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Grünes Potenzial für die Transformation der Industrie
28 Beispielregionen der industriellen Bioökonomie zeigen, wie nachwachsende biobasierte Ressourcen Erdöl und andere fossile Rohstoffe ersetzen können.
Einleitung
Die Industrie soll dazu beitragen, dass Deutschland bis zum Jahr 2030 insgesamt 65 % weniger CO2 ausstößt als noch 1990. Gleichzeitig soll sie wettbewerbsfähig bleiben. Die Bioökonomiekann helfen, diese beiden Ziele erfolgreich miteinander zu verbinden. Sie steht für eine Wirtschaft, in der fossile Rohstoffe durch biobasierte Ressourcen und Abfallstoffe ersetzt werden. Die Nutzung biotechnologischer Verfahren, unter anderem zur Substitution fossiler Rohstoffe durch die Industrie, birgt Potenzial für zahlreiche Wirtschaftsbranchen. Mit bioökonomischen Verfahren und Technologien können nicht nur Autoreifen aus Löwenzahnkautschuk und veganes Leder aus Holz und Baumwolle hergestellt werden, sondern auch Lippenstifte mit Algeninhaltsstoffen oder Turnschuhe aus Spinnenseide.
Um den Industriestandort Deutschland langfristig und nachhaltig zu stärken, unterstützt das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) die deutsche Industrie dabei, Leitmarkt und internationaler Leitanbieter biobasierter Produkte und Verfahren zu werden. Dafür sollen Unternehmen angeregt werden, biobasierte Produkte herzustellen und innovative biotechnologische Verfahren zu entwickeln und zu nutzen.
28 Beispielregionen der industriellen Bioökonomie wurden in Deutschland bereits identifiziert.
Beispielregionen der Bioökönomie
In Beispielregionen der industriellen Bioökonomie wird deutlich, dass die Transformation der Industrie bereits begonnen hat. Diese Regionen verfügen über Industrieunternehmen, nachwachsende Rohstoffe, Forschungseinrichtungen und Cluster sowie eine Strategie, um die industrielle Bioökonomie regional voranzutreiben. Ausgangspunkt ist der industrielle Kern, der transformiert werden soll und der auf Basis von nachwachsenden Rohstoffen, Rest- und Abfallstoffen, aber auch reproduzierter Biomasse wie Algen, innovative Produkte und Verfahren entwickelt und vermarktet.
In Kürze: Die industrielle Bioökonomie gilt als wichtiger Schlüssel für eine klimaneutral und nachhaltig produzierende Industrie.
Über eine Online-Abfrage wurden bisher insgesamt 28 Beispielregionen der industriellen Bioökonomie in 14 Bundesländern identifiziert. Diese Regionen haben verschiedene Branchenschwerpunkte: Die Chemie-, die Lebensmittel- und die Futtermittelindustrie sind in 21 beziehungsweise 22 Regionen relevant für die industrielle Bioökonomie. Die Energieversorgung, die Zellstoff- und Papierindustrie sowie der Maschinenbau sind in mehr als der Hälfte der Beispielregionen von Bedeutung.
Weniger häufig vertreten sind die Metallindustrie und die Textilindustrie. Die Regionen unterscheiden sich außerdem über die genutzten Rohstoffquellen: Jeweils mehr als zwei Drittel der Regionen nutzen industrielle Reststoffe, Forstwirtschaft und Abfälle oder Nebenerzeugnisse aus der Lebens- und Futtermittelindustrie. Seltener hingegen ist die Verwendung von Abfällen oder Nebenerzeugnissen aus der Pharmaindustrie sowie von Ressourcen aus der Fischerei und aus Aquakulturen (jeweils fünf bzw. sechs Regionen).
Alle Beispielregionen zeichnen sich durch besondere Charakteristika aus: Dies können lokale Standortvorteile sein, wie der Hafen und die Nähe zur Nordsee in der Region Hamburg; besondere Vernetzungsprojekte, wie der Mitteldeutsche Algenstammtisch; oder besondere Herausforderungen, wie der Ausstieg aus der Kohlestromversorgung im Rheinland. In ihrer Vielfalt stellen alle Regionen Vorbilder für andere, bislang noch nicht so weit entwickelte Regionen dar.
Landkarte der Bioökonomie
Um den Nutzen der Bioökonomie zu kommunizieren, sie als Wirtschaftskonzept greifbarer zu machen und stärker in die Gesellschaft zu transportieren, wurde auf Initiative und mit maßgeblicher Unterstützung der Dialogplattform „Industrielle Bioökonomie“ eine Online-Landkarte entwickelt und auf der Hannover Messe Ende Mai 2022 erstmals öffentlich präsentiert. Die Landkarte gibt Hinweise dazu, wie erfolgreiche Bioökonomie-, Innovationsöko- und Wirtschaftssysteme aufgebaut, gestärkt und verknüpft werden können. Sie liefert Ansprechpartner, damit sich Beteiligte in Regionen, die sich im Aufbau befinden, austauschen und voneinander lernen können. Damit vereinfacht sie Vernetzungen – sowohl zwischen den Akteuren in einer Region als auch zwischen den verschiedenen Regionen.
Hinweis:
Wenn es sich bei Ihrer Region ebenfalls um eine Beispielregion der industriellen Bioökonomie handelt und sie sich noch nicht auf der Online-Landkarte befindet, können Sie gerne den ersten Teil der Umfrage ausfüllen unter t1p.de/biooekonomie-umfrage
Biobasierte Innovationen fördern und Potenziale heben
Die Beispielregionen befinden sich selbst noch in der Entwicklung. In einigen bilden sich biobasierte industrielle Wertschöpfungsnetzwerke gerade erst aus und in vielen Regionen bestehen noch Lücken, etwa bei der Infrastruktur oder beim Transfer. Insgesamt steht Deutschlands Bioökonomie in vielen Regionen noch am Anfang. Das gilt insbesondere für die Hochskalierung biobasierter Produkte und Verfahren in den Industriemaßstab.
In Kürze: Insgesamt steht Deutschlands Bioökonomie noch am Anfang. Das gilt insbesondere für die Hochskalierung biobasierter Produkte und Verfahren in den Industriemaßstab.
Um vorhandenes Potenzial zu heben, hat das BMWK im Dezember 2020 das Förderprogramm Industrielle Bioökonomie mit inzwischen drei Förderbausteinen aufgesetzt. Die Bausteine A und B unterstützen Start-ups, kleine und mittlere Unternehmen und unter bestimmten Voraussetzungen auch Großunternehmen dabei, ihre im Labormaßstab erprobten biobasierten Produkte und Verfahren in den industriellen Maßstab zu skalieren. Seit Ende 2021 unterstützt das Wirtschaftsministerium mit Baustein C nun auch den Transfer der Produkte und Verfahren in regionale industrielle Wertschöpfungsnetze. Mit dem Ziel, die regionale Transformation durch Wissenstransfer voranzutreiben, werden neben Unternehmensverbünden auch Innovationscluster gefördert. Die Fristen zur Skizzeneinreichung enden immer am 30. Juni und am 1. März eines Jahres.
Akteure und Regionen sollen sich vernetzen
Zu Besuch in der Beispielregion Nordost-Brandenburg...
Michael Kellner, hat Anfang Mai mit Jörg Steinbach, dem brandenburgischen Minister für Wirtschaft, Arbeit und Energie, in der Beispielregion Nordost-Brandenburg mehrere Unternehmen aus der Papier-, Zellstoff-, Abfall- und Verpackungsindustrie sowie aus dem Bereich der Herstellung von Biokohlenstoffen und Biokraftstoffen besucht.
Nachhaltige Wertschätzungskreisläufe können entstehen.
Die Region Nordost-Brandenburg umfasst derzeit drei Landkreise (Uckermark, Barnim und Oberhavel) und ist damit relativ klein. Der Transformationsdruck ist jedoch vergleichsweise hoch und hat sich mit dem Ziel der Bundesregierung, unabhängig von russischen Ölimporten zu werden, weiter verstärkt. Zwar befindet sich die Region noch in einem frühen Entwicklungsstadium, sie bietet aber viel Potenzial für die industrielle Bioökonomie, insbesondere in der Papier- und Zellstoffindustrie sowie der Lebens- und Futtermittelindustrie.
In Kürze: Die Region Nordost-Brandenburg bietet viel Potenzial für die industrielle Bioökonomie, insbesondere in der Papier- und Zellstoffindustrie sowie der Lebens- und Futtermittelindustrie.
Auch die regionalen Akteure zeigen ein hohes Engagement: Ein lokales Projekt baut einen Innovation Campus in Schwedt/Oder zur Stärkung des regionalen Innovationsökosystems auf. Für die Projektentwicklung des Campus wurde ein Industriemanagement eingesetzt, das Konzepte ausarbeiten möchte, um den innovationsbasierten Transformationsprozess in der Region voranzutreiben. Ein anderes, unternehmensgetriebenes Projekt besteht darin, ein „Reallabor Biokreislaufökonomie“ einzurichten, dessen Räumlichkeiten für sektorübergreifende Test- und Erprobungsprojekte in der Kreislauf-Bioökonomie zur Verfügung gestellt werden sollen. Durch die Zusammenarbeit und den Austausch von Clusterpartnern, Instituten und Start-ups sollen Synergien gehoben und die Entwicklung innovativer Technologien und Geschäftsmodelle beschleunigt werden. Das übergeordnete Ziel ist, die strukturschwache Region attraktiver für Unternehmen und Forschungseinrichtungen zu machen, diese miteinander zu vernetzen und so mittels innovativer Sektorenkopplung nachhaltige Wertschöpfungskreisläufe zu schaffen.
Einweggeschirr aus Pflanzenfasern oder CO2-negatives Granulat, das mit Biokohlenstoffen hergestellt wird – der Besuch in der Beispielregion Nordost-Brandenburg hat anschaulich gezeigt, wie vielfältig die industrielle Bioökonomie ist und dass sich auch Regionen ohne voll ausgebildete biobasierte Wertschöpfungsnetzwerke mit Leuchtturmprojekten profilieren können.
...und in der Beispielregion Mitteldeutschland
Mitte Mai 2022 haben Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und der Parlamentarische Staatssekretär im BMWK, Michael Kellner, zusammen mit dem Ministerpräsidenten Sachsen-Anhalts, Reiner Haseloff, und dem Umweltminister Sachsen-Anhalts, Armin Willingmann, den Chemiepark Leuna besucht, der ebenfalls in einer Beispielregion liegt. Dort sollen im Rahmen einer großen Neuansiedlung zunehmend biobasierte Alternativen für die Chemieindustrie produziert werden. Der Chemiepark verfügt über eine große Mehrzweckdemonstrationsanlage, wo insbesondere Start-ups sowie kleine und mittlere Unternehmen ihre im Labormaßstab erprobten Produkte und Verfahren hin zum industriellen Maßstab weiterentwickeln können. Das Mitteldeutsche Revier zeichnet sich insgesamt durch eine große Vielfalt an Regionen mit industriellen Kernen aus, die sich verstärkt in die Richtung der industriellen Bioökonomie transformieren.
Einweggeschirr aus pflanzenfasern oder CO2-negatives Granulat, das mit Biokohlenstoffen hergestellt wird: Die Beispielregionen machen’s anschaulich.
Förderprojekte der industriellen Bioökonomie auf der Hannover Messe
Vom 30. Mai bis 2. Juni fand die diesjährige Hannover Messe statt – zum 75. Mal. Auf der Weltleitmesse der Industrie waren vom BMWK geförderte Projekte in verschiedenen Entwicklungsstadien ausgestellt, darunter auch ein Projekt der industriellen Bioökonomie.
Das Projekt der Algoliner GmbH & Co. KG kultiviert Mikroalgen, indem CO2 aus Biogasanlagen sogenannten Photobioreaktoren zugeführt wird. Mikroalgen gehören zu den effektivsten Lösungen zur Erzeugung von Biomasse und zur Speicherung von CO2. Mithilfe der selektiven Einspeisung von CO2 aus den Abgasen einer Biogasanlage – perspektivisch auch CO2 aus anderen industriellen Prozessen – soll das Wachstum von Mikroalgen in den Reaktoren beschleunigt werden. Gleichzeitig könnten die CO2-Emissionen stark reduziert werden. Die Chance besteht darin, künstlich erzeugtes CO2, das normalerweise sehr energieintensiv gewonnen werden muss, durch CO2 aus Abgasen zu ersetzen. Aus der entstehenden Algen-Biomasse lassen sich beispielsweise Nahrungsergänzungsmittel, Kosmetikartikel, Tiernahrung, andere chemische Wertstoffe und Biomasse zur Energiegewinnung herstellen. Auf der Messe stieß der Algenbioreaktor auf großes Interesse.
Um CO2 einzusparen, bietet die industrielle Bioökonomie viele innovative Ideen..
Dieses und weitere vom BMWK geförderte Projekte der industriellen Bioökonomie, die auf der Hannover Messe vom Parlamentarischen Staatssekretär Michael Kellner gewürdigt wurden, haben vielseitige Ideen zur Substitution fossiler Rohstoffe entwickelt und veranschaulichen die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten biobasierter Produkte und Verfahren in der Industrie.
In Kürze: Im Chemiepark Leuna sollen zunehmend biobasierte Alternativen für die Chemieindustrie produziert werden.
Deutschland kann nicht länger auf die industriellen Transformationen warten
Um die Klimaschutzziele bis 2030 zu erreichen, ist es wichtig, jetzt aktiv zu werden. Der Umsetzungsplan zur Nationalen Bioökonomiestrategie der Bundesregierung, der zurzeit erarbeitet wird, kann dazu einen Beitrag leisten. Der Bioökonomierat, besetzt mit Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Verbänden und Wirtschaft, unterstützt die Bundesregierung dabei. Er orientiert sich bei seinen Empfehlungen für einen Umsetzungsplan an allen drei Dimensionen der Nachhaltigkeit: der wirtschaftlichen, der ökologischen und der sozialen.
Die Bundesregierung hat zudem im Koalitionsvertrag vereinbart, eine nationale Biomassestrategie zu erarbeiten. Der nachhaltige Einsatz von Biomasse ist ein Baustein zum Erreichen der Klimaschutz- und Biodiversitätsziele sowie der Transformation der Industrie. Doch die aktuelle Biomassenutzung steht häufig in direkter Konkurrenz zu der im Bundes-Klimaschutzgesetz verankerten Stärkung der natürlichen CO2-Senken sowie zur notwendigen agrar-ökologischen Wende und zur Nahrungsmittelproduktion. Das nachhaltig verfügbare Biomassepotenzial in Deutschland und darüber hinaus weltweit ist begrenzt. Die Biomassestrategie soll daher auf eine nachhaltige Biomasseerzeugung und -nutzung unter stärkerer Berücksichtigung der Potenzialgrenzen sowie der Biodiversitäts- und Klimaschutzziele ausgerichtet sein. So wird es unter anderem darauf ankommen, die begrenzten Biomasseressourcen effizient und gezielt in den Bereichen einzusetzen, in denen sie zur Defossilisierung zwingend benötigt werden und in denen andere Lösungen technisch und wirtschaftlich auch langfristig nicht zu erwarten sind. Die langfristige stoffliche Nutzung in Teilbereichen der Industrie ist hierfür ein gutes Beispiel. Die Biomassestrategie ist komplementär zur nationalen Bioökonomiestrategie zu entwickeln.
Es gibt viele Ideen für biobasierte Produkte und Verfahren in der Industrie.
BMWK-FÖRDERBEISPIELE DER INDUSTRIELLEN BIOÖKONOMIE
• die Herstellung von Hefeöl aus Altbrot und Weizenstroh
• die Gewinnung von funktionellem Protein aus Gras für den Einsatz in der Lebensmittelindustrie
• die Herstellung eines emissionsfreien,ökologischnachhaltigen Dämmstoffes aus nachwachsenden Reststoffen
• die Produktion von Pyrolyseölen und Pflanzenkohleausbiogenen Roh- und Reststoffen aus der Holz- und Forstwirtschaft
• die Herstellung von bakterieller Nano-Cellulosealsbiobasierte Alternative für Leder, die etwa in der Textil- und Automobilindustrie genutzt werden kann
Das BMWK wird auch weiterhin die Entwicklungen der industriellen Bioökonomie flankieren. Neben der Weiterentwicklung der Online-Landkarte mit Beispielregionen sollen weitere Übersichten mit Best-Practice-Beispielen und Demonstrationsanlagen der industriellen Bioökonomie erstellt werden. Letztere nutzen Unternehmen bei der Hochskalierung ihrer biobasierten Produkte und Verfahren vom Labormaßstab in den industriellen Maßstab. Darüber hinaus wird das BMWK nicht nur sein Förderprogramm Industrielle Bioökonomie fortführen, sondern auch mit einem Gutachten die Möglichkeiten einer Wachstumsfinanzierung, unter anderem im Bioökonomie-Bereich, untersuchen.
Um die Klimaschutzziele bis 2039 zu erreichen, ist es wichtig, jetzt aktiv zu werden
Eines steht bereits fest: Politik, Wissenschaft und Wirtschaft müssen eng zusammenarbeiten, um die industrielle Transformation voranzubringen. Neben und gemeinsam mit dem Ausbau grüner Energien und der Entwicklung von Wasserstofftechnologien kann die industrielle Bioökonomie dabei ein wichtiger Treiber sein.