Die zukunftsfeste Ausgestaltung der gesetzlichen Rentenversicherung ist eine der wichtigsten wirtschaftspolitischen Herausforderungen: Es geht um die nachhaltige Finanzierung und das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit dieser zentralen Säule der Sozialversicherungen. Reformbedarf besteht nicht zuletzt aufgrund einer durchweg erfreulichen Entwicklung: Die Lebenserwartung steigt. Darüber hinaus steht die Verrentung der Babyboomer-Generation an, und auch die Corona-Pandemie erzeugt Ausgabendruck auf die Alterssicherung. Eine generationengerechte gesetzliche Rentenversicherung kombiniert ein angemessenes, leistungsgerechtes Rentenniveau mit tragbaren Sozialversicherungsbeiträgen und ermöglicht darüber hinaus Erwerbstätigkeit auch im Alter. Der unabhängige Wissenschaftliche Beirat beim BMWK, der die Themen seiner Gutachten selbst bestimmt, hat nun Vorschläge gemacht, wie diese Herausforderungen angegangen werden können.

In Kürze Der ausgesetzte „Nachholfaktor“ solle bald wieder eingeführt werden.

Effekte der Pandemie ausgleichen, längere Lebenserwartung berücksichtigen

Während die Durchschnittslöhne im letzten Jahr pandemiebedingt sanken, ist ein Rückgang der Renten gesetzlich ausgeschlossen. Das könnte allerdings die Renten stärker steigen lassen als die Löhne und so die Relation von Renten zu Löhnen – das sogenannte Rentenniveau – dauerhaft erhöhen. Dies würde die Beitragssätze oder/und die Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt stärker steigen lassen, als es die demografische Entwicklung ohnehin erfordert. Eine Regelung, die diese Entwicklung ausgleicht, gibt es bereits: Ein „Nachholfaktor“ dämpft den Rentenanstieg, wenn nach Lohnrückgängen (in konjunkturellen Abschwüngen) die Renten für eine Zeit langsamer steigen als die Löhne. Dieser Nachholfaktor wurde allerdings 2018 ausgesetzt – der Beirat empfiehlt deshalb, ihn bereits vor 2025 wieder einzuführen.

Auf 67 Jahre steigt das Rentenzugangsalter schrittweise bis 2030.

Ein langfristiger Trend ist der Anstieg der Lebenserwartung. Vor diesem Hintergrund steigt das Rentenzugangsalter bis 2030 bereits schrittweise auf 67 Jahre. Dennoch verschlechtert sich das Verhältnis von Beitragseinnahmen und Rentenzahlungen weiter und sorgt schon absehbar für eine Finanzierungslücke. Der Beirat hält es daher für unerlässlich, das Rentenzugangsalter weiter anzuheben, und empfiehlt, die zusätzliche Lebenszeit weiterhin im Verhältnis von 2:1 auf Arbeitszeit und Rentendauer aufzuteilen. Konkret: Ein Anstieg der Lebenserwartung um ein Jahr würde zu zwei Dritteln (acht Monate) auf eine längere Erwerbsphase und zu einem Drittel (vier Monate) auf eine längere Rentendauer aufgeteilt. Im Ergebnis könnte zum Beispiel im Jahr 2042 ein Rentenzugangsalter von 68 Jahren erreicht werden. Der Anstieg des Beitragssatzes würde dadurch langfristig gedämpft.

in Kürze Der Beirat empfiehlt ein flexibleres „Renteneintrittsfenster“.

An die Stelle der punktgenauen Regelaltersgrenze soll nach Einschätzung des Wissenschaftlichen Beirats ferner ein flexibleres „Renteneintrittsfenster“ treten, innerhalb dessen das Eintrittsalter (und damit die Rentenhöhe) frei wählbar sein soll. Innerhalb des Renteneintrittsfensters sollten Arbeitnehmende ein Weiterbeschäftigungsrecht erhalten, sofern betriebliche Gründe nicht dagegen sprechen und der Arbeitgeber keine Arbeitsmängel belegen kann.

Rente

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Rentenanpassung reformieren, Informationskampagne starten

Ferner stellt der Beirat zwei grundsätzliche Optionen vor. Ein „Preisdynamisierungsmodell“ sähe vor, für die Zugangsrente (Rente bei Renteneintritt) eine Haltelinie für das Sicherungsniveau (Verhältnis zwischen Renten und Löhnen) zu gewährleisten, die Renten dann anschließend (sogenannte Bestandsrenten) jedoch lediglich mit der Inflationsrate anstatt wie bisher mit den Lohnsteigerungsraten fortzuschreiben. Alternativ könnte bei einem „Sockelschutzmodell“ das Niveau nur eines Teils der erworbenen Ansprüche durch eine „Haltelinie“ geschützt werden; der übrige Teil der Ansprüche würde hingegen geringer bewertet. Der Beirat spricht sich nicht für ein konkretes Modell aus, drängt jedoch zu einer zeitnahen politischen Debatte. Da beide Optionen Vor- und Nachteile hätten, könnten auch Mischmodelle gewählt werden.

Bis zum Jahr 2042 könnte das Rentenzugangsalter weiter auf 68 Jahre steigen.

Darüber hinaus solle die Definition der sogenannten „Standardrente“ an das gestiegene Regelrenteneintrittsalter angepasst werden. Die fiktive Person des „Standardrentners“ bezieht im Erwerbsleben jedes Jahr den durchschnittlichen Lohn. Die Rente des Standardrentners im Verhältnis zum Durchschnittsentgelt der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten wird als das „Rentenniveau“ oder das „Sicherungsniveau“ bezeichnet und steht in der politischen Debatte oft im Mittelpunkt. Letztlich soll mit dem „Rentenniveau“ sichergestellt werden, dass sich der Lebensstandard von Rentenbeziehern weiterhin so entwickelt wie der Lebensstandard der Erwerbstätigen. Selbst bei einem sinkenden „Rentenniveau“ sind nach dieser Definition absolute Rentensteigerungen zum Beispiel in Höhe der Inflationsrate möglich.

In Kürze Die Fortführung der „doppelten Haltelinie“ dürfte teuer werden.

Derzeit wird unterstellt, dass der Standardrentner auch in Zukunft ein Erwerbsleben von 45 Jahren haben werde, obwohl das Rentenzugangsalter bis 2030 auf 67 Jahre steigt; deshalb sollte für den Standardrentner nach Ansicht des Beirats dementsprechend ein Erwerbsleben von 47 Jahren Grundlage der Berechnungen sein. Durch die Beibehaltung der alten Definition würde das Sicherungsniveau kleiner dargestellt, als es tatsächlich sei.

Berechnung des Standardrentners von 45 auf 47 Erwerbsjahre ändern.

Schließlich empfiehlt der Beirat, die Rentenreform mit einer Informationskampagne zu verbinden. Diese Kampagne solle über die Möglichkeiten und Grenzen einer Reform aufklären sowie ­abstrakt komplizierte Begriffe des Rentenrechts durch leichter verständliche ersetzen. Ein wichtiger Punkt sei dabei aufzuzeigen, welche Dimension notwendige Bundeszuschüsse erreichen würden, wenn eine Reform ausbleibt: So würde beispielsweise eine Fortführung der derzeit geltenden „doppelten Haltelinie“ (mit 48 % Sicherungsniveau und einem auf maximal 20 % steigenden Beitragssatz) nach Berechnungen des Beirats noch vor Mitte des Jahrhunderts dazu führen, dass mehr als die Hälfte des Bundeshaushalts in die Rente fließt.

in Kürze Mehr als 50% des Bundeshaushalts könnten nach den Beiratsberechnungen auf lange Sicht in die Rente fließen.

Der Wissenschaftliche Beirat wurde 1948 gegründet und war das erste unabhängige Gremium der wissenschaftlichen Politikberatung im Nachkriegsdeutschland. Aufgabe des Beirats ist es seither, die Bundesministerin oder den Bundesminister für Wirtschaft unabhängig in allen Fragen der Wirtschaftspolitik zu beraten. Der Beirat bestimmt den Gegenstand seiner Beratungen selbst und tagt fünfmal im Jahr. Die Ergebnisse seiner Beratungen teilt er in Form gutachterlicher Äußerungen mit. Sie werden regelmäßig veröffentlicht. Dem Beirat gehören momentan 39 Mitglieder an. Es sind Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die auf dem Gebiet der Wirtschafts- oder Rechtswissenschaften als Hochschullehrende tätig sind. Sie werden auf Vorschlag des Beirats von der Bundesministerin oder dem Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz berufen und abberufen.

Mehr zum Thema
Das Gutachten des Beirats ist hier abrufbar:

www.bmwK.de/vorschlag-rente.html

Kontakt
Dr. KENAN ŠEHOVIĆ
Referat: Grundsatzfragen der Wirtschaftspolitik

schlaglichter@bmwi.bund.de