Bild einer wellenförmigen Papierkonstruktion in blau vor grauem Grund

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Die Wachstumsschwäche der jüngeren Vergangenheit resultiert insbesondere aus den erheblichen Nachwirkungen des Energiepreisschocks des Jahres 2022, dem Verlust an Kaufkraft im Zuge des inflationären Schubs sowie der zur Eindämmung der Inflation erforderlichen restriktiven Zinspolitik. Positiv sticht die robuste Verfassung des Arbeitsmarkts heraus – die Erwerbstätigkeit bewegt sich weiter auf Rekordniveau, angesichts des demografischen Wandels können viele Stellen nicht besetzt werden. Die Bundesregierung hat sich vor diesem Hintergrund nach den Stabilisierungsmaßnahmen während der Energiekrise bewusst gegen weitere konjunkturpolitische Maßnahmen zur kurzfristigen Stärkung des Wirtschaftswachstums entschieden, um einer Verfestigung des Preisauftriebs entgegenzuwirken. Das gesamtstaatliche Defizit lag mit zuletzt 2,1 Prozent des BIP – anders als in anderen G7-Staaten – auf niedrigem Niveau und dürfte im laufenden Jahr weiter zurückgehen.

Die zentrale wirtschaftspolitische Herausforderung Deutschlands und der EU liegt darin, die Wettbewerbsfähigkeit nachhaltig zu stärken und eine strukturelle Wachstumsschwäche abzuwenden. Die Bundesregierung sieht ein Potenzialwachstum von nur 0,5 Prozent als zu niedrig an, um den Herausforderungen der nächsten Jahre erfolgreich entgegenzutreten. In den kommenden Monaten und Jahren gilt es, zusätzliche Anstrengungen zu unternehmen, um die wirtschaftliche Dynamik zu erhöhen und das Wachstumspotenzial zu stärken. Hierzu hat die Bundesregierung mit dem Jahreswirtschaftsbericht 2024 (JWB) Perspektiven aufgezeigt.

Die großen strukturellen Herausforderungen – geopolitische Risiken, Dekarbonisierung und demografische Alterung – sind überwiegend angebotsseitiger Natur, weshalb auch die wirtschaftspolitischen Antworten in ihrem Schwerpunkt auf der Angebotsseite ansetzen. Dies gilt umso mehr, da sich Defizite bei einzelnen Standortfaktoren bereits über einen längeren Zeitraum angestaut haben. Dabei sollte eine wachstumsorientierte Wirtschaftspolitik die Bemühungen um Klimaschutz und Nachhaltigkeit insgesamt unterstützen und die Chancen der Transformation ergreifen: Maßnahmen zur Dynamisierung müssen so gestaltet sein, dass Investitionen verstärkt in zukunftsfähige und nachhaltige Formen der Wertschöpfung fließen (siehe hierzu auch den Schlaglichter-Artikel „Zeit für eine transformative Angebotspolitik“ aus dem Mai 2023).

Zeit für weitere Maßnahmen nutzen, "Reformbooster" zünden

Die Bundesregierung hat im JWB 2024 zehn Handlungsfelder zur nachhaltigen Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit identifiziert und mit konkreten Maßnahmen unterlegt. Dabei werden insbesondere die allgemeinen Rahmenbedingungen für eine stärkere Investitionstätigkeit, eine höhere Produktivität sowie eine effiziente Transformation im Interesse von Klimaschutz und Resilienz in den Blick genommen. In den kommenden Jahren gilt es, in den jeweiligen Handlungsfeldern konkrete Fortschritte zu erzielen. Das wiederum erfordert weitere substanzielle Maßnahmen.

Vor allem braucht es eine stärkere Dynamik der Investitionstätigkeit. Zwar sind die Ausrüstungsinvestitionen nach dem dramatischen Einbruch zu Beginn der Corona-Pandemie insgesamt wieder gestiegen. Das Vorkrisenniveau wurde jedoch auch 2023 noch nicht erreicht (siehe Abbildung 1). Um die Zukunftsfähigkeit der Unternehmen in Deutschland zu sichern, die Transformation zu meistern und Deutschlands beachtlichen Wohlstand zu erneuern, sind mehr Investitionen dringend erforderlich.

Da rund 90 Prozent der Investitionen in Deutschland auf den privaten Sektor entfallen, müssen dafür vor allem entsprechende Anreize gesetzt werden, um mehr privatwirtschaftliche Investitionen zu mobilisieren. Daher hat die Bundesregierung im Wachstumschancengesetz gezielte steuerliche Entlastungen umgesetzt und insbesondere das Instrument der degressiven Abschreibungen verbessert. Empirische Evidenz zeigt, dass verbesserte Abschreibungsmöglichkeiten positive Effekte auf Investitionen haben und gleichzeitig die fiskalischen Belastungen moderat bleiben (siehe Dorn et al., 2021).

Neben allgemein verbesserten Investitionsanreizen sieht das BMWK aber auch Bedarfe für gezielte Verbesserungen, etwa im Hinblick auf den Bausektor oder den weiteren Hochlauf der Elektromobilität. Sowohl das Thema Wohnen als auch das Thema Mobilität wurden angesichts ihrer besonderen Bedeutung für die Lebensqualität im JWB 2024 als prominente Handlungsfelder hervorgehoben.

Bürokratieabbau – gesamtgesellschaftlicher Ehrgeiz ist gefragt

Weitergehende Maßnahmen sind auch zum Abbau von unnötiger Bürokratie notwendig. Das über viele Jahre entstandene Ausmaß an bürokratischen Belastungen sowie die hohe Regelungsdichte sind in Deutschland zu einem ernsthaften Investitionshemmnis geworden, das schrittweise behoben werden muss. Neben den Fortschritten bei der Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren, gerade für den Ausbau der Erneuerbaren Energien, arbeitet die Bundesregierung entsprechend unter Hochdruck an weiterem Bürokratieabbau.

Um eine spürbare Entlastung zu schaffen, reicht es nicht aus, punktuell an Stellschrauben in einzelnen Gesetzen zu drehen. Stattdessen beschreitet das BMWK mit den sogenannten Praxischecks einen neuen Weg des Bürokratieabbaus. Dabei setzen sich Unternehmen, Verwaltungen sowie weitere Expertinnen und Experten in Workshops zusammen und identifizieren gemeinsam Hemmnisse und Lösungsansätze anhand konkreter Fallkonstellationen. Das Verfahren wurde bereits erfolgreich bei den Regelungen für die Errichtung und den Betrieb von Photovoltaik-Anlagen erprobt und die Erkenntnisse wurden direkt umgesetzt, unter anderem im Solarpaket. Das BMWK rollt nun das Instrument schrittweise auf weitere Themen aus. So wurden bzw. werden aktuell z. B. Praxischecks zu Windenergie an Land, zu Neu- und Nachfolgegründungen und zur Genehmigung von Schwerlasttransporten gemeinsam mit Hamburg durchgeführt.

Im Interesse einer insgesamt schlanken Bürokratie und pragmatischer Regelungen bedarf es auch eines kulturellen Wandels. Gefragt ist dabei nicht nur eine erhöhte Sensibilität für das Risiko der Überregulierung bei Bund und Ländern, sondern auch bei Verbänden, Unternehmen sowie den Bürgerinnen und Bürgern. Denn nicht selten liegt der Ausgangspunkt von Bürokratie gerade im Bemühen der Politik, den Interessen aller Stakeholder gerecht zu werden.

ABBILDUNG 1: AUSRÜSTUNGSINVESTITIONEN, PREISBEREINIGT (KETTENINDEX 2010 = 100) Bild vergrößern

© Statistisches Bundesamt (StBA)

Bessere Anreize für die Aufnahme und Ausweitung von Erwerbsarbeit setzen

Treten die geburtenstarken Jahrgänge in den nächsten Jahren in den Ruhestand, wird sich der bereits bestehende Arbeits- und Fachkräftemangel spürbar verschärfen. Die tatsächliche Entwicklung ist jedoch nicht in Stein gemeißelt. So gibt es in Deutschland keine gesetzliche Vorgabe für ein Ausscheiden aus dem Erwerbsleben. Im Gegenteil: Zuletzt hat der Gesetzgeber die Möglichkeiten erweitert, während des Rentenbezugs hinzuzuverdienen. Unabhängig davon zeigt sich seit Jahren ein positiver Beschäftigungstrend unter den Personen im Alter über 65 Jahren. Oftmals trägt eine Fortsetzung der Erwerbstätigkeit im Alter nicht nur zum Einkommen, sondern auch zum Erhalt von geistigen und körperlichen Fähigkeiten bei. Der Staat ist gefordert, den einsetzenden Kulturwandel durch den Abbau weiterer Hürden sowie die Schaffung attraktiver Rahmenbedingungen für eine Erwerbstätigkeit auch nach Erreichen der Regelaltersgrenze zu verstärken. Zur Steigerung der Erwerbsbeteiligung von Älteren hat die Bundesregierung einen gemeinsamen „Dialogprozess Arbeit und Rente“ mit den Sozialpartnern ins Leben gerufen.

Um die Effekte der demografischen Entwicklung auszugleichen und positive Anreize für eine Ausweitung des Arbeitsangebots zu setzen, müssen viele Handlungsfelder gleichzeitig adressiert werden. In Deutschland gibt es neben den Älteren vor allem bei Müttern (siehe Abbildung 2) Möglichkeiten zur Steigerung der Erwerbstätigenquote oder einem Aufwuchs der Arbeitsstunden. Der gesamte Effekt einer Mutterschaft auf das Einkommen, die sogenannte Child-Penalty, setzt sich aus Teilzeiteffekten, Stundenlohneinbußen und Nicht-Partizipation zusammen und verursacht Einkommenseinbußen von rund 60 Prozent (Glogowsky et al., 2024).

ABBILDUNG 2: ANTEIL ERWERBSTÄTIGER NACH FAMILIENSTATUS, GESCHLECHT UND ALTER FÜR 2022 Bild vergrößern

© Mikrozensus 2022

Um das Arbeitsangebot insbesondere von Müttern zu erhöhen, braucht es ein qualitativ und quantitativ besseres Betreuungsangebot und eine Stärkung der finanziellen Anreize für Zweitverdienende. Daneben wird die Bundesregierung generell das Problem angehen, dass unser Steuer- und Transfersystem so konzipiert ist, dass sich eine Ausweitung der Arbeitsstunden finanziell oftmals wenig lohnt (hohe Entzugsraten von Transferzahlungen bzw. hohe Grenzsteuersätze).

Neben den Arbeitsanreizen setzt die Bundesregierung auf Maßnahmen für eine höhere Arbeitsproduktivität. Insbesondere stellt sich die Frage, welche Rahmenbedingungen dazu beitragen, dass Chancen, die mit einer passenden Weiterbildung oder auch einem Wechsel des Arbeitsplatzes verbunden sind, noch häufiger ergriffen werden. Vor allem Personen im Niedriglohnbereich wissen oft nichts über bessere Verdienstmöglichkeiten bei anderen Arbeitgebenden. Eine Stärkung der Lohntransparenz über Branchen hinweg kann zu einer Verlagerung von Beschäftigten zu höher zahlenden und damit produktiveren Branchen und Betrieben führen (vgl. Fuest & Jäger 2023). So kann eine Erhöhung der Lohntransparenz über Vorteile auf der individuellen Ebene hinaus auch die gesamtwirtschaftliche Produktivität steigern.

Eine zusätzliche Herausforderung und Licht am Ende des Tunnels

Um das Potenzialwachstum zu steigern, braucht es nicht zuletzt auch öffentliche Investitionen, um beispielsweise die Infrastruktur zu ertüchtigen. Ob das bestehende fiskalische Regelwerk die Investitionstätigkeit des Staates beschränkt und wie größere Spielräume für notwendige Investitionen geschaffen werden können, wird nicht zuletzt seit dem BVerfG-Urteil zum KTF vom 15. November 2023 auch von Seiten der Wissenschaft verstärkt diskutiert1. Das BMWK verfolgt diese Diskussion aufmerksam. Ziel muss es sein, die notwendigen Mittel für wachstumsfördernde öffentliche Investitionen bereitzustellen und zu verstetigen. Die angestrebten angebotspolitischen Reformen schaffen dabei auch Grundlagen für eine schnellere und effektivere Realisierung öffentlicher Investitionen.

KONTAKT & MEHR ZUM THEMA

Referat: IA1 – Grundsatzfragen der Wirtschaftspolitik

schlaglichter@bmwk.bund.de

Bundesregierung (2024): Jahreswirtschaftsbericht 2024: Wettbewerbsfähigkeit nachhaltig stärken.

BMWK (2023): Zeit für eine transformative Angebotspolitik, Schlaglichter der Wirtschaftspolitik, 05/2023.

Wissenschaftlicher Beirat des BMWK (2023): Finanzierung von Staatsaufgaben: Herausforderungen und Empfehlungen für eine nachhaltige Finanzpolitik.

Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (2024): Die Schuldenbremse nach dem BVerfG-Urteil: Flexibilität erhöhen – Stabilität wahren. Policy Brief.

Fuest und Jäger (2023): Können höhere Löhne zur Überwindung des Fachkräftemangels beitragen? Wirtschaftsdienst 4/2023.
S. 253-258.

Dorn, Fuest, Neumeier und Stimmelmayr (2021): Wie beeinflussen Steuerentlastungen die wirtschaftliche Entwicklung und das Steueraufkommen? Eine quantitative Analyse mit einem CGE-Modell. ifo Schnelldienst 10/2021. S. 3-11.

Glogowsky, Bönke, Hansen, Lüthen und Sachs (2024): The Evolution of Child-Related Gender Inequality in Germany and The Role of Family Policies, 1960-2018. Unveröffentlichtes Arbeitspapier.

1 Siehe hierzu auch das Gutachten vom Wissenschaftlichen Beirat des BMWK bzw. des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (SVR).