Peter Altmaier, Bundesminister für Wirtschaft und Energie

Peter Altmaier, Bundesminister für Wirtschaft und Energie

© BPA/Steffen Kugler

Deutschland übernimmt die EU-Ratspräsidentschaft in ungewöhnlichen Zeiten. Vor welchen Herausforderungen steht die EU zurzeit?

Die EU steht vor einer großen Bewährungsprobe. Die COVID-19-Pandemie stellt eine völlig neue Herausforderung für die einzelnen Mitgliedstaaten und die Union dar. Europaweit steht die Gesundheit der Menschen an erster Stelle und die Wirtschaft muss wieder in Gang kommen. Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft wird darauf ausgerichtet sein, dass die EU die Pandemie und ihre Folgen effizient und gut koordiniert bewältigen kann, die richtigen Schlussfolgerungen zieht und gestärkt aus der Krise hervorgeht. Ich sehe eine besondere Verantwortung, die erforderlichen Maßnahmen aktiv und solidarisch auszugestalten. Wir brauchen ein robustes, starkes Europa und müssen dazu all unsere Kräfte bündeln. Europa kann diese Krise nur gemeinsam erfolgreich bewältigen, und deshalb müssen wir gemeinsam handeln.

Sie werden während der Präsidentschaft unter anderem den Vorsitz im Wettbewerbsfähigkeitsrat übernehmen. Was kann getan werden, damit die europäischen Unternehmen wieder florieren und Beschäftigung sichern können?

In den letzten Monaten ging es vor allem um die Krisenbewältigung und die Versorgung der Unternehmen mit Soforthilfen und Liquidität. Ziel war und ist es auch weiterhin, den Unternehmen über die Durststrecke hinwegzuhelfen, in die sie durch Geschäftsschließungen und Produktionsstillstand geraten sind. Jetzt muss es vor allem darum gehen, die wirtschaftliche Erholung zu unterstützen. Ende Mai hat die Europäische Kommission einen Vorschlag für einen Aufbauplan auf europäischer Ebene vorgelegt. Dieser erkennt an, dass die EU die Krise nur gemeinsam überwinden kann. Wir müssen als weiteren Schritt verstärkt auch in den Blick nehmen, wie wir die Innovationskraft und internationale Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Unternehmen für die Zukunft stärken können. Dazu sollten wir die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die Industrie und insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen verbessern. Ein wichtiges Vorhaben unserer Präsidentschaft ist deshalb, die EU-Industrie-strategie weiter zu entwickeln, um europäische Wertschöpfung zu sichern und auszubauen. Auch die EU-Strukturfonds spielen eine wichtige Rolle, weil sie Wachstum und Beschäftigung in den europäischen Regionen voranbringen. Dies muss in den Verhandlungen für den zukünftigen EU-Haushalt berücksichtigt werden. All dies wollen wir während der Ratspräsidentschaft in den Fokus nehmen.

In der Krise wurden weltweite Lieferketten unterbrochen. Unternehmen fehlten wichtige Zuliefererteile in der Produktion. Welche Erkenntnisse ziehen Sie daraus für die Präsidentschaft?

Für einen erfolgreichen Neustart brauchen wir eine widerstandsfähige, souveräne Wirtschaft und industrielle Basis. Dazu müssen wir den europäischen Binnenmarkt vollständig wiederherstellen. Er ist das Herzstück der Europäischen Union. Sein reibungsloses Funktionieren ist zentral für die wirtschaftliche Erholung. Wir wollen außerdem strategische paneuropäische Wertschöpfungsketten stärken, da diesWe eine essenzielle Rolle für die EU als Wirtschaftsstandort spielen. Corona hat uns auch vor Augen geführt, dass es wichtig ist, einseitige Abhängigkeiten zu vermeiden. Deshalb wollen wir die Diversifizierung von internationalen Lieferketten noch stärker unterstützen. Hierzu bedarf es offener Märkte und freien Handels mit einer starken, reformierten Welthandelsorganisation und ehrgeizigen Freihandelsabkommen für einen regelbasierten internationalen Handel.

Welche Fortschritte möchten Sie während der Präsidentschaft erreichen, um die EU fit für die Digitalisierung zu machen?

Die Digitalisierung hat durch die Corona-Krise weiteren Schub erhalten. Diesen Schwung wollen wir während unserer Präsidentschaft nutzen. Unser Ziel ist es, die digitale und technologische Souveränität der EU auszubauen. Das Projekt GAIA-X, der Aufbau einer vernetzten europäischen digitalen Infrastruktur, treiben wir erfolgreich voran. Es braucht einen gemeinsamen Kraftakt, um Europa bei der Digitalisierung an die Weltspitze zu führen, denn in einigen Bereichen laufen wir Konkurrenten, insbesondere aus den USA und China, hinterher. Der Weg ist vorgezeichnet: Wir müssen die eigenen Kompetenzen in digitalen Schlüsseltechnologien ausbauen und Europa als Innovations- und Forschungsstandort stärken. Zugleich müssen wir hochleistungsfähige, sichere und nachhaltige digitale Infrastrukturen schaffen und gemeinsame europäische Standards und Normen für neue Technologien entwickeln. Hierzu wollen wir während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft einen wesentlichen Beitrag leisten.

Die europäische Wirtschaft steht vor einer großen Umstellung auf klimafreundliche Technologien. Wie kann dies angesichts der Krise gelingen?

Den Wandel hin zu klimafreundlichen Technologien sehe ich als eine Chance, die wir nicht nur während der Präsidentschaft nutzen und gestalten wollen. Wir wollen innovative und zukunftsorientierte Ökosysteme und Technologien stärken, die das Wachstum und die künftige Wettbewerbsfähigkeit in Europa unterstützen. Der Europäische Green Deal ist dabei eine schlüssige Wachstumsstrategie für die europäische Wirtschaft. Beispielsweise im Energiebereich liegen große Potenziale für ressourcenschonendes Wachstum mit europäischem Mehrwert. Genannt seien etwa gemeinsame Projekte in den Bereichen dekarbonisierte Gase, wie zum Beispiel Wasserstoff, hybride Wind-Offshore-Projekte oder Projekte im Bereich erneuerbarer Wärme.