Ordnungsrahmen für die Digitalisierte Wirtschaft

Die Corona-Krise führt zu einem Digitalisierungsschub in Deutschland. Die Ordnungspolitik ist gefordert: Welche Rahmenbedingungen sollen gelten?

Illustration zum Thema "Ordnungsrahmen für die Digitalisierte Wirtschaft"

© Irena Gajic

Die Digitalisierung wirft bezüglich der Regeln der Sozialen Marktwirtschaft – als Grundlage der deutschen Wirtschaftspolitik – neue Fragen auf. Die zentrale Idee der Sozialen Marktwirtschaft besteht darin, die Freiheit der Wirtschaft und einen funktionierenden Wettbewerb zu schützen und gleichzeitig für soziale Absicherung zu sorgen, so dass alle am Wohlstand teilhaben können. Basis sind die sogenannten Grundsätze der Ordnungspolitik, die auf den Ökonomen Walter Eucken und die Freiburger Schule zurückgehen. Was bedeuten diese Grundsätze für eine digitalisierte Wirtschaft? Im Folgenden werden fünf zentrale wirtschaftspolitische Bereiche untersucht, bei denen aus ordnungspolitischer Sicht Handlungsbedarf besteht.

1. Freien Marktzugang und fairen Wettbewerb sicherstellen

Die Digitalisierung führt zu einer Ausweitung des Angebots an Produkten und Dienstleistungen und damit zu einer Intensivierung des Wettbewerbs, von der Verbraucherinnen und Verbraucher durch niedrigere Preise und eine höhere Produktqualität profitieren können.

Gleichzeitig kann es auf einigen Märkten technologiebedingt auch zu einer starken Zunahme von Marktmacht kommen, die die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs dort gefährdet – diese Gefahr thematisierte Eucken bereits für die analoge Welt (Abbildung 1, Seite 16).

Abbildung 1: Plattformmärkte sind durch Marktkonzentration geprägt (Plattformgröße nach Börsenwert bzw. Wert der jüngsten bekannten Finanzierung; Gesamtwert 10,8 Bio. USD. Stand: Juni 2020) Bild vergrößern

Abbildung 1: Plattformmärkte sind durch Marktkonzentration geprägt

© 2020 Dr. Holger Schmidt, Hamidreza Hosseini, Netzoekonom.de, TU Darmstadt, Ecodynamics.io, Plattform-Index.com

In Kürze
Skalen- und Netzwerkeffekte sind wichtig für digitale Geschäftsmodelle.

Viele digitale Geschäftsmodelle weisen sogenannte Skaleneffekte auf. Diese ergeben sich dadurch, dass Fixkosten typischerweise hoch sind (zum Beispiel Server- und Programmierungskosten) und oft nur von einzelnen, finanzkräftigen Firmen aufgebracht werden können. Gleichzeitig sind die variablen Kosten (die zum Beispiel durch Suchanfragen entstehen) meist jedoch gering, so dass Stückkosten mit wachsendem Geschäftsumfang sinken. Zudem profitieren zum Beispiel Nutzerinnen und Nutzer von sozialen Netzwerken davon, dass der Nutzerkreis der Plattform insgesamt groß ist und weiterhin wächst; es entstehen sogenannte Netzwerkeffekte. Als Folge bilden sich natürliche Monopole und Unternehmen können zu „Superstar-Firmen“ aufsteigen, welche enorme finanzielle Ressourcen erwirtschaften und oftmals mehrere Marktsegmente dominieren. Schließlich können P2B-Konstellationen (Platform to Business) zu einer Abhängigkeit insbesondere kleinerer und mittlerer Unternehmen von den Superstars führen, wodurch sich deren Marktmacht auch auf Nachbarmärkte ausdehnt.

In Kürze
Zugang zu großen und hochwertigen Datensätzen ist ein zentraler Wettbewerbsfaktor.

Daten sind dabei ein zentrales Element vieler digitaler Geschäftsmodelle. Der Zugang zu großen und hochwertigen Datensätzen fördert Innovation und Qualität von Produkten und Diensten. Gleichzeitig kann die exklusive Nutzung von Datenbeständen durch einzelne Unternehmen marktbeherrschende Stellungen schaffen. Wettbewerber, die noch keine Daten sammeln konnten, können sich dann nur schwer am Markt etablieren.

Aus makroökonomischer Sicht bieten Monopolrenten und die damit verbundenen Gewinnerwartungen zwar zunächst Anreize für Innovationen und Produktivitätssteigerungen, insbesondere in der Gründungsphase von Unternehmen. Sobald eine Firma jedoch Marktsegmente dominiert, besteht die Gefahr einer sich abschwächenden Investitions- und Innovationsdynamik. Das kann wiederum negative Effekte auf die Produktivitäts- und Beschäftigungsentwicklung sowie die Einkommensverteilung einer Volkswirtschaft haben. Letztlich schlägt sich geringer oder fehlender Wettbewerb damit in einem entsprechend geringeren gesamtwirtschaftlichen Wachstum nieder.

Deshalb gilt es, faire Wettbewerbsbedingungen sicherzustellen und Markteintrittsbarrieren zu reduzieren. Missbrauch von Marktmacht muss früh und konsequent verhindert werden. Auf europäischer Ebene dient insbesondere die Vertiefung des digitalen Binnenmarkts dem Abbau von Markteintrittsbarrieren durch eine Vereinheitlichung der Regulierung.

Generell sollte der Ordnungsrahmen fortwährend daraufhin überprüft werden, ob bestehende Regulierungen abgebaut werden können. Wo jedoch aufgrund von Netzwerkeffekten Monopolisierungstendenzen entstehen, sollte der Gesetzgeber mit geeigneten Ansätzen entgegenwirken. Dazu gehört in einer digitalen Welt zum Beispiel, den Zugang zu essentiellen Daten für Wettbewerber sicherzustellen. Auch sollte es Nutzerinnen und Nutzern ermöglicht werden, eigene Daten an andere Anbieter übertragen zu können (sogenannte Datenportabilität).

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© Irena Gajic

2. Marktversagen korrigieren und Ressourceneffizienz steigern

Die Digitalisierung kann auf der einen Seite helfen, die Funktionalität von Märkten zu verbessern, zum Beispiel, wenn Informationen für Marktteilnehmer leichter verfügbar sind und dadurch Unsicherheiten verringert werden. Auf der anderen Seite kann die Digitalisierung aber auch über positive und negative Externalitäten zu Marktversagen führen und staatliche Interventionen notwendig machen.

Bei Externalitäten entsteht der Gesellschaft ein Nutzen (positive Externalitäten) bzw. ein Schaden (negative Externalitäten), der jeweils in den Preisen der sie auslösenden Güter und Dienstleistungen nicht vollständig abgebildet wird; es kommt zu einer Unter- bzw. Überproduktion dieser Güter und Dienstleistungen.

Der Ausbau von leistungsfähigen Breitbandanschlüssen bewirkt beispielsweise einen positiven externen Effekt in zahlreichen anderen Branchen. Leistungsfähige Breitbandanschlüsse sind Grundlage für die Nutzung digitaler Dienste und neuer Geschäftsmodelle, fördern damit Innovation und Wachstum und können so auch einen Beitrag zur ökonomischen Nachhaltigkeit leisten. Sie können eine bessere soziale Teilhabe durch digital verfügbare Bildungsinhalte oder eine höhere Beschäftigungsquote und damit verbunden eine höhere wirtschaftliche Aktivität ermöglichen. Zusätzlich können sie zur Kostensenkung etwa im Gesundheitssystem beitragen.

Negative Externalitäten können sich hingegen etwa durch einen hohen Energieverbrauch der Server ergeben, während sich die resultierenden Schadstoffemissionen in den Preisen der digitalen Güter und Dienstleistungen nicht widerspiegeln. Ein anderes Beispiel ist der Online-Handel, welcher zu einem Aussterben analoger Geschäftsmodelle und infolgedessen zu einer Verödung der Innenstädte führen kann.

Daneben kann die Digitalisierung zu einer effizienteren Ressourcennutzung beitragen. Beispielsweise können im Verarbeitenden Gewerbe durch den Einsatz von Algorithmen und Künstlicher Intelligenz Lagerzeiten optimiert, Stillstand in der Produktion verringert und Produktionsvolumina erhöht werden. Auch können Arbeitssuchende leichter passende Stellen finden (verbessertes „Matching“). „Smart Meter“ können den Energieverbrauch senken und zur ökologischen Nachhaltigkeit beitragen.

Aber auch Ansätze zur effizienteren Ressourcennutzung können sich ambivalent auswirken. Plattformen zur Buchung und Vermietung von Unterkünften für touristische Zwecke können zum Beispiel das Problem ohnehin knappen Wohnraums in Städten weiter verstärken, da Wohnungen in höherem Maße nicht mehr langfristig vermietet werden. Bestehen jedoch Überkapazitäten beim Wohnraum, beispielsweise in ländlichen Gebieten, können Sharing-Plattformen eine Chance bieten, diese Überkapazitäten zum Beispiel für Tourismus zu nutzen.

Eine öffentliche Bereitstellung von Gütern oder ihre Subventionierung können dazu beitragen, die Diskrepanz zwischen privaten und sozialen Nutzen und Kosten zu reduzieren. Technologien, die zu einer effizienteren Nutzung von Ressourcen führen, sollten begünstigt werden. Negative Externalitäten sollten dagegen, wo möglich, bepreist werden.

In Kürze
Nutzungsrechte sollten auch bei Daten klar geregelt sein.

3. Datensouveränität und Haftung gewährleisten

Daten sind Schlüsselressourcen für digitale Geschäftsmodelle (Abbildung 2). Einmal erhoben, können Daten zu sehr geringen zusätzlichen Kosten (sogenannten Grenzkosten) immer wieder genutzt werden. Klar geregelte Nutzungsrechte bei Ressourcen sind eine wesentliche Voraussetzung für ein funktionierendes, dezentrales Wirtschaftssystem und stärken maßgeblich die wettbewerbliche Marktordnung, die Konsumentensouveränität und eine effiziente Ressourcenallokation. Gleichzeitig verpflichtet das Haftungsprinzip dazu, Verantwortung für das eigene unternehmerische Handeln zu übernehmen. Eucken postulierte den noch heute passenden Grundsatz: „Wer den Nutzen hat, muss auch den Schaden tragen.“ Das gilt auch für die Ressource Daten.

Abbildung 2: Umsatz mit Big Data ist in Deutschland stark gewachsen (Umsatz mit Big-Data-Lösungen in Deutschland (in Mrd.Euro)) Bild vergrößern

Abbildung 2: Umsatz mit Big Data ist in Deutschland stark gewachsen

© bitkom

Eucken formulierte auch das Prinzip der Vertragsfreiheit. Auf die Digitalisierung übertragen bedeutet das, dass es keinen „Lock-in-Effekt“ (die Kosten für Kundinnen und Kunden, einen Anbieter zu wechseln, sind zu hoch) geben darf und es auch auf Datenmärkten ausreichenden Wettbewerb geben muss, zum Beispiel durch die Portabilität von Daten. Gleichzeitig müssen Investitionsanreize insbesondere für Start-ups gewährleistet sein.

Im Kern geht es hier aus ordnungspolitischer Sicht darum, auch im digitalen Zeitalter die individuelle Freiheit zu wahren. Datensouveränität bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die Nutzer (Konsumenten und Unternehmen) von Plattformen und anderen datengetriebenen Geschäftsmodellen selbstbestimmt über die Verwendung ihrer Daten verfügen können. Ziel ist es, Regelungen zu entwickeln, die dem freiheitlichen Handeln und der Selbstbestimmung der Wirtschaftsakteure gerecht werden. Es müssen faire und gleiche Wettbewerbsbedingungen auf der Grundlage offener Systeme gelten: Datenauswertung und algorithmenbasierte Analysen müssen diskriminierungsfrei, transparent und nachvollziehbar erfolgen. Dabei darf der regulatorische Rahmen Innovationen nicht hemmen, sondern muss Rechtsunsicherheit minimieren (zum Beispiel hinsichtlich des Zugangs und der Nutzung von Daten).

4. Transformation auf dem Arbeitsmarkt begleiten, Besteuerung und sozialen Schutz zeitgemäß weiterentwickeln

Infolge der Digitalisierung findet ein Strukturwandel auf dem Arbeitsmarkt statt. Bestimmte Tätigkeiten werden im Zuge der technischen Entwicklungen zunehmend durch Automatisierung, Robotik und Künstliche Intelligenz ergänzt und ersetzt. Dadurch kann es in bestimmten Berufsfeldern zu einer Veränderung der Tätigkeitsprofile oder sogar zu einem Rückgang der Arbeitsnachfrage mit der Folge eines (vorübergehenden) Anstiegs der Arbeitslosigkeit kommen. Dem gegenüber stehen mögliche Produktivitätssteigerungen und positive Beschäftigungseffekte infolge der Entwicklung neuer Geschäftsmodelle sowie die Verfügbarkeit neuer und gegebenenfalls günstigerer Waren und Dienstleistungen für Verbraucherinnen und Verbraucher.

Auf dem Arbeitsmarkt gilt es deshalb, Potenziale des Transformationsprozesses zu fördern und nachteilige Auswirkungen abzumildern. Das Bildungssystem muss auf die sich ändernden Tätigkeitsprofile reagieren und insbesondere lebenslanges Lernen ermöglichen.

Gleichzeitig gehen mit der Digitalisierung neue Herausforderungen für die Besteuerung einher. Hier stellt sich beispielsweise nicht nur die Frage nach dem Ort der digitalen Wertschöpfung, sondern auch nach der Aufteilung besteuerbarer Gewinne zwischen verschiedenen Staaten, in denen digitale Plattformen tätig sind. Wie auch im Zuge der Globalisierung muss das Thema Steuervermeidung durch multinationale Unternehmen adäquat adressiert werden – im besten Fall nach international abgestimmten Prinzipien.

Digitale Geschäftsmodelle müssen angemessen besteuert werden, um eine adäquate Beteiligung der digitalen Wirtschaft an der Finanzierung der öffentlichen Haushalte und damit verbunden an den sozialen Sicherungssystemen zu gewährleisten. Durch den digitalen Strukturwandel bedingte sinkende Steuereinnahmen und Sozialversicherungsbeiträge könnten andernfalls destabilisierend wirken.

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© Irena Gajic

5. Wirtschaftspolitik daten- und evidenzbasiert weiterentwickeln

Die Wirtschaftspolitik muss auf neue Technologien, Geschäftsmodelle und Anbieter reagieren. Ein verlässlicher Ordnungsrahmen, der ausreichend Flexibilität bietet, ist zentral für eine erfolgreiche Implementierung und Erprobung neuer, digital basierter Geschäftsmodelle und Innovationen, etwa in Form von Reallaboren. Reallabore erlauben es, digitale Zukunftstechnologien oder Geschäftsmodelle (zum Beispiel autonomes Fahren) im realen Umfeld kontrolliert zu erproben, obwohl sie im allgemeinen Recht noch an Grenzen stoßen. Dazu nutzen sie rechtliche Ausnahmemöglichkeiten und ermöglichen so gleichzeitig regulatorisches Lernen.

In Kürze
Die Initiative Reallabore wurde in den Schlaglichtern der Wirtschaftspolitik bereits im Januar 2019 ausführlich vorgestellt.

Gleichzeitig sollte die Wirtschaftspolitik eine strategische Langfristperspektive einnehmen, die verschiedene Zukunftsszenarien beleuchtet, um nicht nur flexibel auf disruptive Veränderungen zu reagieren, sondern auch gleichzeitig den Digitalisierungsprozess aktiv begleiten zu können. Langfristig wirkende Investitionsentscheidungen brauchen einen stabilen und verlässlichen Ordnungsrahmen, der Vertrauen schafft.

Dieses Spannungsfeld zwischen verlässlichen und gleichzeitig dynamischen Rahmenbedingungen lässt sich nicht vollständig auflösen. Es gilt daher, einen flexiblen Ordnungsrahmen zu schaffen, der einerseits die nötige Anpassungsfähigkeit und Flexibilität mit sich bringt und andererseits mögliche Risiken in angemessener Weise berücksichtigt.

Fazit

Die Analyse fünf zentraler wirtschaftspolitischer Handlungsfelder vor dem Hintergrund der Digitalisierung zeigt, dass die ordnungspolitischen Grundlagen der Sozialen Marktwirtschaft Bestand haben und auch eine Orientierung für eine Wirtschaftspolitik im digitalen Zeitalter liefern.

Mehr zum Thema
Der Artikel basiert auf einem Konzeptpapier, welches Teil der Umsetzungsstrategie der Bundesregierung „Digitalisierung gestalten“ ist und zum Umsetzungsschritt „Gestaltung einer digitalen Ordnungspolitik“ beiträgt.

Das gesamte Papier finden Sie unter: www.bmwi.de/wirtschaftspolitische-leitlinien

Kontakt
Projektgruppe Digitale Wirtschaftspolitik

Dr. Anna auf dem Brinke
Referat: Grundsatzfragen der Wirtschaftspolitik,

Dr. Dirk Neumann
Referat: Wirtschaftspolitische Analyse

Dr. Christian Wittneben
Referat: Beobachtung, Analyse und Projektion der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung
schlaglichter@bmwi.bund.de