Die in der Uruguay-Runde beschlossene Vereinbarung über Regeln und Verfahren zur Beilegung von Streitigkeiten ("Dispute Settlement Understanding" = DSU) gilt als das "Herzstück" des multilateralen Handelssystems. Ziel ist dabei die Schaffung von Sicherheit und Vorhersehbarkeit im multilateralen Handelssystem. Die DSU-Streitbeilegung gilt im Gegensatz zum früheren GATT-Streitschlichtungssystem für alle WTO-Übereinkommen und ist das weltweit erste obligatorische zwischenstaatliche Verfahren.

Das Streitbeilegungsverfahren findet im Streitbeilegungsgremium ("Dispute Settlement Body" = DSB) statt, der vom Allgemeinen Rat der WTO (also der Gesamtheit der WTO-Mitglieder) wahrgenommen wird.

Der Prozess eines Streitbeilegungsverfahrens beginnt mit bilateralen Konsultationen zwischen den Streitparteien, um im Idealfall noch eine einvernehmliche Lösung herbeizuführen. Scheitern die Konsultationen werden auf Antrag der beschwerdeführenden Partei unabhängige Streitschlichtungsgremien, sog. Panel, eingesetzt, die nach sechs Monaten einen Abschlussbericht erstellen sollen. Dieser Bericht ist kein Urteil, sondern enthält Empfehlungen, die vom DSB angenommen und damit verbindlich werden.

Legt eine Partei Rechtsmittel ein, wird vor dem Berufungsgremium ("Appellate Body") eine zweite Instanz eröffnet. Der Appellate Body überprüft die Panelentscheidung auf Rechtsfragen und soll seinen Bericht innerhalb von 60 Tagen vorlegen. Dieser Bericht muss wiederum durch den DSB angenommen werden. Über den Ablauf des WTO-Streitbeilegungsverfahrens im Einzelnen informiert die WTO ausführlich.

Falls die unterlegene Partei den Empfehlungen des Panels/Berufungsgremiums nicht nachkommt und Kompensationsverhandlungen scheitern, kann die obsiegende Partei vom Streitbeilegungsgremium zu Handelssanktionen autorisiert werden (Beispiel: US-Strafzölle im Bananen- und Hormonstreit).

Ende 2019 wurde die Rechtsmittelinstanz („Appellate Body“) allerdings beschlussunfähig, da der Appellate Body seitdem die für den Erlass von Entscheidungen erforderliche Mindestzahl von drei Mitgliedern unterschreitet. Die Ernennung eines neuen Mitglieds erfordert die Zustimmung aller WTO-Mitglieder, die derzeit nicht vorliegt. Alle in der Rechtsmittelinstanz anhängigen Verfahren können deshalb momentan nicht weiterbetrieben werden.

Vor dem Hintergrund der Bedeutung des WTO-Streitbeilegungsmechanismus für die regelgebundene Handelsordnung hat die Europäische Union 2020 daher mit mittlerweile 25 weiteren WTO-Mitgliedern vereinbart, vorübergehend eine schiedsgerichtliche zweite Instanz für Handelsstreitigkeiten vorzusehen (das sogenannte Multi-party interim appeal arbitration arrangement, MPIA). Obgleich die Vereinbarung ausschließlich der Streitschlichtung unter den beigetretenen WTO-Mitgliedern dient, eröffnet das WTO-Recht die Möglichkeit zum Abschluss einer solchen Vereinbarung für die Lösung von Handelsstreitigkeiten auf Grundlage des einschlägigen WTO-Rechts. Auch alle anderen WTO-Mitglieder können sich an der Vereinbarung beteiligen.

Bei Streitigkeiten zwischen Staaten, die sich nicht der MPIA angeschlossen haben, ermöglicht die unter der deutschen Ratspräsidentschaft geänderte Durchsetzungsverordnung (VO Nr. 654/2014, geändert durch die VO 167/2021), gegen rechtswidrige Maßnahmen von Drittstaaten Gegenmaßnahmen auch dann zu ergreifen, wenn eine bindende Streitschlichtungsentscheidung in der Rechtsmittelinstanz nicht erreicht werden kann. Damit ist die Handlungsfähigkeit der EU auch in diesen Fällen gewahrt.

Auf der 12. WTO-Ministerkonferenz in Genf (12.-17. Juni 2022) haben sich die 164 WTO-Mitgliedsstaaten geeinigt, „bis 2024“ ein voll funktionsfähiges Streitschlichtungssystem wiederherzustellen.

Vom Streitbeilegungsverfahren wird intensiv und zunehmend auch von Entwicklungsländern Gebrauch gemacht. Für diese gelten zahlreiche Sonderregeln und Erleichterungen, die auf den WTO-Seiten zu Regelungen für Entwicklungsländer im Einzelnen eingesehen werden können.