Die Situation im Stromsystem in diesem Winter ist nicht mit der im Winter 2023/24 zu vergleichen. Für das nächste Jahr werden die Grundbedingungen andere sein, weil durch die längere Vorlaufzeit bereits beschlossene Maßnahmen stärker wirken und noch weitere umgesetzt werden können. Wir erhöhen die Gas-Importkapazität über schwimmende LNG-Terminals (FSRU) zum Winter 23/24 so stark, dass keine Gasmangellage an den Gaskraftwerken mehr zu befürchten ist. Wir steigern bis dahin die Verfügbarkeit von Strom aus Biogas-Anlagen und aus Erneuerbaren-Anlagen. Das Gleiche gilt für die Leistungsfähigkeit der Stromnetze, die Kraftwerkskapazitäten und flexible Lasten. Damit werden bis 2023/24 die Unsicherheitsfaktoren dieses Winters deutlich reduziert und die Versorgungslage verbessert.“
Konkret arbeitet das BMWK an einer Vielzahl an Maßnahmen, um das Stromsystem im Jahr 2023 weiter zu modernisieren und zukunftsfähiger zu machen. Die folgende Tabelle zeigt, was alles im Laufe der nächsten zwölf Monate geschehen wird:
Übersicht: Weitere Kapazitäten im Stromsystem 2023/24
4-6 Schwimmende LNG-Terminals | Gas-Importkapazität ist so stark erhöht, dass keine Gasmangellage an den Gaskraftwerken mehr zu befürchten ist |
Mehr Strom durch Biogas | Schrittweise Erhöhung der Stromproduktion bei bis zu 2 GW Biogas-Anlagen ab sofort bis nächsten Winter |
Mehr Windenergie- und Photovoltaik-Anlagen | Über 10 GW zusätzliche erneuerbare Stromerzeugungskapazität |
Umrüstung von Gaskraftwerken auf alternative Brennstoffe (Fuel Switch) | Fuel Switch-Potenzial bei bis zu 3 GW konventionellen Kraftwerken vorhanden |
Höhere Verfügbarkeit von Kohlekraftwerken in Deutschland durch verbesserte Bevorratung und Logistik | Die im „Stresstest“ angenommene Nichtverfügbarkeit von bis zu 8 GW kann drastisch reduziert werden |
Höhere Verfügbarkeit von Gaskraftwerken in Süddeutschland durch zusätzliche Gasimporte und Speichervorgaben | Die im „Stresstest“ angenommene Nichtverfügbarkeit von bis 2,5 GW kann drastisch reduziert werden |
Prüfung: Stufenweiser Aufbau zusätzlicher Krisenvorsorgeanlagen | Ergänzendes Instrument zu Kapazitäts- und Netzreserve mit mittelfristig (bis 2025) bis zu 5 GW |
Ausweitung flexibler Lasten | Erschließung weiterer flexibler Lasten zusätzlich zu erschlossenem Potenzial von 1,5 – 3 GW, unter anderem über Verträge zwischen Netzbetreibern und Lasten |
Absenkung der Wärmelast | Die in den Stresstestszenarien angenommen Zusatzverbräuche durch Heizlüfter von bis zu 2,5 GW entfallen aufgrund der gesicherten Gasversorgung |
Leistungsfähigere Stromnetze | Zusätzlich zu den 1 – 2 GW zusätzliche Transportkapazitäten im Winter 2022/23 werden u.a. die bereits im Bau befindlichen Phasenschieber zur Lastflusssteuerung einen weiteren signifikanten Beitrag zum Nord-Süd-Transport bereitstellen können. Darüber hinaus kommt des durch die Inbetriebnahme einer neuen Stromleitung zwischen Italien und Frankreich zu einer weiteren signifikanten Entspannung der europäischen Netzsituation in Stresssituationen für das Netz (1,6 GW zusätzliche Kapazität). |
Die jeweiligen Handlungsfelder einzeln dargestellt:
Gasverfügbarkeit
Mit dem einer Aufbau einer LNG-Importkapazität stehen über die schwimmenden Flüssiggasterminals zum Winter 2023/2024 mindestens 25 Mrd. m3/Jahr an Kapazität aus staatlichen FSRUs bereit. Hinzu kommen dürften mindestens 4,5 Mrd. m3Jahr aus dem privaten Projekt in Lubmin. Zusammen kann damit allein aus den FSRU der bisherige Gas-Bedarf zu etwa einem Drittel gedeckt werden (Basisjahr 2021 – 90,5 Milliarden).
Mehr Erneuerbare Energien
In Summe werden ab Ende 2023 voraussichtlich mehr als 10 GW neue erneuerbare Erzeugungsleistung dem Stromsystem gegenüber Ende 2022 zur Verfügung stehen. Im Bereich Biogas werden befristet für die Jahre 2022 bis 2024 die Flexibilitätsanforderungen für Biogas-Bestandsanlagen aufgehoben. Von den knapp 6 GW Biogasanlagen in Deutschland sind derzeit rund 2 GW flexibilisiert, d.h. sie produzieren Strom nur zu wenigen Zeitpunkten des Jahres. In den nächsten Jahren können sie ihre Stromproduktion erhöhen. Es ist davon auszugehen, dass das Potenzial schrittweise erschlossen wird und der Beitrag aus Biogas für den Winter 2023/24 gegenüber dem Winter 2022/23 nochmals steigt.
Im Bereich der Photovoltaik wird für Januar 2023 eine Sonderausschreibung für große Freiflächenanlagen vorgesehen. Diese soll gezielt Anlagen im Umfang von 1,5 GW adressieren, die die mit einer kurzen Realisierungsfrist von 9 Monaten gebaut werden können. Dazu kommt der „normale Zubau“, den das EEG 2023 auf Hausdächern und in der Freifläche vorsieht. In Summe wird die PV-Leistung im Jahr 2023 um voraussichtlich 9 GW zunehmen.
Bei Wind an Land rechnen wir in 2023 mit einem Zubau von etwa 1,5 GW in der Größenordnung des Vorjahres. In den Folgejahren wirken dann die Beschleunigungsmaßnahmen der jüngst beschlossenen Gesetzesnovellen. Dadurch wird der Zubau zunehmen.
Konventionelle Kraftwerke
Durch Nachrüstung können einige konventionelle Kraftwerke auch mit einem anderen Brennstoff betrieben werden (sog. Fuel Switch). Dadurch können z.B. Gaskraftwerke neben Gas auch Öl verfeuern. In einigen Fällen ist dies bereits anlagenseitig möglich, erfordert jedoch bauliche Maßnahmen und zusätzliche Genehmigungen, um vorgelagerte Infrastruktur zur Ölversorgung zu schaffen. Das Potenzial, welches durch Fuel Switch schrittweise erschlossen werden kann, wird vorläufig auf bis zu 3 GW geschätzt. BMWK wird prüfen, welche Maßnahmen notwendig sind, um einen Teil dieser Kapazität bis Ende 2023 zur Verfügung zu stellen.
Ersatzkraftwerke
Durch das Ersatzkraftwerkebereithaltungsgesetz können Kohle- und Mineralölanlagen längstens bis zum 31. März 2024 an den Strommarkt zurückkehren. Dies betrifft zunächst voraussichtlich 5,5 GW Anlagen aus der Netzreserve (Steinkohle und Mineralöl) befristet bis Mitte April 2023. Die Rückkehr an den Strommarkt kann bei Bedarf bis zum 31. März 2024 verlängert werden. Gleichzeitig wird die Rückkehr von bis zu 1,9 GW aus der Versorgungsreserve (Braunkohle) ab 1. Oktober 2022 vorbereitet. Durch eine geänderte Beschaffungs- und Bevorratungsstrategie sowie eine verbesserte Straßen- und Schienenlogistik sind im Vergleich zu den Stresstestszenarien bis zu 8 GW Kraftwerkskapazität zusätzlich verfügbar.
Krisenvorsorgeanlagen
Das BMWK wird prüfen, ob zeitnah neue Reserveanlagen (im Rahmen bestehender Regelungen oder als neues Instrument) beschafft und damit die Versorgungssicherheit verbessert werden kann. Dies könnte als Krisenvorsorge außerhalb des Marktes konzipiert und als Ergänzung zur Kapazitäts- und Netzreserve eingesetzt werden. Die Krisenvorsorgeanlagen sollten schrittweise aufgebaut werden und könnten mittelfristig bis 2025 einen Umfang von bis zu 5 GW annehmen.
Ausweitung flexibler Lasten
Bereits in diesem Winter ist aufgrund der hohen Energiepreise damit zu rechnen, dass sich flexible Lasten marktgetrieben deutlich ausweiten. Bis zum Winter 2023/24 ist damit zu rechnen, dass Nachfragemanagement (DSM) deutlich an Bedeutung gewinnt, und daher noch höhere flexible Lasten-Potenziale in der Industrie erschlossen werden. Die Bundesnetzagentur prüft gemeinsam mit den Übertragungsnetzbetreibern (ÜNB) als eine weitere Maßnahme, inwieweit zur Unterstützung des Netzbetriebs vertragliche Vereinbarungen zwischen den ÜNB und industriellen Verbrauchern genutzt werden können.
Leistungsfähigere Stromnetze
Die Leistungsfähigkeit des Übertragungsnetzes wird im Jahr 2023 weiter nennenswert erhöht. So werden voraussichtlich etwa 350 km neue Leitungsabschnitte im Drehstromnetz in Betrieb genommen. Vor allem aber werden neue gesetzliche Möglichkeiten zur Erleichterung und Optimierung des Netzbetriebs genutzt und Phasenschieber zur Lastflusssteuerung in Betrieb genommen, um die Transportfähigkeit des Stromnetzes auch nach Süddeutschland zu erhöhen und damit auch den Bedarf an Reservekraftwerken zu senken.
Auf europäischer Ebene werden weitere Maßnahmen umgesetzt.