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In „Reallaboren der Energiewende“ werden innovative Energietechnologien in der Praxis erprobt.
Ob CO2-arm hergestellter Wasserstoff, energieoptimierte Quartiere oder großskalige Stromspeicher: Um neue Energietechnologien und Geschäftsmodelle zu entwickeln und zur Marktreife zu bringen, müssen sie praktisch erprobt werden. Den 20 Gewinnern des BMWi-Ideenwettbewerbs „Reallabore der Energiewende“ bietet sich nun die Chance, Innovationen in einem realen Umfeld zu testen und die Transformation des Energiesystems voranzutreiben.
Am 18. Juli 2019 hat Bundesminister Peter Altmaier die Gewinner des Ideenwettbewerbs „Reallabore der Energiewende“ bekanntgegeben. Die teilnehmenden Konsortien aus Unternehmen, Forschungseinrichtungen und Kommunen haben nun die Chance, vielversprechende Innovationen erstmals im industriellen Maßstab zu testen. Zeitlich und räumlich begrenzt können in diesen Experimentierräumen unter realen Bedingungen wichtige Erfahrungen für einen möglichen flächendeckenden Einsatz neuer Technologien gesammelt werden. Dabei steht immer auch das Gesamtsystem im Zentrum der Betrachtung. Es wird untersucht, wie tragfähige Geschäftsmodelle auf Basis innovativer Technologien gestaltet sein können und welche Wechselwirkungen sie mit dem Energiesystem sowie der Gesellschaft haben.
Neue Perspektiven für Strukturwandelregionen
Räumlich verteilen sich die 20 vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) ausgewählten Projekte über ganz Deutschland. Dabei umfassen sie in ihrer Ausdehnung einzelne Quartiere oder Industrieareale, ganze Städte oder berühren sogar mehrere Länder. Ein räumlicher Schwerpunkt der Förderung liegt zudem in Strukturwandelregionen. So sind zehn der 20 Reallabore in Regionen angesiedelt, die vom Kohleausstieg betroffen sind. Diesen Regionen, die vor besonderen Herausforderungen stehen, eröffnen sich mit den Reallaboren der Energiewende neue Perspektiven. Neue Technologien und Wirtschaftsformen können dazu beitragen, den Strukturwandeln in diesen Regionen zu unterstützen.
Neben der regionalen Verteilung ist auch die inhaltliche Bandbreite der Gewinner-Projekte groß. Wie können Industrie und Wohnquartiere sinnvoll vernetzt und optimal mit Strom und Wärme versorgt werden? Wie lässt sich Wasserstoff umweltschonend, günstig und in großen Mengen herstellen oder der Verkehr in Innenstädten möglichst effizient und schadstoffarm gestalten? In den Reallaboren der Energiewende sollen praktische Lösungen für komplexe Fragestellungen entwickelt und erprobt werden. Das übergeordnete Ziel dabei: den klimaschädlichen Kohlendioxidausstoß nachhaltig zu reduzieren. Deshalb wurden in der Wettbewerbsausschreibung Schwerpunkte auf energieoptimierte Quartiere, großskalige Energiespeicher und insbesondere Wasserstofftechnologien gelegt.
Reallabore der Energiewende
sind systemisch ausgelegte Querschnittsprojekte, in denen unterschiedliche Energietechnologien und deren Zusammenwirken in realer Umgebung erprobt werden. Vorrangiges Ziel dieser Experimentierräume ist es, den Innovationstransfer in die Praxis zu beschleunigen.
Daneben hat das BMWi eine themenoffene Reallabore-Strategie veröffentlicht, mit der die Erprobung von innovativen (digitalen) Technologien und Geschäftsmodellen unterstützt und Regulierung clever weiterentwickelt werden soll. Weitere Informationen dazu finden Sie unter www.reallabore-bmwi.de.
Fokus auf Wasserstofftechnologien
So werden Reallabore auch in der Wasserstoffstrategie der Bundesregierung eine wichtige Rolle spielen. Denn das Gas, das mit Strom aus erneuerbaren Quellen mittels Elektrolyse aus Wasser hergestellt werden kann, ist zu einem Hoffnungsträger der Energiewende geworden. Der farb- und geruchslose Stoff erzeugt keine schädlichen Emissionen und kann vielfältig angewendet werden. So kann Wasserstoff etwa zum Speichern von Energie oder als emissionsarmer Treibstoff für Fahrzeuge mit Brennstoffzellenantrieb genutzt werden. Auch lässt sich Wasserstoff zu CO2-neutralem Kraftstoff und vielen weiteren chemischen Produkten weiterverarbeiten. Die besonderen Eigenschaften des Wasserstoffs machen sich dabei gleich mehrere Reallabore zu eigen.
Im Reallabor „Green MeOH“ in Stade bei Hamburg soll beispielsweise erforscht werden, wie sich Wasserstoff konkret anwenden lässt, um CO2-Emissionen in einem industriellen Kraftwerksprozess zu vermeiden. Aus den Abgasen eines Gaskraftwerks soll CO2 herausgefiltert und durch Zugabe von Wasserstoff in Methanol umgewandelt werden. So entsteht ein Grundstoff, der in anderen chemischen Verfahren oder im Schiffs- und Schwerlastverkehr eingesetzt werden kann. Mit rund 200.000 Tonnen Methanol pro Jahr ist das Projekt dabei rund zehn Mal größer als alle vergleichbaren Anlagen für „grünes Methanol“ weltweit und hat damit einen Leuchtturm-Charakter.
Elektrolyse
bezeichnet die Aufspaltung von chemischen Verbindungen durch elektrischen Strom. Dadurch lässt sich elektrische in chemische Energie umwandeln. Bei der Wasserelektrolyse wird mithilfe eines Elektrolyseurs Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff zerlegt.
Ein anderer Ansatz, Wasserstoff zu nutzen, wird im Reallabor „H2Stahl“ im Ruhrgebiet verfolgt. Das Ziel dabei: die Produktion von CO2 bei der Stahlproduktion in Deutschland – als größtem Stahlhersteller in der EU – zu reduzieren. So wollen die Partner im Reallabor Wasserstofftechnologien anwenden, um aus Erz Eisen zu gewinnen. Wird für diesen Prozess im Hochofen bisher in der Regel Einblaskohle verwendet, soll in einer Übergangsphase in den bestehenden Anlagen reiner Wasserstoff beigemischt werden. Die Betreiber gehen davon aus, dass mit dieser Brückentechnologie CO2-Emissionen um rund 20 Prozent gemindert werden können. Parallel planen die Forschenden in einer Versuchsanlage nur noch reinen Wasserstoff für die Gewinnung von Eisen aus Erz einzusetzen (Verfahren der Direktreduktion mit Wasserstoff). So sollen die Emissionen perspektivisch noch weiter gesenkt und ein wichtiger Beitrag zum Klimaschutz geleistet werden.
Braunkohlekraftwerk wird Wärmespeicher
Einen innovativen Ansatz zum Speichern von Strom verfolgt das Reallabor „StoreToPower“ in Nordrhein-Westfalen. Ziel ist es, ein großskaliges Wärmespeicherkraftwerk zu entwickeln, um das Energiesystem besser an die fluktuierende Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien anzupassen. Dabei wird auf die Infrastruktur eines Braunkohlekraftwerks zurückgegriffen. Strom wird genutzt, um in einem Wärmespeichermodul flüssiges Salz zu erhitzen und in einem Tank zu speichern. Bei erhöhtem Strombedarf wird mit der Salzschmelze Dampf erzeugt, der zur Produktion von Strom in der Turbine des Kraftwerks verwendet wird. So kann ein Teil des mit Kohle erzeugten Dampfs ersetzt und die CO2-Bilanz des Kraftwerks verbessert werden. Die Pilotanlage lässt sich schrittweise erweitern und kann nach dem Kohleausstieg auch im reinen Speicherbetrieb laufen. Das Projekt soll damit aufzeigen, wie Kraftwerksstandorte an neue Rahmenbedingungen angepasst und nachhaltig genutzt werden können.
Im Energiewende-Reallabor „Lausitz“ soll die Transformation der ostdeutschen Strukturwandelregion, deren Energieversorgung bislang hauptsächlich auf fossilen Energiequellen basiert, vorangetrieben werden. Hierzu werden unter anderem Konzepte zu CO2-armen Quartieren sowie emissionsarmem Verkehr erprobt. Gleichzeitig soll insbesondere den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Auswirkungen des Strukturwandels in der Region begegnet werden. So planen die Projektpartner, energiewirtschaftliche Akteure zusammenzubringen, die Investitionsentscheidungen in ihren Institutionen befördern sollen. In insgesamt 13 Teilprojekten in den Städten Cottbus, Spremberg, Lübbenau und Lübben sollen Pilotlösungen Anreize für Teilhabe bieten und Hemmnisse in der Region abbauen. Eine zentrale Rolle dabei spielen Maßnahmen zur Digitalisierung.
Große Resonanz auf den Ideenwettbewerb
Die Resonanz auf den ersten Ideenwettbewerb „Reallabore der Energiewende“ hat die Erwartungen deutlich übertroffen. Insgesamt haben sich rund 90 Konsortien mit über 500 Partnern aus Industrie und Wissenschaft beteiligt. Die 20 Gewinner des Ideenwettbewerbs werden nun aufgefordert, konkrete Anträge zu stellen, die anschließend geprüft werden. Über einen Zeitraum von fünf Jahren fördert das BMWi die Reallabore mit insgesamt 100 Millionen Euro pro Jahr. Zusätzlich wird angestrebt, einmalig 200 Millionen Euro für Reallabore in den vom Strukturwandel betroffenen Regionen zur Verfügung zu stellen.
In Zukunft sollen weitere Ausschreibungen folgen und der Förderrahmen für „Reallabore der Energiewende“ noch erweitert werden. Aktuell wird hierzu eine neue Förderrichtlinie des BMWi erarbeitet, die von der Europäischen Kommission zu genehmigen ist (Grundlage sind der Unionsrahmen für staatliche Beihilfen zur Förderung von Forschung, Entwicklung und Innovation und die Leitlinien für staatliche Umweltschutz- und Energiebeihilfen 2014–2020).
Kontakt: Benjamin George
Referat: Energieforschung – Grundsatzfragen und Strategie
Weiterführende Informationen
07.10.2019 - Download -
Publikation:Die Energiewende praktisch umsetzen
Schlaglichter der Wirtschaftspolitik (Monatsbericht 10/2019)