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Europas Industrie entwickelt gemeinsame Lösungen: Eine völlig neuartige Cloud-Infrastruktur für Europa, die im industriellen Maßstab genutzt werden kann, ist das Ziel des IPCEI („Important Project of Common European Interest“) Industrial Cloud. Dabei geht es um ein digital- und industriepolitisches Schlüsselprojekt für Europa, das der Industrie bislang unbekannte Möglichkeiten eröffnen kann.

Die Industrie braucht komplexe Datennetzwerke.

Die Industrie wird zunehmend digitaler. Schon lange geht es nicht mehr nur darum, die Produktion durch mehr Automatisierung effizienter zu machen. Stattdessen rücken datenbasierte Geschäftsmodelle in den Fokus, die neue Verfahren möglich machen: etwa die Rückverfolgung von Lieferketten, Echtzeit-Assistenzsysteme zur Wartung von Maschinen oder autonome Mobilität. Um die hierfür notwendigen Datennetzwerke bereitzustellen, braucht es innovative Technologien mit enormer Leistungsfähigkeit. Diese hochkomplexen Netzwerke werden die industrielle Entwicklung in den nächsten Jahrzehnten grundlegend verändern.

Für die europäische Industrie stellt sich dabei die Frage, ob es gelingt, die Wertschöpfung in diesen digitalen Netzwerken eigenständig zu realisieren – oder ob vor allem große Digitalkonzerne profitieren, industrielles Know-how abschöpfen und industrielle Prozesse letztlich steuern. In den neuen Marktstrukturen ist zunächst nicht entscheidend, wer das fertige Endprodukt auf den Markt bringt, sondern wer die entscheidenden Soft- und Hardware-Komponenten bestimmt.

In Kürze: Führend bei Cloud-Diensten sind außereuropäische Konzerne. Strenge Verträge bremsen die digitale Innovationsfreude der europäischen Wirtschaft.

Bislang läuft die europäische Industrie einem Rückstand hinterher. Bei den Cloud-Diensten sind außereuropäische Digitalkonzerne mit großem Abstand führend. Wer sich heute für ein solches Angebot entscheidet, bindet sich meist langfristig. Ein Wechsel des Anbieters ist zwar grundsätzlich möglich, aber mit enormem Aufwand und hohen Kosten verbunden. Dies führt im Ergebnis dazu, dass deutsche Unternehmen die Möglichkeiten von Cloud-Anwendungen viel zu wenig nutzen. Denn sie fürchten um die Souveränität ihrer Daten. Das ist wiederum eine echte Innovationsbremse für die europäische Wirtschaft.

Digitale Souveränität für Europa

Mit Gaia-X ist ein großer Schritt hin zur digitalen Souveränität Europas gelungen. Dieses System muss nun in der Industrie implementiert werden. Europa setzt damit auf einen fairen Austausch von Diensten und Daten, basierend auf Offenheit, Transparenz und Vertrauen. Erst das großflächige Ausrollen kann allerdings Gaia-X nachhaltigen Erfolg bringen. Hierfür ist eine hochleistungsfähige Cloud-Infrastruktur notwendig.

Was ist ein IPCEI?

IPCEI ist die Abkürzung für „Important Project of Common European Interest“. Dabei handelt es sich um ein transnationales Vorhaben von gemeinsamem europäischem Interesse, das staatlich gefördert wird und einen wichtigen Beitrag zu Wachstum, Beschäftigung und Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie und Wirtschaft leistet. Ein IPCEI muss:

• einen Beitrag zu den strategischen Zielen der Europäischen Union (EU) leisten,

• von mehreren Mitgliedstaaten durchgeführt werden,

• eine eigene Ko-Finanzierung durch die beteiligten Unternehmen/ Einrichtungen vorsehen,

• positive Spill-over-Effekte in der gesamten EU bewirken und

• sehr ehrgeizige Ziele in Bezug auf den jeweils betroffenen Sektor verfolgen, das heißt z. B., deutlich über den internationalen Stand der Technik im Bereich Forschung, Entwicklung und Innovation hinausgehen.

Gemeinsam mit Frankreich treibt Deutschland daher ein Important Project of Common European Interest (IPCEI) mit insgesamt zwölf Mitgliedstaaten voran. Das IPCEI Next Generation Cloud Infrastructure and Services (kurz: IPCEI Industrial Cloud) soll den europäischen Cloud-Markt revolutionieren. Das IPCEI kann dazu beitragen, industrielle Wertschöpfungsketten digital zu gestalten und die Datenverarbeitung hier neu aufzustellen – vom einzelnen Sensor in einer Maschine oder einem Fahrzeug, über regionale Edge-Datencenter bis zur zentralen Cloudverarbeitung.

Gaia-X

Mit dem Projekt Gaia-X soll eine sichere und vernetzte Dateninfrastruktur geschaffen werden, um die digitale Souveränität Europas zu gewährleisten. Daten und Dienste sollen offen und transparent in einem digitalen Ökosystem vertrauensvoll zusammengeführt und geteilt werden können, ohne dass Unternehmen die Kontrolle über ihre Daten aufgeben müssen. So wird eine gemeinsame Nutzung möglich – zum Vorteil für die beteiligten Unternehmen.

Weitere Informationen zu Gaia-X finden sich unter www.bmwi.de/monatsbericht-gaia-x-digital-souveraenes-europa

Tortengrafik Der europäische Cloud Markt

Das Potenzial ist riesig

Das IPCEI Industrial Cloud ist ein gewaltiger technologischer Hebel, der Gaia-X Dienste in skalierbare industrielle Anwendung einbringt. Das Ziel ist etwas völlig Neuartiges: durch Verbindung der zentralen und dezentralen Rechenkapazitäten mit einer „smarten“ Datenverarbeitung den zahlreichen Anbietern und Anwendern eine gemeinsame Infrastruktur auf einer gemeinsamen technologischen Grundlage zu bieten. Dieses sogenannte „Multi Provider Cloud Edge Continuum“ ist nicht nur effizient, sondern auch offen, interoperabel und anschlussfähig. Es muss höchsten industriellen Anforderungen an die Leistungsfähigkeit gerecht werden. Besondere Bedeutung kommt dabei der Echtzeitfähigkeit zu, also der Fähigkeit, Daten ohne signifikante zeitliche Verzögerung zu verarbeiten. Die neue europäische Cloud-Infrastruktur geht damit weit über bestehende Cloud-Angebote hinaus.

Die neue europäische Cloud verarbeitet Daten in Echtzeit.

Kooperation ist ein wesentlicher Bestandteil dieser innovativen Infrastruktur. Das ist der fundamentale Unterschied zu den Geschäftsmodellen der marktbeherrschenden sogenannten „Hyperscaler“ wie Amazon AWS, Google Cloud Platform oder Microsoft Azure – Anbieter von IT-Ressourcen auf Basis des Cloud Computings, deren Ressourcen sich horizontal in hohem Maß skalieren lassen. Diese setzen durch fehlende Interoperabilität und hohe Wechselbarrieren bewusst auf „lock-in“-Effekte. Das lohnt sich: Der europäische Cloud-Markt hatte 2020 ein Volumen von ca. 63 Mrd. Euro und könnte bis 2026 auf 260 Mrd. Euro anwachsen. Damit entspräche er dem heutigen Telekommunikationsmarkt, so eine Studie der Unternehmensberatung KPMG. Der europäische Markt ist bisher fest in der Hand außereuropäischer „Hyperscaler“.

Edge
Unter Edge ist ein dezentrales Datenarchitekturprinzip zu verstehen. Beim Edge-Computing werden Daten nicht allein in der Cloud, sondern weltweit dort verarbeitet, wo sie anfallen, das heißt, nahe an den Produktionsprozessen – auch mit Cloud-Technologien. Dies ist besonders relevant bei Prozessen mit hohen Anforderungen an Sicherheit oder Übertragungsgeschwindigkeit.

Mit dem IPCEI Industrial Cloud macht sich Europa auf den Weg, diese Dominanz aufzubrechen. Dabei geht es primär darum, offene technologische Grundlagen zu schaffen und gemeinsame, offene Marktplätze für Cloud-Edge-Dienstleistungen bereitzustellen, die sich nach den Bedürfnissen der europäischen industriellen Anwender richten. Die Souveränität der Nutzer über ihre Daten steht im Mittelpunkt des Vorhabens.

Mit offenen Märkten und technologischen Innovationen will Europa die Dominanz außereuropäischer Anbieter für Cloud-Dienste aufbrechen.
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Erfolgreich gestartet

Gefördert von den Mitgliedstaaten und unterstützt von der Europäischen Kommission plant die europäische Industrie mit dem IPCEI Industrial Cloud einen echten Technologiesprung. Am 6. Oktober 2021 kamen in einer hybriden Veranstaltung Vertreterinnen und Vertreter von mehr als 200 europäischen Unternehmen zusammen. Sie repräsentieren rund 100 Projekte aus den zwölf am IPCEI Industrial Cloud beteiligten EU-Mitgliedstaaten.

750 Mio. Euro stellt Deutschland für Investitionen in das IPCEI Industrial Cloud bereit.

Das BMWi hat für dieses Vorhaben 22 Projekte aus Deutschland vorausgewählt. Technologieund Softwareunternehmen sind ebenso vertreten wie Anwenderindustrien, etwa aus der Automobilwirtschaft oder der Luftfahrtindustrie. Es sind namhafte größere Industrieunternehmen und auch viele innovative Mittelständler beteiligt.

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EU-Matchmaking der nationalen Projekte

Damit die einzelnen Forschungs- und Innovationsvorhaben miteinander kompatibel sind, ist die grenzüberschreitende Vernetzung der nationalen Projekte notwendig. Dies erfolgt im „Matchmaking“-Prozess des IPCEI Industrial Cloud. Die auf nationaler Ebene ausgewählten Projekte suchen in den kommenden Wochen Partner zur Bildung von Kooperationen, erstellen eine gemeinsame Arbeitsgrundlage und bereiten zusammen mit den Mitgliedstaaten den Genehmigungsantrag für die beihilferechtliche Notifizierung durch die Europäische Kommission vor.

Im Fokus: Technologien, die die Energieeffizienz von Cloud-Diensten verbessern.

Die Europäische Kommission wird dabei u. a. prüfen, ob das Vorhaben den Nachhaltigkeits- und Klimazielen der Europäischen Union Rechnung trägt. Der Energiebedarf für Cloud-Computing ist in den vergangenen Jahren enorm angestiegen. Das IPCEI Industrial Cloud wird daher auch Technologien fördern, die die Energieeffizienz der Cloud-Infrastruktur und -Anwendungen verbessern. Zugleich bieten diese Technologien die Möglichkeit, Energieeffizienz und Nachhaltigkeit in anderen Bereichen zu steigern, beispielsweise durch intelligente Datenverarbeitung und Energieversorgung oder fortschrittliche Kreislaufwirtschaft.

Deutschland stellt bis 2026 insgesamt 750 Mio. Euro für Investitionen im Rahmen des IPCEI Industrial Cloud bereit. Daneben beteiligen sich außerdem elf weitere Mitgliedstaaten wie Frankreich, Italien und Polen.

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Weitere Informationen sind auf der Internetseite des BMWK nachzulesen.

KONTAKT:

PETER ITTENBACH & MARCO SCHULDT

Referat: Digitalisierung, Industrie 4.0

schlaglichter@bmwk.bund.de