Die handelspolitischen Schwerpunkte der deutschen EU-Ratspräsidentschaft

Illustration zum Thema "Für offene Märkte, gegen Abschottung"

© Suzan Hijink

Für die deutsche EU-Ratspräsidentschaft steht auch im Bereich der Handelspolitik die Bewältigung der COVID-19-Krise im Mittelpunkt. In diesem Zusammenhang, und mit Blick auf schon länger bestehende Herausforderungen für den regelbasierten Handel, soll den Bemühungen zur Modernisierung der Welthandelsorganisation (WTO) neuer Schwung verliehen werden. Zudem wird die deutsche Ratspräsidentschaft die bilaterale Handelsagenda der EU unterstützen, um Partnerschaften zu festigen und moderne, zukunftsweisende Handels- und Investitionsabkommen auf den Weg zu bringen. Auch die EU-eigenen Handelsinstrumente sollen weiterentwickelt werden.

Eine neue handelspolitische Strategie

Im Dezember 2019 hat EU-Handelskommissar Phil Hogan sein Amt von seiner Vorgängerin Cecilia Malmström übernommen. Er hat angekündigt, im Laufe des Jahres 2020 eine neue handelspolitische Strategie der Europäischen Kommission vorzulegen. Die deutsche Ratspräsidentschaft strebt an, dies zum Ausgangspunkt einer ausführlichen Diskussion im Rat der EU zu machen, die aktuelle Fragestellungen ebenso abdecken soll wie mittel- und langfristige Entwicklungen.

Mit Marktöffnung und stabilen Rahmenbedingungen gegen die Krise

Die COVID-19-Pandemie stellt den Welthandel vor große Herausforderungen. Sie hat in vielfältiger Weise internationale Lieferketten unterbrochen und gestört und verstärkt damit weiter die Unsicherheiten, die bereits vor dem Auftreten der Pandemie vor allem durch Handelsspannungen entstanden waren. Nach einer Einschätzung der WTO von Mai 2020 könnte der weltweite Warenhandel in diesem Jahr um 13 bis 32% zurückgehen. Das ist für Deutschland eine besondere Herausforderung, weil die deutsche Wirtschaft und ihre Beschäftigten überdurchschnittlich vom Handel abhängig sind: Etwa ein Drittel der hiesigen Wertschöpfung geht auf Vorprodukte zurück, die bereits eine Grenze überschritten haben. Und 7,9 Mio. bzw. 18 % der Arbeitsplätze in Deutschland sind von Exporten in Nicht-EU-Staaten abhängig.

Um die Folgen der Pandemie zu überwinden, brauchen die deutsche und europäische Volkswirtschaft offene Märkte. Offene Märkte sind besonders wichtig für kleine und mittelständische Unternehmen, für die es im Vergleich zu großen Firmen häufig schwieriger ist, Zugang zu ausländischen Märkten zu erlangen und neue Lieferbeziehungen aufzubauen. Bei der Unterstützung dieser Unternehmen spielt die Handelspolitik der EU eine entscheidende Rolle.

Die Bundesregierung wird daher im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft für eine ehrgeizige Handels- und Investitionspolitik der EU werben, die auf offene Märkte setzt und Abschottungstendenzen entgegentritt. Unternehmen sollen darin gestärkt werden, ihre Lieferketten widerstandsfähiger und krisensicher zu gestalten – die EU kann dies maßgeblich fördern, indem sie für noch vielfältigere und stabilere Handelsbeziehungen sorgt. Gleichzeitig sollte die EU sich aktiv gegen unfairen Wettbewerb zu Lasten europäischer Unternehmen einsetzen.

Illustration zum Thema "Für offene Märkte, gegen Abschottung"

© Suzan Hijink

Für eine zukunftsfeste Welthandelsorganisation

Der wirtschaftliche Austausch zwischen Staaten wird seit Langem durch ein System international vereinbarter Regeln unterstützt und gefördert, die vor allem auf Rechtssicherheit und Stabilität abzielen. Kern dieses Systems ist die Welthandelsorganisation, die seit mehr als 25 Jahren besteht und der heute 164 Mitglieder angehören. Ihr Ziel ist es, gute Rahmenbedingungen für den internationalen Handel zu schaffen. Lange Zeit ist es ihr gelungen, die verschiedenen Interessen von Handelsnationen in einen Ausgleich zu bringen, allgemein anerkannte Regeln zu schaffen und in Streitfragen zu schlichten. Diese globale Errungenschaft soll aus deutscher und aus europäischer Sicht unbedingt gesichert, gestärkt und fortentwickelt werden.

Die WTO steht allerdings vor großen Herausforderungen. Viele Mitglieder sind der Ansicht, dass das derzeitige Regelwerk der Organisation angesichts aktueller Entwicklungen nicht mehr zeitgemäß ist – vor allem mit Blick auf den Aufstieg großer, staatlich gelenkter Volkswirtschaften, deren Wirtschaftsmodell vielfach globale Wettbewerbsverhältnisse verzerrt. Dies nehmen einige Staaten zum Anlass, ihre nationalen Interessen mit einseitigen Maßnahmen durchzusetzen, etwa mit Zollerhöhungen, die nicht vom WTO-Recht gedeckt sind. Eine dauerhafte, stabile Lösung im Konsens aller beteiligten Staaten wird damit aber immer schwieriger. Hinzu kommt, dass die USA derzeit die Besetzung wichtiger Posten in der Rechtsmittelinstanz der WTO blockieren (siehe dazu auch den Artikel „Welthandel – WTO-Mitglieder vereinbaren Übergangslösung“ in der Schlaglichter-Ausgabe von Juni 2020).

In Kürze
Von der deutschen EU-Ratspräsidentschaft soll ein deutliches Signal der Unterstützung für die WTO als Institution und für ihre Modernisierung ausgehen.

Von der deutschen EU-Ratspräsidentschaft soll ein deutliches Signal der Unterstützung für die WTO als Institution und für ihre Modernisierung ausgehen. Dies betrifft zunächst in organisatorischer Hinsicht die Klärung der Nachfolge von Roberto Azevêdo, der angekündigt hat, seinen Posten als Generaldirektor der WTO in diesem Jahr vorzeitig niederzulegen. Kurzfristig sollte auch geprüft werden, wie die WTO für mehr Transparenz bei den handelsrelevanten Maßnahmen ihrer Mitglieder
sorgen, und welche Rolle sie bei der Bekämpfung der COVID-19-Krise und bei der Bewältigung ihrer Folgen spielen kann.

Darüber hinaus könnte die EU einen umfassenden WTO-Reformvorschlag vorlegen. Dieser sollte insbesondere darauf abzielen, das Streitbeilegungssystem der Organisation wieder funktionsfähig zu machen und die schwierige Diskussion über neue gemeinsame Regeln, u.a-unter anderem. zur Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen, voranzubringen. Der Vorschlag sollte auch auf mehrere sogenannte „plurilaterale“ Initiativen eingehen, die in den letzten zwei Jahren entstanden sind, um unter gleichgesinnten WTO-Mitgliedern praxistaugliche Regeln zu bestimmten Themen zu erarbeiten. Eine dieser Initiativen befasst sich mit der Digitalisierung des Welthandels und möglichen Regeln, die dieser Entwicklung Rechnung tragen. Dieses Zukunftsthema verdient aus Sicht der Bundesregierung besondere Aufmerksamkeit, zumal Datenverkehr und die digitale Kommunikation auch in der COVID-19-Krise ganz wesentlich dazu beigetragen haben, Lieferketten zu stabilisieren.

Illustration zum Thema "Für offene Märkte, gegen Abschottung"

© Suzan Hijink

Starke Partnerschaften und klare Botschaften

Für die deutsche EU-Ratspräsidentschaft sind tragfähige transatlantische Handelsbeziehungen von großer Bedeutung. Der Rat der EU hat die Europäische Kommission im vergangenen Jahr dazu ermächtigt, mit den USA über Zollfragen im Industriebereich und über technische Zulassungsverfahren zu verhandeln. Neben Fortschritten in diesem Bereich wäre wünschenswert, auch zu anderen handelspolitischen Fragen eine Einigung mit den USA zu erreichen, etwa in dem seit mehr als 15 Jahren andauernden WTO-Streitfall über Subventionen für die Flugzeughersteller Airbus und Boeing.

Auch China ist für die EU ein wichtiger Handelspartner. Die Gemeinsame Mitteilung der Europäischen Kommission und des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD) aus dem Jahr 2019 beschreibt China zugleich als Partner, Wettbewerber und als systemischen Rivalen. Seit 2013 verhandelt die Kommission mit China über ein Investitionsabkommen, das insbesondere den Zugang für europäische Investoren zum chinesischen Markt verbessern und dafür sorgen soll, dass europäische und chinesische Unternehmen zu vergleichbaren Bedingungen konkurrieren können; etwa durch besondere Regeln für Staatsunternehmen oder durch einen verbesserten Schutz für unternehmenseigenes Know-How. Die EU und China haben sich im Rahmen ihres gemeinsamen Gipfels im vergangenen Jahr zu dem Ziel bekannt, diese komplexen Verhandlungen noch im Jahr 2020 auf einem ehrgeizigen Niveau abzuschließen.

Neben der Ausgestaltung ihrer Beziehungen auf der Grundlage bilateraler Abkommen sollte die EU ihre Partner auch daran erinnern, dass sie handelsbeschränkende Maßnahmen oder Vereinbarungen zu Lasten europäischer Unternehmen, die die Regeln der WTO verletzen, nicht akzeptieren wird.

Moderne und wegweisende bilaterale Abkommen

Auch die Arbeiten an ehrgeizigen und ausgewogenen Handels- und Investitionsabkommen zählen zu den handelspolitischen Schwerpunkten der deutschen EU-Ratspräsidentschaft. Die Europäische Kommission hat im vergangenen Jahr nach 20 Jahren die Verhandlungen über ein Handelsabkommen zwischen der EU und den Staaten des MERCOSUR (derzeit Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay) beendet und sich in diesem Jahr mit Mexiko über die Aktualisierung des seit 1997 bestehenden Globalabkommens geeinigt. Mit der Unterzeichnung dieser Verträge kann die EU ein wichtiges Zeichen für eine wertebasierte Handelspolitik setzen und gleichzeitig ihre Beziehungen zur Wachstumsregion Lateinamerika vertiefen, deren strategische Bedeutung zunehmend auch von anderen wichtigen Handelsnationen wahrgenommen wird.

Wichtige Termine

Bundesminister Peter Altmaier lädt die EU-Handelsminister und -ministerinnen am 21. September 2020 zu einem informellen Treffen nach Berlin.

Dieses soll wichtige Impulse für die Arbeiten im zweiten Halbjahr 2020 setzen.

Eine formelle Ministertagung ist für November 2020 geplant.

Auch die Region Asien-Pazifik steht aufgrund ihrer besonderen Dynamik im Fokus der EU-Handelspolitik: Nachdem bereits 2019 ein Wirtschaftspartnerschaftsabkommen zwischen der EU und Japan und ein Handelsabkommen zwischen der EU und Singapur abgeschlossen wurden und zu Beginn dieses Jahres ein Abkommen der EU mit Vietnam auf den Weg gebracht wurde, könnten nun auch Gespräche mit Australien und Neuseeland in die entscheidende Phase eintreten. Bei all diesen Abkommen verfolgt die EU einen wertegeleiteten Ansatz, der Fragen der nachhaltigen Entwicklung, des Umwelt-, Klima- und Arbeitnehmerschutzes und der Handelserleichterung ausgewogen zusammenführt.

Wichtig ist auch, das in CETA und in den Investitionsschutzabkommen der EU mit Vietnam bzw. Singapur vorgesehene Investitionsgerichtsystem zu etablieren und die Arbeiten an einem multilateralen Investitionsgerichtshof bei den Vereinten Nationen weiter voranzutreiben. Dadurch können die in die Kritik geratenen Investor-Staat-Schiedsgerichte ersetzt und gute Investitionsbedingungen sichergestellt werden. Außerdem muss das gute Investitionsklima im EU-Binnenmarkt durch gezielte Initiativen aufrechterhalten und gestärkt werden.

Eine handlungsfähige EU

Die EU passt auch ihre eigenen Regelungen immer wieder an handelspolitische und außenwirtschaftliche Entwicklungen an: Mit Blick auf die bereits erwähnte Blockade der WTO-Streitschlichtung hat die Europäische Kommission vorgeschlagen, die Reaktionsmöglichkeiten der EU in Handelskonflikten auszubauen (Anpassung der sog. Durchsetzungsverordnung). Derzeit wird zudem im Rat der EU über neue EU-rechtliche Vorschriften diskutiert, die dabei helfen sollen, den Zugang europäischer Unternehmen zu öffentlichen Beschaffungsmärkten in Nicht-EU-Staaten zu verbessern (sog. International Procurement Instrument oder IPI). Und schließlich könnte in naher Zukunft eine Reform des geltenden EU-Rechts für den Export von Gütern und Technologien mit doppeltem Verwendungszweck (sog. „Dual-Use“) verabschiedet werden. Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft hat das Ziel, die Anpassungen der Durchsetzungsverordnung zu verabschieden und die Diskussion im Rat zu IPI und Dual-Use voranzubringen.

Kontakt:
Benjamin Zasche
Referat: Allgemeine Handelspolitik (EU/WTO); Dienstleistungen; Geistiges Eigentum
schlaglichter@bmwi.bund.de