1. GETRÜBTE WACHSTUMSPERSPEKTIVEN UND VERSTÄRKTE RISIKEN PRÄGEN DIE WELTWIRTSCHAFTLICHE ENTWICKLUNG

Die globalen Wachstumsaussichten haben sich zum Ende des Jahres 2022 weiter eingetrübt, die Risiken haben zugenommen. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine dämpft in allen Regionen das Wachstum, treibt die Inflation und verstärkt Knappheiten in Einzelmärkten. Der Rückgang des Wachstums in China – bedingt durch die dortige Immobilienkrise und die strikte Corona-Eindämmungspolitik – bremst die Entwicklung zusätzlich. Von höheren Energiepreisen ist Europa besonders betroffen. Die baltischen und osteuropäischen Staaten sowie Deutschland spüren die größten Auswirkungen, ihr Wachstum hat sich im zweiten und dritten Quartal stark verlangsamt und ihre Inflationsraten sind in die Höhe geschnellt. In ganz Europa kommen ein schwächeres Verbrauchervertrauen und eine verlangsamte Dynamik im Verarbeitenden Gewerbe aufgrund zwar nachlassender, aber immer noch anhaltender Unterbrechungen der Lieferketten und steigender Inputkosten erschwerend hinzu. Unterschiede innerhalb Europas beruhen im Wesentlichen auf unterschiedlichen wirtschaftlichen Strukturen: das Produzierende Gewerbe ist viel stärker von den gestiegenen Energiepreisen betroffen als der Dienstleistungssektor.

STIMMUNG BEI UNTERNEHMEN SOWIE KONSUMENTINNEN UND KONSUMENTEN WELTWEIT WENIG ZUVERSICHTLICH

Einkaufsmanagerindizes, als Gradmesser der Stimmung im Verarbeitenden Gewerbe und bei Dienstleistungsunternehmen, zeigen über das Jahr hinweg einen recht turbulenten Verlauf, der u. a. die chinesischen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie und deren spätere Lockerung reflektiert. Am aktuellen Rand fällt die Stimmung im Verarbeitenden Gewerbe der Schwellenländer knapp unter die Wachstumsschwelle, in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften verbleibt sie nur knapp darüber. Der graduelle Rückgang der Stimmungsindikatoren dürfte die Abschwächung der globalen Nachfrage widerspiegeln und sich in den kommenden Monaten weiter fortsetzen. Das Vertrauen der Verbraucherinnen und Ver- braucher ist in den großen Wirtschaftsräumen gesunken – einzig die Haushalte in den USA zeigen eine leichte Tendenz zum Optimismus.

ENTWICKLUNG VON EINKAUFSMANAGERINDIZES UND KONSUMENTENVERTRAUEN Bild vergrößern

ENTWICKLUNGSLÄNDER BESONDERS UNTER DRUCK

Viele Entwicklungsländer stehen mit Blick auf die Ernährungssicherheit vor großen Herausforderungen. Der Einbruch der Lebensmittelexporte aus der Ukraine insbesondere zu Beginn des Kriegs hat die Lebensmittelpreise ansteigen lassen. Diese Dynamik wird von angebotsseitigen Faktoren wie z. B. die von mehreren Ländern eingeführten Exportbeschränkungen noch verstärkt. Dürreperioden in Teilen Chinas und den USA sowie die Weitergabe höherer Düngemittelpreise lassen für die mittlere Frist eher eine Verschärfung als eine Entspannung der Lage erwarten. Besonders betroffen sind Länder, deren Ernährung auf Lebensmittel mit den größten Preissteigerungen ausgerichtet ist (insb. Weizen und Mais) oder die stärker von Lebensmittelimporten abhängig sind. Staaten, deren Bevölkerungen bereits vor dem Krieg an Unterernährung und überhöhter Sterblichkeit litten, verzeichnen besonders schwerwiegende Auswirkungen. Beispielsweise machen in afrikanischen Ländern südlich der Sahara Lebensmittel etwa 40 % des Warenkorbs aus. Zudem werden globale Preisänderungen relativ stark auf inländische Lebensmittelpreise überwälzt. Die ungenügende Ernährungssicherheit in zahlreichen Ländern in Afrika, Asien und dem Nahen Osten erfordern sozialpolitische Maßnahmen, die ohnehin angespannte Staatshaushalte belasten.

Der Internationale Währungsfonds (IWF) beschreibt die Gefahr einer ungeordneten Verschärfung der Finanzierungsbedingungen. Für viele Schwellen- und Entwicklungsländer sei das außenwirtschaftliche Umfeld bereits jetzt sehr schwierig. Die starke Aufwertung des US-Dollars verstärke den inländischen Preisdruck und die Lebenshaltungskostenkrise in diesen Ländern erheblich. Die Kapitalströme hätten sich nach Corona nicht erholt. Viele einkommensschwache Volkswirtschaften befänden sich bereits in einer prekären Verschuldungssituation, die infolge steigender Zinsen verschärft werden könnte. Die konjunkturellen Schocks des Jahres 2022 drohten wirtschaftliche Schieflagen, die sich nach der Pandemie nur teilweise normalisiert hatten, wieder zu verstärken.

WACHSTUMSPROGNOSEN ERNEUT NACH UNTEN KORRIGIERT

Vor diesem recht düsteren Hintergrund sieht der IWF die konjunkturellen Abwärtsrisiken als hoch und die Bewältigung der Lebenshaltungskostenkrise als akute Herausforderung an. Gegenüber der Prognose aus dem Juli hat der IWF im Oktober weitere Abwärtsrevisionen vorgenommen. Deutschland ist besonders stark betroffen (siehe Tabelle 1).

Die Risiken sind aus Sicht des IWF überwiegend abwärtsgerichtet: Ein erneuter Anstieg des Ölpreises, eine stärkere Verschlechterung an den Finanzmärkten als erwartet, mit höheren Risikoaufschlägen auf Staatsanleihen von Schwellenländern und verschärften Finanzierungsbedingungen für Unternehmen sowie eine Fortdauer der Immobilienkrise in China gelten als die größten Gefahren. Zudem äußert der IWF Sorgen, dass die globalen Lieferketten im Zuge einer „geopolitischen Fragmentierung“ dauerhaft in Mitleidenschaft gezogen werden könnten.

TABELLE 1: WACHSTUMSPROGNOSEN DES IWF UND IHRE ANPASSUNGEN Bild vergrößern

Im aktuellen Jahresgutachten (09.11.2022) zeichnet der Sachverständigenrat ein sehr ähnliches Lagebild und erwartet, dass die Energiepreise in Europa und Asien im nächsten Jahr nur langsam sinken werden, was die Produktionskosten weiter erhöhen und zu einer fortschreitenden Überwälzung auf die Verbraucherpreise führen dürfte. Die Finanzierungsbedingungen dürften sich infolge der weltweiten Straffung der Geldpolitik ungünstiger entwickeln als in den vergangenen Jahren. Bei den angebotsseitigen Engpässen zeichne sich auch aufgrund der nachlassenden Nachfrage eine Entspannung auf hohem Niveau ab. Der weiterhin hohe Auftragsbestand vieler Unternehmen dürfte indes die Produktion stützen, wenn die angebotsseitigen Engpässe weiter abklingen. In seiner Prognose ist der Sachverständigenrat pessimistischer als der IWF und erwartet für die Weltwirtschaft ein Wachstum von 2,8 % im Jahr 2022 und von 1,9 % in 2023. Auch private Analysten sehen die Wachstumsperspektiven mehrheitlich pessimistischer als der IWF (Oxford Economics: 2,9 % in 2022 und 1,3 % in 2023).

2. WELTHANDEL: RÜCKKEHR ZU PRÄPANDEMISCHEM NIVEAU VERLANGSAMT SICH

Für das Wachstum des Welthandels erwartet der IWF eine deutliche Verlangsamung von 10,1 % im Jahr 2021 auf voraussichtlich 4,3 % im Jahr 2022 und 2,5 % im Jahr 2023. Dies ist zwar ein stärkeres Wachstum als 2019 und 2020, als steigende Handelsschranken den Welthandel bzw. die COVID- 19-Krise lähmten, es liegt aber deutlich unter dem historischen Durchschnitt. Die Verlangsamung spiegelt im Wesentlichen den Rückgang des globalen Produktionswachstums wider. Der Global Supply Chain Pressure Index der Federal Reserve Bank of New York ist in den letzten Monaten gesunken, was vor allem auf eine Verkürzung der Lieferzeiten in China zurückzuführen ist, liegt aber immer noch über seinem normalen Niveau, was auf anhaltende Störungen hinweist.

Dem Kiel Trade Indicator zufolge bilden sich die Staus in der Containerschifffahrt auf hohem Niveau langsam zurück. Die Frachtraten für den Warentransport von China nach Europa lagen im Oktober so niedrig wie zuletzt vor rund zwei Jahren. Die Handelswerte weltweit und für große Volkswirtschaften im Vergleich zum Vormonat sind tendenziell negativ, China legt bei den Exporten aber (preis- und saisonbereinigt) deutlich zu.

Dies ist im Einklang mit dem Containerumschlag-Index des RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung und des Instituts für Seeverkehrswirtschaft und Logistik (ISL), der im September mit saisonbereinigt 126,8 Punkten gegenüber dem Vormonat leicht gestiegen ist, wobei der Zuwachs vor allem aus den chinesischen Häfen resultiert, während er sich in den nordeuropäischen Häfen abgeschwächt hat. Hier scheint sich die konjunkturelle Abschwächung durch die steigenden Energiepreise stärker im Containerumschlag auszuwirken als im Rest der Welt.

GÜTERMENGE AUF UNBEWEGTEN SCHIFFEN Bild vergrößern

Trotz rückläufigem Wachstum des Welthandels haben sich die globalen Handelssalden ausgeweitet: Nach einer Schrumpfung im Zeitraum 2011– 2019 ist die Summe der absoluten Leistungsbilanzüberschüsse und -defizite aller Volkswirtschaften während der COVID-19-Krise gewachsen und dürfte bis Ende 2022 weiter ansteigen. Diese Bilanzverlängerung geht auf die Pandemie sowie den Anstieg der Rohstoffpreise zurück, der die Salden der Nettoexporteure von Öl erhöht und die der Nettoimporteure verringert hat. Eine Verlängerung der globalen Leistungsbilanz ist nicht zwangsläufig negativ. Tendenziell können übermäßige globale Ungleichgewichte aber Handelsspannungen und protektionistische Maßnahmen schüren oder das Risiko plötzlicher Währungs- und Kapitalflussbewegungen erhöhen.

3. INFLATION: WELTWEIT WEITER AUF DEM VORMARSCH, ABER WENDEPUNKT IN SICHT

Trotz eingetrübter Wachstumsaussichten revidiert der IWF die Vorhersage für die weltweite Inflation in 2022 und 2023 abermals auf nunmehr 8,8 % bzw. 6,5 % nach oben. Die starke Nachfrageerholung des letzten Jahres und eine anhaltende Umschichtung der Nachfrage zugunsten von Dienstleistungen haben die Teuerungsrate in die Höhe getrieben. 2022 erreichte sie in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften den höchsten Stand seit 1982. Die Inflation ist zwar ein nahezu globales Phänomen, hat aber die schwerwiegendsten Auswirkungen auf einkommensschwache Gruppen in den Entwicklungsländern. Dort entfällt bis zur Hälfte der Konsumausgaben der Haushalte auf Lebensmittel, sodass sich die Inflation besonders stark auf Gesundheit und Lebensstandard der Menschen auswirkt. Trotz eines leichten Rückgangs des Verbraucherpreisindexes im Juli und August erreichte die Inflation in den USA eines der höchsten Niveaus seit etwa 40 Jahren. In der Eurozone erreichte die Inflation im September 10 %, in den Schwellen- und Entwicklungsländern wird sie im dritten Quartal einen Spitzenwert von 11 % erreichen: die höchste Rate seit 1999. In Europa wird die Inflation durch die kriegsbedingten Energieschocks besonders verstärkt, während in Asien ein moderaterer Einfluss auf die Lebensmittelpreise dazu beiträgt, dass die Inflation nicht so stark ansteigt wie andernorts. Die globale Kerninflation, gemessen ohne Lebensmittel- und Energiepreise, dürfte im vierten Quartal gegenüber dem Vorquartal bei 6,6 % liegen, was die Weitergabe der Energiepreise, den Kostendruck in der Lieferkette und die angespannte Lage auf den Arbeitsmärkten, insbesondere in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften, reflektiert.

Trotz einiger Unsicherheitsfaktoren sind die langfristigen Inflationserwartungen in den meisten großen Volkswirtschaften im Allgemeinen stabil geblieben. Unter der Prämisse, dass die großen Zentralbanken die geldpolitische Straffung fortsetzen und die Energiepreise wieder sinken, dürfte der Höhepunkt der Inflationsentwicklung laut IWF in den meisten Ländern 2023 überschritten werden. Die Prognosen für 2024 sind relativ unverändert und spiegeln die Zuversicht wider, dass die Inflation zurückgeht, wenn die Zentralbanken ihre Politik straffen und die Energiepreise sinken. Der prognostizierte Inflationsrückgang ist für die fortgeschrittenen Volkswirtschaften verhältnismäßig größer als für andere Ländergruppen. Dies steht im Einklang mit der Vorstellung, dass entwickelte Volkswirtschaften von einer größeren Glaubwürdigkeit der geldpolitischen Rahmenbedingungen profitieren und dass dies zu einer Verringerung der Inflation beiträgt. Vor diesem Hintergrund misst der Währungsfonds der Inflationsbekämpfung eine hohe Priorität bei, warnt aber auch vor möglichen negativen Effekten einer restriktiven Geldpolitik der entwickelten Volkswirtschaften auf einige stark verschuldete Entwicklungs- und Schwellenländer. Weltweit stehe die Geld- und Fiskalpolitik vor der Herausforderung, bei der Konsolidierung eine Balance zwischen Behutsamkeit und Entschlossenheit zu finden.

4. EINZELNE LÄNDER UND REGIONEN: GRAUTÖNE DOMINIEREN ALLERORTEN

Die Konjunktur in den USA hat sich im Laufe des Jahres 2022 deutlich abgekühlt, im zweiten Quartal 2022 ist die US-Wirtschaft zum zweiten Mal in Folge geschrumpft. Das Wachstum wird gemäß IWF-Prognose von 5,7 % im Jahr 2021 auf 1,6 % im Jahr 2022 und 1,0 % im Jahr 2023 zurückgehen, der SVR erwartet 1,9 % (2022) und 0,4 % (2023). Das rückläufige verfügbare Einkommen beeinträchtigt die Verbrauchernachfrage, und auch die höheren Zinssätze wirken sich erheblich auf die Ausgaben aus, insbesondere auf die Immobilieninvestitionen. Am aktuellen Rand sind die Indizien gemischt: Stimmungsindikatoren im Dienstleistungssektor und im Verarbeitenden Gewerbe notierten zuletzt unterhalb der Wachstumsschwelle von 50 Punkten, während die Einzelhandelsumsätze (ohne Handel mit Kraftfahrzeugen) und die Industrieproduktion gewachsen sind. Auch der Arbeitsmarkt wirkt noch stützend. Die steigenden Zinsen dürften die Investitionen und den privaten Konsum allerdings weiter dämpfen und den Immobilienmarkt weiter eintrüben.

Mit Ausnahme von 2020, dem Beginn der COVID-19-Krise, erlebte China 2022 das niedrigste Wachstum seit mehr als vier Jahrzehnten. Erneute Corona-Ausbrüche und sehr restriktive Maßnahmen zu deren Eindämmung sowie die sich verschärfende Krise auf dem Immobilienmarkt haben die Wirtschaftstätigkeit stark reduziert. Zwar waren die jüngsten Monatsindikatoren wieder leicht aufwärtsgerichtet, die Erholung dürfte aber fragil bleiben. Unsicherheit über die fortgesetzte Null-Covid-Politik und mögliche weitere Lockdowns haben die Geschäftserwartungen für die kommen- den 12 Monate auf den niedrigsten Wert seit Ausbruch der Pandemie gebracht. Das Konsumentenvertrauen ist stärker zurückgegangen als im Frühjahr 2020. Da von der Auslandsnachfrage angesichts der weltweiten konjunkturellen Abkühlung kein positiver Impuls ausgehen dürfte, erwartet der SVR ein Wachstum des realen BIP von nur 3,5 % in 2022, der IWF geht von 3,2 % aus. Mit der Erwartung von 5,8 % Wachstum in 2023 blicken die Wirtschaftsweisen allerdings optimistischer auf das Reich der Mitte als der IWF (+4,4 %).

In Japan sind die Auswirkungen der Corona-Pandemie weiterhin mehr zu spüren als in vielen anderen fortgeschrittenen Volkswirtschaften. Das Land war stark von Covidbedingten Schließungen in China und Störungen der Lieferketten betroffen. Die Lockerungen in China kamen Japan dagegen besonders zugute und die Konsumausgaben der privaten Haushalte erholten sich, insbesondere im Dienstleistungssektor. Die Verbraucherpreisinflation erreichte mit 3,0 % gegenüber dem Vorjahr im August 2022 den höchsten Wert seit drei Jahrzehnten. Dies ist maßgeblich der Abwertung des Yen, als Folge des Festhaltens der Notenbank an ihrer expansiven Strategie, geschuldet, die die japanischen Importe verteuert. Das schwache außenwirtschaftliche Umfeld belastet zudem die exportorientierte Wirtschaft. Die Abkühlung der Weltwirtschaft dürfte die Erholung in Japan allerdings nur verlangsamen, aber nicht grundsätzlich gefährden. Der Sachverständigenrat und der IWF erwarten daher für 2022 und 2023 konstante Wachstumsraten von je 1,5 % (SVR) bzw. 1,7 % (IWF).

Für die Eurozone hebt die EU-Kommission ihre jüngste Prognose für 2022 nach zuletzt unerwartet hohem Wachstum auf 3,2 % an, senkt sie jedoch für 2023 auf 0,3 %. Damit liegen ihre Erwartungen sehr nahe bei denen des SVR (+0,3 %) und IWF (+0,5 %). 2024 erwartet die EU-Kommission wieder moderates Wachstum mit 1,5 % und eine „gezähmte“ – jedoch weiter über dem EZB-Ziel von 2 % liegende – Inflationsrate von 2,6%. Ein historisch großer Terms-of-trade-Schock wegen der kriegsbedingten Turbulenzen auf den Energiemärkten erodiere die Kaufkraft privater Haushalte. Höhere Kosten für Arbeit und Kapital dämpften die Finanzierungsfähigkeit von Firmen, angebotsseitige Störungen aufgrund von Knappheiten hielten an; insg. erwartet die EU-Kommission deutlich fallende Investitionen, jedoch keine größere Zerstörung von Kapital und nur begrenzt steigende Insolvenzen. Bei der Inflation geht die EU-Kommission bis Jahresende von weiter steigenden Energiepreisen aus, staatliche Unterstützungsmaßnahmen erschwerten aber die Prognose. Die Diversifikation der Energieversorgung gehe über den Prognosehorizont (2024) hinaus, die Energiepreise dürften 2024 wieder fallen. Ähnliches sagt die EU-Kommission bei Lebensmitteln voraus, sodass sie die Kerninflation (ohne Preise für Lebensmittel und Energie) in 2024 überwiegend über der Gesamtinflationsrate sieht. Letztere sieht die EU-Kommission 2022 bei 8,5 % und 2023 bei 6,1 %.

Russland und seine Binnenwirtschaft zeigen sich weiterhin robuster als erwartet. Insbesondere das Exportgeschäft mit Öl, Gas und Kohle war lukrativer, als die meisten Prognosen vorhergesehen hatten. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Sanktionen wirkungslos sind. Vielmehr dürfte sich die volle Wirkung der Sanktionen stärker als zunächst gedacht in den Zahlen für 2023 niederschlagen. Die militärische Teilmobilisierung von bis zu 1 Mio. Personen und die damit verbundenen Fluchtbewegungen dürften die Erwerbspersonenzahl und damit das Arbeitsangebot deutlich reduzieren. Die beschlossenen Sanktionen gegen russisches Rohöl sowie die weitestgehende Einstellung der Erdgaslieferungen nach Europa drücken die Konjunktur zudem nachhaltig. Demgegenüber wirkt insbesondere der Staatskonsum derzeit stützend. Unter der Einschränkung, dass die Prognose mit großer Unsicherheit behaftet ist, geht der SVR von einem negativen Wirtschaftswachstum von je -5,2 % in 2022 und 2023 aus. Der IWF erwartet mit -3,4 % in 2022 und -2,3 % in 2023 deutlich kleinere Einbrüche.

In der Gesamtschau sind die Risiken präsenter als die Chancen.