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Das Wichtigste in Kürze

Die deutsche Wirtschaft hat sich angesichts der Belastungen aus den geopolitischen Unsicherheiten und der Energie­preiskrise über das Winterhalbjahr 2022/23 als äußerst anpassungs­- und widerstandsfähig erwiesen. Zwar haben die massiven Preissteigerungen infolge des völkerrechts­widrigen Überfalls Russlands auf die Ukraine, die zwischen­zeitlich erheblichen Lieferengpässe und die inflationsbe­dingten Kaufkraftverluste die Wirtschaft sowie die Verbraucherinnen und Verbraucher spürbar belastet, wes­halb die Wirtschaftsleistung trotz der umfangreichen staat­lichen Stabilisierungsmaßnahmen zum Jahresendquartal 2022 rückläufig war. Zentrale Risiken wie eine mögliche Gasmangellage und erneut deutlich steigende Energieprei­se haben sich jedoch dank der Auffüllung der Speicher im Jahresverlauf, der Energieeinsparungen der Unternehmen und privaten Haushalte sowie infolge des vergleichsweise milden Winters nicht realisiert.

Zu Jahresbeginn haben sich die Auftriebskräfte spürbar ver­stärkt. Die Wertschöpfung in der Industrie hat sich infolge der weiteren Normalisierung der Lieferketten­- und Mate­rialengpässe, der wieder deutlich rückläufigen Energie ­preise sowie der moderaten globalen Erholung belebt. Auch die Produktion in den energieintensiven Branchen, die infolge der gestiegenen Gas­- und Strompreise im zweiten Halbjahr 2022 deutlich zurückgefahren wurde, war zuletzt wieder aufwärtsgerichtet. Der Bau konnte von der zumeist milden Witterung im Winter profitieren und bestehende Aufträge abarbeiten. Im weiteren Jahresverlauf dürfte sich diese Entwicklung im Zuge rückläufiger Energie-­ und Ver­braucherpreise, wieder steigender realer Einkommen und einer Belebung der Weltwirtschaft fortsetzen. Die Stabili­sierungsmaßnahmen der Bundesregierung und die Gas-­, Strom-­ und Wärmepreisbremsen als „Versicherung“ gegen erneut steigende Energiepreise unterstützen diesen Erho­lungsprozess und geben der Wirtschaft und den privaten Haushalten Planungssicherheit. Zudem stützen die Maß­nahmen der Entlastungspakete und darüber hinausgehen­de steuerliche Entlastungen den privaten Konsum.

Vor diesem Hintergrund rechnet die Bundesregierung in ihrer Frühjahrsprojektion mit einem Zuwachs des preis­bereinigten Bruttoinlandsprodukts in Höhe von 0,4 % in diesem und 1,6 % im kommenden Jahr.

Die Inflationsrate hat ihren Höhepunkt bereits hinter sich gelassen, bleibt aber zunächst noch auf hohem Niveau. Die Bundesregierung rechnet für dieses Jahr mit einer jahres­durchschnittlichen Rate von 5,9 %. Im Jahr 2024 dürfte sich die Preisdynamik noch weiter beruhigen und die Inflations­rate auf 2,7 % sinken.

Belastungen und Risiken für die konjunkturelle Entwick­lung liegen in den noch sehr hohen Preissteigerungsraten, den ungünstigeren Rahmenbedingungen in der Bauindus­trie mit Blick auf die Kostenentwicklung sowie in ungüns­tigeren Finanzierungsbedingungen. Auch jüngste Refinan­zierungsprobleme einzelner Finanzinstitute infolge der Zinswende und nicht zuletzt die geopolitischen Unsicher­heiten im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine stellen Unsicherheitsfaktoren dar. Dennoch gibt es auch Chancen: Eine günstigere als die in der vorliegenden Pro­jektion angenommene Entwicklung wäre möglich, wenn sich der Anstieg der Verbraucherpreise stärker als erwartet abschwächt, die weltwirtschaftliche Belebung kräftiger aus­fällt und/oder nachlassende geopolitische Spannungen zu einer deutlicheren Stimmungsaufhellung führen.

Schaubild 1 zeigt die Entwicklung des Bruttoinlandspro­dukts im Prognosezeitraum. Die Eckwerte der Frühjahrs­projektion können Tabelle 1 entnommen werden.

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Tabelle 1: Eckwerte der Frühjahrsprojektion 2023

Gesamtwirtschaftliche Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland [1]
2022
Frühjahrs-
projektion
2023
Frühjahrs-
projektion
2024
Veränderung gegenüber Vorjahr in Prozent, soweit nicht anders angegeben
ENTSTEHUNG des Bruttoinlandsprodukts (BIP)
BIP (preisbereinigt)1,80,41,6
Erwerbstätige (im Inland)1,30,80,2
BIP je Erwerbstätigen0,5-0,41,4
BIP je Erwerbstätigenstunde0,4-0,80,6
nachrichtlich:
Erwerbslosenquote in Prozent (ESVG-Konzept) [2]2,82,72,6
Arbeitslosenquote in Prozent (Abgrenzung der BA) [2]5,35,45,2
VERWENDUNG des BIP in jeweiligen Preisen (nominal)
Konsumausgaben
Private Haushalte und private Organisationen ohne Erwerbszweck11,65,44,3
Staat6,42,54,0
Bruttoanlageinvestitionen11,34,54,0
Vorratsveränderungen und Nettozugang an Wertsachen (Mrd. EURO)87,9108,0111,4
Inlandsnachfrage11,15,04,1
Außenbeitrag (Mrd. EURO)79,5129,5129,9
Außenbeitrag (in Prozent des BIP)2,13,23,0
Saldo der Leistungsbilanz (in % des BIP)4,35,55,5
Bruttoinlandsprodukt (nominal)7,46,14,0
VERWENDUNG des BIP preisbereinigt (real)
Konsumausgaben
Private Haushalte und priv. Organisationen ohne Erwerbszweck4,3-0,12,1
Staat1,2-0,11,2
Bruttoanlageinvestitionen0,4-1,01,3
Ausrüstungen3,32,43,6
Bauten-1,7-4,1-0,5
Sonstige Anlagen2,13,33,3
Vorratsveränderung und Nettozugang an Wertsachen (Impuls) [3]0,50,40,0
Inlandsnachfrage3,10,01,7
Exporte2,91,33,3
Importe6,00,63,5
Außenbeitrag (Impuls) [3]-1,20,40,0
Bruttoinlandsprodukt (real)1,80,41,6
Preisentwicklung (2015 = 100)
Verbraucherpreisindex6,95,92,7
Konsumausgaben der privaten Haushalte6,95,52,2
Inlandsnachfrage7,74,92,4
Bruttoinlandsprodukt [4]5,55,72,3
VERTEILUNG des Bruttonationaleinkommens (BNE)
(Inländerkonzept)
Arbeitnehmerentgelte5,86,65,6
Unternehmens- und Vermögenseinkommen0,410,4-5,0
Volkseinkommen4,27,72,5
Bruttonationaleinkommen7,26,33,9
nachrichtlich (Inländerkonzept):
Arbeitnehmer1,50,90,2
Bruttolöhne und -gehälter6,36,65,5
Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer4,85,65,3
Verfügbares Einkommen der privaten Haushalte7,04,84,8
Sparquote in Prozent [5]11,410,711,0

[1] Bis 2022 vorläufige Ergebnisse des Statistischen Bundesamtes; Stand: Februar 2023;
[2] Bezogen auf alle Erwerbspersonen;
[3] Absolute Veränderung der Vorräte bzw. des Außenbeitrags in Prozent des BIP des Vorjahres (= Beitrag zur Zuwachsrate des BIP);
[4] Lohnstückkosten je Arbeitnehmer; Veränderung gegenüber Vorjahr: 2022: 3,7%; 2023: 6,0%; 2024: 3,9%;
[5] Sparen in Prozent des verfügbaren Einkommens der privaten Haushalte einschl. betrieblicher Versorgungsansprüche.

Annahmen der Frühjahrsprojektion 2023

In Übereinstimmung mit Prognosen internationaler Organisationen wird für die Weltwirtschaft ein Wachstum in Höhe von 2,8 % in diesem Jahr und 3,0 % im kommenden Jahr erwartet.

Für die Entwicklung des Ölpreises wird eine technische Annahme auf Basis von Terminnotierungen zum Zeitpunkt des Projektionsabschlusses getroffen. Demnach ist für das aktuelle Jahr von einem durchschnittlichen Rohölpreis für ein Fass der Sorte Brent von rund 82 US-Dollar auszugehen, im kommenden Jahr dürfte der Preis dann auf 78 US-Dollar fallen. Für den Gaspreis wird für den Jahresdurchschnitt 2023 – ebenfalls auf Basis von Terminnotierungen – ein Preis von 48 Euro pro MWh erwartet. Im Jahr 2024 dürfte der durchschnittliche Gaspreis dann bei 54 Euro pro MWh liegen. Zum Vergleich: Im Jahr der Energiepreiskrise (2022) lag der Gaspreis durchschnittlich bei 123 Euro pro MWh.

Außenhandel: Terms of Trade verbessern sich wieder

Nach einem schwachen Jahresschluss 2022 zeichnet sich in der Weltwirtschaft am aktuellen Rand eine leichte Erholung ab. Die Stimmung hatte sich zuletzt deutlich aufgehellt. Die regionale Belebung dürfte aber noch recht heterogen ver­laufen. Die für Deutschland als Absatzmärkte besonders wichtigen Volkswirtschaften der Europäischen Union dürf­ten in diesem Jahr noch geringe Wachstumsraten von durch­schnittlich +0,7 % realisieren, da hier die Betroffenheit durch die Energiekrise besonders ausgeprägt war. Die aufstreben­den großen Volkswirtschaften wie China (+5,2 %) oder In­dien (+5,9 %) könnten hingegen vergleichsweise kräftig wachsen. Im Jahr 2024 dürfte die Erholung dann auch in der Europäischen Union deutlicher ausfallen (+1,6 %).

Vor diesem Hintergrund rechnen internationale Organisa­tionen wie der IWF mit einem Anstieg des Welthandelsvo­lumens um knapp 3 % in diesem und rund 4 % im kommen­den Jahr. Die deutschen Absatzmärkte dürften infolge des höheren Gewichts in Europa mit rund +2 ½ % in diesem Jahr und +3 % im kommenden Jahr etwas schwächer zulegen.

Mit der Erholung der Absatzmärkte wird auch eine Bele­bung der deutschen Exporte im weiteren Jahresverlauf er­wartet. Während der Zuwachs in diesem Jahr mit +1,3 % infolge des schwachen Jahreseinstiegs noch relativ niedrig ausfallen dürfte, wird für das Jahr 2024 mit einer fortgesetz­ten Erholung auf jahresdurchschnittlich +3,3 % gerechnet.

Die Importe dürften in diesem Jahr aufgrund der anfangs noch schwachen Binnendynamik zunächst ebenfalls um jahresdurchschnittlich +0,6 % vergleichsweise gering zu­nehmen. Im Jahr 2024 dürften im Zuge der Erholung des privaten Konsums und wieder zunehmender Investitions­tätigkeit auch die Inlandsnachfrage anziehen und die Im­porte sich um +3,5 % erhöhen.

Da die Energiepreise zuletzt deutlich gefallen sind, dürften sich im Jahr 2023 auch die Terms of Trade, das preisliche Austauschverhältnis von Aus­- und Einfuhren der deutschen Volkswirtschaft, wieder verbessern. Während im Jahr 2023 die Importpreise sogar rückläufig sein dürften, steigen die Exportpreise voraussichtlich leicht an. Verbessern sich die Terms of Trade, führt dies unter sonst gleichen Bedingungen zu einem höheren Leistungsbilanzsaldo. Dies kann man auch für Deutschland im Projektionszeitraum beobachten. Nach einem energiepreisbedingten Rückgang des Saldos der Leistungsbilanz im Verhältnis zum Bruttoinlandspro­dukt im Jahr 2022 auf 4,3 % wird für die kommenden beiden Jahre ein Anstieg auf rund 5 ½ % erwartet.

Steigende (Finanzierungs-)kosten dämpfen Investitionstätigkeit

Derzeit wird das deutsche Investitionsklima vor allem von drastischen Kostensteigerungen getrübt. Das stark erhöhte Preis-­ und Zinsniveau dämpft die Nachfrage nach Investi­tionsgütern und belastet die Bautätigkeit, wenn auch die Realzinsen nach wie vor im historischen Vergleich günstig sind. Zusätzlich dämpft die weiterhin große Unsicherheit die Investitionsneigung in Deutschland. Zwar haben die Unwägbarkeiten im Vergleich zum Jahreswechsel im Zuge der allmählichen Auflösung der Lieferengpässe bei Gas und anderen Rohstoffen sowie wichtigen Vorprodukten abge­nommen. Gemessen am ifo Dispersionsindex liegt die Ungewissheit bei den Unternehmen im Verarbeitenden Gewerbe aber noch auf ähnlichem Niveau wie zu Zeiten der Finanzkrise 2008/09.

Im Rahmen der Frühjahrsprojektion geht die Bundesregie­rung davon aus, dass die Bruttoanlageinvestitionen im Jahr 2023 um 1,0 % zurückgehen und im Jahr 2024 um 1,3 % an­steigen. Der Staat unterstützt die Erholung in erheblichem Maß: Zum einen werden die staatlichen Ausrüstungsinves­titionen kräftig erhöht (v. a. im Bereich der Bundeswehr). Zum anderen geben Zuschüsse für energetische Sanierun­gen und Programme, unter anderem aus dem Energie-­ und Klimafonds (EKF), beträchtliche Anreize und Investitions­impulse für den privaten Bereich mit Blick auf die Trans­formation hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft. Die Investitionsquote, also der Anteil der nominalen Brutto­anlageinvestitionen am nominalen BIP, bleibt bis zum Ende des Prognosezeitraums stabil bei etwa 22,2 %.

Die Bauinvestitionen werden durch die gestiege­nen Finanzierungs-­ und Baukosten besonders belastet, weshalb für diese preisbereinigte Rückgänge von 4,1 % in diesem und 0,5 % im nächsten Jahr unterstellt wer­den. Erst im Jahresverlauf 2024 wird mit einer Stabilisierung der Bauinvestitionen gerechnet. Wachstumsimpulse dürf­ten dann vor allem vom Wohnungsbau ausgehen, begüns­tigt durch die nach wie vor hohe Nachfrage nach Wohn­raum und den hohen energetischen Sanierungsbedarf. Im Vergleich zu den Vorjahren fallen die Steigerungsraten hier allerdings nach der allmählichen Abarbeitung der vollen Auftragsbücher deutlich geringer aus. Auf der Angebots­seite dürfte auch der Fachkräftemangel für eine insgesamt verhaltene Bauproduktion sorgen.

Von den Ausrüstungsinvestitionen dürften dagegen über den gesamten Projektionszeitraum hinweg spürbare posi­tive Impulse ausgehen. Zwar dämpfen die Unsicherheit im Zusammenhang mit geopolitischen Konflikten und das erhöhte Zinsniveau für Unternehmenskredite die Investi­tionstätigkeit. Andererseits verfügt der Unternehmenssek­tor infolge der günstigen Gewinnentwicklung der letzten Jahre über eine ausreichende Eigenkapitalbasis, um (zum Teil noch wegen der Pandemie) zurückgestellte Investitions­vorhaben aus eigenen Mitteln finanzieren zu können. Zu­dem hat sich ein hoher Bedarf an Ersatz-­ und energetischen Erneuerungsinvestitionen aufgebaut. Die hohe Kapazitäts­auslastung und die vollen Auftragsbücher mit einer mitt­leren Reichweite von fast einem Jahr sorgen zudem für erhöhten Bedarf an Maschinen und Anlagen. Vor diesem Hintergrund wird ein Zuwachs bei den Ausrüstungsinves­titionen von 2,4 % in diesem und eine weitere Steigerung um 3,6 % im kommenden Jahr angenommen.

Inflation hat Höhepunkt überschritten

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine führte zu einer tiefgreifenden Energiekrise, in deren Folge im Herbst letzten Jahres die Inflationsrate in Deutschland einen Hö­hepunkt von nahezu 9 % erreichte. Im Durchschnitt des Jahres 2022 lag die Inflationsrate bei 6,9 %, nach 3,1 % im vorangegangenen Jahr. Wesentlicher Treiber der Entwick­lung war der Gaspreis, der sich sehr stark verteuerte und eine dramatische Erhöhung des Strompreises für die pri­vaten Haushalte nach sich zog. Die Verteuerung der Ener­gieträger hat zu Zweitrundeneffekten geführt, die sich erst mit Verzögerung in der Breite der Verbraucherpreise nieder­schlagen. Diese Entwicklung dürfte aus verschiedenen Gründen jedoch nur von vorübergehender Natur sein.

Mit einem Bündel von Maßnahmen u. a. im Rahmen der Entlastungspakete I bis III und der Strom-­, Gas­-, und Wär­mepreisbremsen hat die Bundesregierung zudem dafür gesorgt, dass sich die Belastungen aus dem Energiepreis­anstieg für Unternehmen und private Haushalte in Grenzen halten. Diese Maßnahmen haben Wirkung gezeigt. Der Höhepunkt der Inflationsentwicklung wurde zum Jahres­wechsel überschritten. Im März lag die Inflationsrate um 1,4 Prozentpunkte unter ihrem Höchststand vom Oktober und November 2022, was zum Teil auf einen Basiseffekt zurückzuführen ist. Denn mit Beginn des Krieges in der Ukraine war es von Februar auf März 2022 zu einem sprung­haften Anstieg der Energiepreise gekommen, der nun aus dem Vorjahresvergleich herausgefallen ist. Die Rate blieb aber mit 7,4 % immer noch auf hohem Niveau. Die Termin­kontrakte sprechen dafür, dass der Preisdruck bei der Ener­gie weiter nachlässt und sich der Gaspreis in etwa auf dem aktuellen Niveau einpendelt. Bei den privaten Haushalten dürfte dies aber erst mit einiger Verzögerung zu Entlas­tungen bei den Energiekosten führen. Solange helfen die Gas­-, Strom-­ und Wärmepreisbremsen Haushalten und Unternehmen finanziell spürbar und halten zugleich die Anreize zur Reduktion des Strom-­ und Gasverbrauchs auf­recht. Je nach weiterer Energiepreisentwicklung dürften die Preisbremsen die Inflationsrate im Jahresdurchschnitt 2023 rein rechnerisch um 0,2 bis 0,6 Prozentpunkte senken.

Die Bundesregierung erwartet folglich für das laufende und nächste Jahr ein deutliches Nachlassen der Inflationsdyna­mik mit einem Anstieg von +5,9 % in diesem und +2,7 % im kommenden Jahr. Für diesen Rückgang sprechen vor allem die inzwischen wieder deutlich rückläufigen Energiepreise, die eingeleiteten geldpolitischen Maßnahmen sowie die Entspannung bei den Lieferkettenengpässen. Trotz infla­tionsbedingt höherer tarifpolitischer Abschlüsse ist derzeit keine Lohn-­Preis­-Spirale erkennbar.

Auch wenn es der Bundesregierung mit ihren Entlastungs­paketen gelungen ist, die negativen Folgen der Energiekri­se für die Unternehmen und privaten Haushalte zu begren­zen, so ist die Gefahr stark volatiler Energiepreise an den Weltmärkten angesichts bestehender geopolitischer Risiken nicht gebannt. Auf mittlere und längere Frist kann letztlich nur der zügige Ausbau von erneuerbaren Energien und eine höhere Energieeffizienz zu niedrigen und gleichzeitig si­cheren Energiepreisen führen.

Arbeitsnachfrage weiter auf Rekordhoch

Die Lage am Arbeitsmarkt zeigt sich größtenteils unbeein­druckt von der wirtschaftlichen Abschwächung infolge der Energiekrise, sie ist vielmehr geprägt von einem anhaltend hohen Arbeitskräftebedarf. Zwar stieg zuletzt die registrier­te Arbeitslosigkeit leicht an; allerdings deuten die Frühin­dikatoren von ifo und IAB auf eine Stabilisierung hin, so dass nicht von einer grundsätzlichen Trendwende auszu­gehen ist.

Vor dem Hintergrund einer anhaltend hohen Nachfrage nach Arbeitskräften und einer moderaten kon­junkturellen Erholung dürfte die Erwerbstätigkeit im Projektionszeitraum weiter merklich zulegen.

Nach kräftigen Zuwächsen im ersten Quartal wird für das Gesamtjahr von einem Anstieg um 350.000 Personen aus­gegangen. Im nächsten Jahr könnte die Erwerbstätigenzahl nochmal um gut 100.000 Personen zulegen. Insbesondere in den Dienstleistungsbereichen und dem Öffentlichen Dienst wird Beschäftigung aufgebaut, während die Kurz­arbeit trotz der Energiepreiskrise nur geringfügig angestie­gen ist. Das aktuelle Niveau von knapp 200.000 Personen dürfte im ersten Quartal noch erhalten bleiben und danach wieder zurückgehen.

Bei der Arbeitslosigkeit wird im Jahresdurchschnitt 2023 zwar mit einem leichten Anstieg um rund 70.000 Personen gerechnet. Dahinter steht allerdings maßgeblich ein statis­tischer Überhang durch den Anstieg der Arbeitslosenzahl seit Sommer 2022 infolge der Registrierung ukrainischer Geflüchteter in den Jobcentern. Die günstige konjunktu­relle Ausgangslage in Verbindung mit der anhaltend hohen Arbeitsnachfrage dürfte dazu führen, dass die Arbeitslosig­keit im Jahresverlauf sinkt. Im nächsten Jahr dürfte sie dann um rund 80.000 Personen niedriger liegen.

Löhne und verfügbare Einkommen steigen, Teuerung dämpft privaten Konsum

Die hohen Inflationsraten infolge der Energiekrise haben auch bei den Tariflöhnen zu einem spürbaren Anziehen ge­führt, allerdings bleiben die Abschlüsse deutlich hinter der Preisentwicklung zurück. Die durchschnittlichen Brutto­löhne und ­-gehälter pro Person dürften in diesem und nächstem Jahr deutlich steigen (+5,3 % bzw. +5,6 %). Zu den Lohnsteigerungen tragen auch die Anhebung des gesetz­lichen Mindestlohns auf 12 Euro je Stunde im letzten Jahr sowie die Zahlungen von Inflationsausgleichsprämien, die sich zunehmend in Tarifabschlüssen wiederfinden, bei.

Die Nettolöhne und ­-gehälter je Arbeitnehmer steigen in diesem Jahr aufgrund der von der Bundesregierung be­schlossenen Maßnahmen aus den Entlastungspaketen noch kräftiger als die Bruttolöhne (+6,9 %). Hier wirken sich vor allem die von der Bundesregierung beschlossenen Steuer­erleichterungen im Rahmen des Inflationsausgleichsgeset­zes aus. Auch im nächsten Jahr dürften die Nettolöhne und -­gehälter nochmals deutlich zulegen (+4,9 %).

Die nominalen verfügbaren Einkommen der Haushalte profitieren neben der stabilen Entwicklung am Arbeits­markt auch von den Maßnahmen aus den Entlastungspa­keten. Sie steigen im laufenden und im nächsten Jahr jeweils um 4,8 %. Dennoch dürften die privaten Konsumausgaben am Jahresanfang noch durch die Kaufkraftverluste ange­sichts der hohen Inflationsraten gedämpft sein. Wenn die Inflationsraten im Jahresverlauf nachlassen und die Lohn­steigerungen vermehrt bei den Beschäftigten ankommen, dürfte sich der private Konsum auch wieder erholen. Ins­gesamt erwartet die Bundesregierung für das laufende Jahr in preisbereinigter Rechnung einen leichten Rückgang um 0,1 %. Stabilisierend wirken dabei die staatlichen Entlas­tungspakete und der Abwehrschirm. Ohne diese Maßnah­men wäre das Minus beim privaten Konsum noch merklich größer. Im nächsten Jahr dürfte der private Konsum dann wieder stärker um 2,1 % zulegen.

Produktionslücke, Produktionspotenzial und mittlere Frist

Das Produktionspotenzial wird von der Bundesregierung in Übereinstimmung mit der gemeinsamen EU-­Methode geschätzt und beschreibt die wirtschaftliche Aktivität einer Volkswirtschaft bei Normalauslastung der Produktions­faktoren (konjunkturbereinigte bzw. strukturelle Wirt­schaftsleistung). Das Wachstum des Produktionspotenzials wird in den kommenden Jahren durch die demografische Entwicklung gedämpft. Für das preisbereinigte Potenzial­wachstum erwartet die Bundesregierung in den Jahren 2023 und 2024 einen Wert von 0,9 % bzw. 1,0 %. Bis zum Ende der mittleren Frist 2027 sinkt die Wachstumsrate auf 0,7 %.

Die Produktionslücke (BIP minus Produktionspotenzial) ist nach der erheblichen Unterauslastung der Produktions­faktoren im Zuge der Corona­-Pandemie weiterhin negativ. Die deutsche Wirtschaft befindet sich daher im laufenden Jahr in einer Unterauslastung. Dies spiegelt sich in einer negativen Produktionslücke von rund -­0,9 % des Produk­tionspotenzials wider. Im Jahr 2024 wird die Normalaus­lastung im Zuge der erwarteten, über der Potenzialrate liegenden BIP­-Zunahme wieder nahezu erreicht werden.

Chancen und Risiken

In der dargelegten Frühjahrsprojektion wird üblicherweise die aus Sicht der Bundesregierung wahrscheinlichste Ent­wicklung in den kommenden Jahren zugrunde gelegt. Nach wie vor bestehen allerdings erhebliche Unsicherheiten über die zukünftige Entwicklung, insbesondere mit Blick auf die anhaltenden geopolitischen Spannungen und das Risiko erneuter Lieferkettenengpässe mit Energie­- und Verbrau­cherpreissteigerungen. Ein erneuter Anstieg der Energie­preise wäre mit substanziellen Abwärtsrisiken für die Kon­junktur und die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen verbunden. Auch die geldpolitischen Straffungen in vielen Ländern machen sich in steigenden Finanzierungskosten, restriktiverer Kreditvergabe und Bilanzproblemen in einzel­nen Banken bemerkbar. Binnenwirtschaftlich kommen zudem Risiken aus den inflationsbedingten Kaufkraftver­lusten für den privaten Konsum und einem stär­keren Einbruch der Bauinvestitionen als ange­nommen hinzu.

Dennoch besteht auch die Möglichkeit einer günstigeren Entwicklung als im Rahmen der vorliegenden Projektion angenommen. So könnte ein stärkerer Rückgang der Preis­dynamik die Realeinkommen verbessern, die privaten Haushalte entlasten und den Druck für weitere geldpoliti­sche Schritte vermindern. Eine Auflösung der geopoliti­schen Spannungen, insbesondere mit Blick auf den Krieg in der Ukraine, könnte die Stimmung in den Unternehmen und bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern steigern und ebenfalls expansive Impulse geben. Schließlich könn­te sich die angenommene moderate weltwirtschaftliche Belebung als kräftiger herausstellen und ebenfalls Wachs­tumsimpulse für die stark exportorientierte deutsche In­dustrie liefern.

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Referat: Beobachtung, Analyse und Projektion der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung
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