in zwei Tranchen: 2021 und 2022 werden 70 % der Mittel zugewiesen, die restlichen 30 % in 2023. Die Verteilung zwischen den Staaten erfolgt daher auch auf Basis zweier verschiedener Berechnungsschlüssel (im Detail, Kasten links). Für den ersten Zeitraum werden die Mittel ausschließlich auf Basis von Vorkrisenkennzahlen verteilt. Der Schlüssel für die zweite Tranche berücksichtigt dagegen auch das Ausmaß des wirtschaftlichen Einbruchs in der aktuellen Krise. Da dieser Einbruch derzeit noch nicht abschließend beurteilt werden kann, wird auf Basis von Wachstumsprognosen der Europäischen Kommission zunächst eine Abschätzung vorgenommen. Im Sommer 2022 wird mit den dann vorliegenden Zahlen die endgültige Mittelverteilung berechnet.

Auf dieser Basis werden Spanien und Italien voraussichtlich die größten Zuschüsse aus der ARF erhalten, 69,5 Mrd. Euro bzw. 68,9 Mrd. Euro (in laufenden Preisen). Danach folgen Frankreich (39,4 Mrd. Euro), Deutschland (25,6 Mrd. Euro) und Polen (23,8 Mrd. Euro).

In Kürze
In Relation zum jeweiligen BIP sind die Zuschüsse an Kroatien, Griechenland und Bulgarien am höchsten.

Die Wirtschaftsleistung der einzelnen EU-Länder unterscheidet sich allerdings insgesamt deutlich. Die reine Betrachtung der absoluten Mittelzuflüsse sagt daher letztlich wenig darüber aus, wie groß der Effekt und Beitrag der ARF zur Bewältigung der Krise und zur Stärkung der Wirtschaft in den einzelnen Mitgliedstaaten sein kann. Zur besseren Einordnung ist es daher sinnvoll, die ARF-Mittel in Relation zum jeweiligen Bruttoinlandprodukts zu setzen (Abbildung 2).

Abbildung 2: Anteil ARF-Zuschuss am nationalen BIP 2020 Bild vergrößern

Abbildung 2: Anteil ARF-Zuschuss am nationalen BIP 2020

© Eigene Berechnung auf Basis der Verordnung (EU) 2021/241 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Februar 2021 zur Einrichtung der Aufbau- und Resilienzfazilität sowie der Herbstprognose 2020 der Kommission

Nach dieser Betrachtung sind die relativen Zuschüsse an Kroatien, Griechenland und Bulgarien mit Abstand am höchsten. Hier machen die jeweiligen ARF-Zuschüsse jeweils mehr als 10 % des Bruttoinlandsproduktes in 2020 aus. Neben den direkten Zuschüssen stehen weitere 360 Mrd. Euro (konstante Preise) als Darlehen an die Mitgliedstaaten zur Verfügung. Die Länder können diese in ihren ARP bis zu einem Volumen von 6,8 % ihres Bruttonationaleinkommens in 2019 entsprechend beantragen. Zusätzliche Darlehen sind letztlich aber nur für Staaten interessant, deren Refinanzierungskosten über denen der EU liegen.

Insgesamt bietet die ARF für die Volkswirtschaften der EU eine große Chance, gestärkt aus der aktuellen Krise hervorzugehen. Es liegt nun in der Verantwortung der einzelnen Mitgliedstaaten, entsprechende Pläne zu erarbeiten, damit die vorgesehenen Mittel zügig fließen und produktiv eingesetzt werden können.

Kontakt
Dr. Katharina Stöcklin
Referat: Europäische Wirtschafts- und Währungsfragen
schlaglichter@bmwi.bund.de