Im Fokus

Der Deutsche Bundestag hat vor der parlamentarischen Sommerpause eine wegweisende Reform des Kartellrechts beschlossen. Das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) gilt als das „Grundgesetz der sozialen Marktwirtschaft“. Die aktuelle 11. Novelle des GWB stellt einen Meilenstein der Weiterentwicklung des nationalen Kartellrechts dar, indem sie eine neue, vierte „Säule“ der deutschen Wettbewerbspolitik schafft. Neben den drei bestehenden „Säulen“ – dem Verbot von Kartellen, der Aufsicht über die Ausübung von Marktmacht und der Fusionskontrolle – existiert damit ab sofort ein weiteres Eingriffsinstrument zum Schutz des freien und fairen Wettbewerbs in Deutschland: Künftig kann das Bundeskartellamt, nach der bereits möglichen Untersuchung eines Wirtschaftsbereichs (der so genannten „Sektoruntersuchung“), festgestellte Störungen des Wettbewerbs durch zielgerichtete Maßnahmen effektiv beheben.

Den Wettbewerb dort stärken, wo er aktuell zu wenig ausgeprägt ist

Die 11. GWB-Novelle versetzt das Bundeskartellamt somit in die Lage, in den Wirtschaftsbereichen für mehr Wettbewerb zu sorgen, wo dieser nicht ausreichend funktioniert. Beispielsweise dort, wo Verbraucherinnen und Verbraucher hohe Preise zahlen, die sich sachlich nicht rechtfertigen lassen, oder auf Märkten, auf denen Mittelständler wenigen großen Unternehmen mit enormer Nachfragemacht gegenüberstehen. So ist derzeit auf einigen Märkten Wettbewerb zwar theoretisch möglich, funktioniert jedoch bei genauerer Untersuchung tatsächlich nicht oder nur sehr eingeschränkt.

Im Wettbewerb können die Verbraucherinnen und Verbraucher durch ihre regelmäßigen Kaufentscheidungen stets implizit mit einem Wechsel des Anbieters drohen. Dadurch können sie gute Produkte und Leistungen belohnen und schlechte bestrafen. Dafür muss diese Drohung aber auch glaubwürdig, weil praktisch und wirtschaftlich möglich sein. Wenn alle anderen Unternehmen auf einem Markt aber ebenfalls hohe Preise fordern und gleich schlechte Qualität anbieten oder vertragliche oder technische Beschränkungen einen Anbieterwechsel verhindern, ist diese Drohung nicht glaubwürdig und der Wettbewerb ist gestört. Die 11. GWB-Novelle zielt auf derartige Märkte mit gestörtem Wettbewerb. Dies sind insbesondere vermachtete und verkrustete Sektoren und Märkte mit strukturellen Problemen.

Zeigen sich im Rahmen der auf maximal 18 Monate angelegten Sektoruntersuchung Störungen des Wettbewerbs, kann das Bundeskartellamt diese Störungen danach durch Verfügung feststellen und sie mithilfe konkreter, auf die jeweilige Situation zugeschnittener Maßnahmen beseitigen. Maßnahmen sind somit ausnahmslos in allen Sektoren möglich, in denen bei einer Sektoruntersuchung eine Störung des Wettbewerbs festgestellt wird. Bisherige Sektoruntersuchungen des Bundeskartellamts fanden etwa in der Entsorgungswirtschaft, dem Lebensmitteleinzelhandel oder bei Baustoffen statt. Aktuell laufen beispielsweise Sektoruntersuchungen zu Raffinerien und dem Kraftstoffhandel sowie zu Ladesäulen für Elektrofahrzeuge.

Die Maßnahmen des Bundeskartellamts können am Verhalten der Marktteilnehmer oder der Struktur des Marktes ansetzen und auch hinsichtlich der Eingriffstiefe stark variieren. So können in vielen Fällen festgestellte Störungen des Wettbewerbs bereits durch wenig einschneidende Maßnahmen deutlich reduziert oder sogar gänzlich beseitigt werden. Beispielsweise kann das Bundeskartellamt künftig sehr langfristige Bindungen in Lieferverträgen untersagen, da diese es neu auf einen Markt kommenden Unternehmen deutlich erschweren, ausreichend Zulieferer zu finden. Oder Unternehmen können verpflichtet werden, die eigenen Produkte mit denen anderer Hersteller technisch kompatibel auszugestalten. Auch kann das Bundeskartellamt Unternehmen die Veröffentlichung von bestimmten Informationen verbieten, die zur stillschweigenden Abstimmung von Preisen oder Produktionsmengen auf einem Markt geeignet sind. Diese Maßnahme kann insbesondere auf oligopolistischen Märkten den Wettbewerb stärken.

Deutsches Kartellrecht

In einzelnen Sektoren kann eine Belebung des Wettbewerbs jedoch auch deutlich schwieriger sein, da die Störungen des Wettbewerbs tiefliegende strukturelle Ursachen haben. Für diese Fälle sieht die 11. GWB-Novelle die Möglichkeit vor, sehr einschneidende Maßnahmen anzuordnen. Das schärfste Schwert des Bundeskartellamts ist künftig die eigentumsrechtliche Entflechtung. Diese ist jedoch an sehr hohe Voraussetzungen geknüpft, um der Schwere des Eingriffs Rechnung zu tragen. Eine solche Maßnahme kann nur in Extremfällen als letztes Mittel ergriffen werden.

Insgesamt werden die Möglichkeiten des Bundeskartellamts gestärkt, das Wettbewerbsprinzip aktiv durchzusetzen, erlahmte Wettbewerbskräfte wieder zu entfesseln und verkrusteten Märkten eine neue Dynamik zu verleihen. Ein intensiverer Wettbewerb führt zu niedrigeren Preisen, höherer Produktqualität und mehr Innovation. Insbesondere die positiven Effekte eines erleichterten Marktzutritts neuer Wettbewerber auf die Investitionstätigkeit werden zu einer Stärkung des Wirtschaftsstandorts beitragen. Funktionierender Wettbewerb bringt effizient wirtschaftende und innovative Unternehmen hervor, wodurch sich die 11. GWB-Novelle auch positiv auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft auswirken wird.

Ähnliches Instrument auch in der EU?

Eine wesentliche Eigenschaft des neuen Eingriffsinstruments in der 11. GWB-Novelle ist, dass es missbrauchsunabhängig ist. Bisher konnte das Bundeskartellamt nur dann handeln, wenn es einen Kartellrechtsverstoß, d. h. verbotene Absprachen von Unternehmen oder den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung, feststellen und gerichtsfest beweisen konnte. Das war in vielen Fällen, in denen der Wettbewerb nicht oder nur eingeschränkt funktionierte, jedoch nicht gegeben. So gab es zuvor Sektoruntersuchungen, bei denen verschiedene Missstände zwar erkannt, aber letztlich nur im Abschlussbericht dokumentiert wurden. Das ist nun anders: Maßnahmen sind bereits dann möglich, wenn das Bundeskartellamt eine Störung des Wettbewerbs festgestellt hat.

Auch während der Krisen der letzten Jahre gab es mehrfach Hinweise auf Märkte mit niedriger Wettbewerbsintensität. Ein intensiverer Wettbewerb hätte in diesen Fällen dazu beigetragen, dass marktliche Anpassungen schneller verlaufen und Lieferketten widerstandsfähiger ausgestaltet worden wären. Die 11. GWB-Novelle hat den kartellrechtlichen Instrumentenkasten nun ergänzt. Insbesondere die strukturellen Eigenschaften und Rahmenbedingungen auf einem Markt lassen sich nun besser adressieren.

Vorbild für die Reform waren Instrumente, die in anderen Staaten bereits existieren und sich dort bewährt haben. Es bestehen insbesondere Parallelen zum Marktuntersuchungsinstrument mit Abhilfemaßnahmen der britischen Wettbewerbsbehörde, welches in Großbritannien mehrfach erfolgreich angewendet wurde – bis hin zur Entflechtung in zwei Fällen. Im ersten Entflechtungsverfahren stellte die britische Wettbewerbsbehörde fest, dass die Beteiligung der privatisierten britischen Flughafenverwaltung an sieben Flughäfen zu erheblichen Wettbewerbsproblemen führte. Daher ordnete die Behörde den Verkauf von Anteilen an einzelnen Flughäfen, darunter Stansted und Gatwick, an. Eine Evaluation stellte nach einigen Jahren fest, dass dies eine höhere Effizienz der Flughäfen und eine bessere Servicequalität für die Fluggäste zur Folge hatte. Im zweiten Verfahren wurde aufgrund einer Vermachtung der britischen Zementmärkte unter anderem die Entflechtung des Unternehmens Lafarge Tarmac angeordnet. Dadurch konnte ein weiterer Wettbewerber in den Zementmarkt eintreten.

Der Europäischen Kommission steht ein derartiges Instrument aktuell noch nicht zur Verfügung. 2020 wurde zwar mit dem „New Competition Tool“ ein ähnliches Konzept vorgestellt, aber zugunsten anderer Dossiers nicht weiterverfolgt. Eine gemeinsame Regelung für die gesamte EU, die Maßnahmen im Anschluss an eine Sektoruntersuchung ermöglicht, hätte aber erhebliche Vorteile. Der Koalitionsvertrag sieht zudem vor, dass sich die Bundesregierung auf EU-Ebene für eine missbrauchsunabhängige Entflechtung einsetzt. In der Vergangenheit hat Deutschland bereits mehrfach Anregungen für neue wettbewerbspolitische Regelungen der EU gegeben oder – mit Blick auf die Vorschriften für große Digitalkonzerne in der 10. GWB-Novelle – sogar eine Vorreiterrolle in der EU eingenommen. Vielleicht gibt auch die 11. GWB-Novelle einen Anstoß für die Wiederbelebung der Debatte um das „New Competition Tool“.

KONTAKT

Referat IB1 – Grundsatzfragen der Wettbewerbspolitik, Kartellrecht, wettbewerbspolitische Fragen der Digitalisierung
Siehe auch „11 Fragen und Antworten zur 11. GWB-Novelle“ (PDF, 107 KB)

schlaglichter@bmwk.bund.de