Bild zum Artikel "Vergabetransformationspaket 2023: Ein Blick in die Werkstatt"

Mit einem jährlichen Auftragsvolumen in dreistelliger Milliardenhöhe ist die öffentliche Beschaffung ein bedeutender Faktor für die deutsche Wirtschaft. Die Regeln für die öffentliche Beschaffung werden durch das Vergaberecht bestimmt, insbesondere unter Berücksichtigung der Grundsätze von Wirtschaftlichkeit, Wettbewerb, Transparenz, Gleichbehandlung, Nichtdiskriminierung und Verhältnismäßigkeit. Das Vergaberecht muss dabei immer handhabbar gestaltet sein und aktuellen Anforderungen einschließlich des Bürokratieabbaus gerecht werden. Gleichzeitig sollte die öffentliche Beschaffung auch in Hinblick auf die Transformation zu einer sozial-ökologischen Marktwirtschaft mit gutem Beispiel vorangehen. Eine umfassende Reform des Vergaberechts fand zuletzt 2015 statt. Es folgten kurzfristige Rechtsetzungsakte, insbesondere im Jahr 2022 zur beschleunigten Beschaffung in Reaktion auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Mit einem Gesetzgebungspaket nimmt das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) nun 2023 eine ambitionierte, moderne und praxisgerechte Transformation des Vergaberechts in Angriff. Zur konkreten Umsetzung hat das BMWK frühzeitig die interessierte Fachöffentlichkeit eingebunden. 

Grundlage der Reformüberlegungen sind die Ziele für das Vergaberecht des Koalitionsvertrages 2021– 2025 von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP. Diese lassen sich im Wesentlichen unter zwei Leitlinien zusammenfassen: Erstens soll die öffentliche Beschaffung noch effizienter ausgerichtet werden. Das heißt, das Vergaberecht soll eine einfachere und schnellere Beschaffung ermöglichen und dabei die digitalen Potenziale besser nutzen. Zweitens soll die Beschaffung strategischer ausgerichtet werden. Das heißt, in der Beschaffung sollen nachhaltige, insbesondere umwelt- und klimabezogene, soziale und innovative Ziele stärker und verbindlicher berücksichtigt werden, ohne dabei kleinen und mittleren Unternehmen den Zugang zu öffentlichen Aufträgen zu erschweren.

Auszug aus dem Koalitionsvertrag 2021 – 2025 (S. 27):

„Wir wollen die öffentlichen Vergabeverfahren vereinfachen, professionalisieren, digitalisieren und beschleunigen. Die Bundesregierung wird die öffentliche Beschaffung und Vergabe wirtschaftlich, sozial, ökologisch und innovativ ausrichten und die Verbindlichkeit stärken, ohne dabei die Rechtssicherheit von Vergabeentscheidungen zu gefährden oder die Zugangshürden für den Mittelstand zu erhöhen.“

Öffentlicher Konsultationsprozess

Das Bundeswirtschaftsministerium ist für das Vergaberecht innerhalb der Bundesregierung federführend. Bei der Umsetzung des Vorhabens berücksichtigt das BMWK die unterschiedlichen Interessen und Perspektiven aller interessierten und betroffenen Parteien, der so genannten Stakeholder. Öffentliche Aufträge werden von kleinen wie großen Kommunalverwaltungen, Ministerien des Bundes und der Länder sowie ihren nachgeordneten Behörden und von zentralen Beschaffungsstellen ebenso getätigt wie von Unternehmen der öffentlichen Hand, privaten Unternehmen oder auch von Zuwendungsempfängerinnen und -empfängern. Die Vergaben reichen von einfachen Bleistiften über komplexe soziale oder IT-Dienstleistungen bis hin zu Großprojekten wie dem Bau neuer Flughäfen. Sie umfassen nahezu alle Wirtschaftsbranchen und richten sich an verschiedenste Auftragnehmer, darunter kleine und mittlere Unternehmen, Selbstständige, Freiberuflerinnen und Freiberufler ebenso wie Großkonzerne und spezialisierte Arbeitsgemeinschaften.

Um diese Breite des öffentlichen Beschaffungswesens auch im Gesetzgebungsprozess widerzuspiegeln, hat das BMWK im Dezember 2022 eine breite öffentliche Konsultation zu den wichtigsten und drängendsten Fragen der angestrebten Vergabetransformation durchgeführt. Dafür wurde ein Fragebogen konzipiert, der unter anderem über die BMWK-Homepage veröffentlicht wurde. Der Fragebogen umfasst insgesamt 21 Fragenkomplexe zu fünf Aktionsfeldern (vgl. Abbildung 1). Anhand dieses Fragebogens konnten alle betroffenen Organisationen, Unternehmen und Verbände sowie interessierte Bürgerinnen und Bürger ihre Einschätzungen und Ideen zur Vergabetransformation frühzeitig, transparent und bürokratiearm einbringen. Die Fragen und Aktionsfelder orientieren sich an den Zielsetzungen aus dem Koalitionsvertrag.

Großes Interesse der Stakeholder

Bis Mai 2023 gingen über 450 Stellungnahmen von Stakeholdern ein. Diese außerordentliche Beteiligung zeigt das große Interesse und die hohe Bedeutung des Vergaberechts für die Teilnehmenden. Von allen interessierten Seiten wurden Stellungnahmen eingereicht. Dazu gehören auf der Auftraggeberseite nachgeordnete Behörden des Bundes und der Länder sowie Landesbetriebe und eine Vielzahl von Kommunen. Auch die Auftragnehmerseite hat sich mit über 100 Stellungnahmen von Unternehmen, Kammern und Unternehmensverbänden eingebracht. Zudem haben 59 Sozial- und Umweltverbände sowie Gewerkschaften ausführliche Stellungnahmen abgegeben, ebenso wie die interessierte Zivilgesellschaft. Damit ist die gesamte Breite an Praxiswissen und Interessenlagen in Deutschland im Konsultationsprozess vertreten. Dies erlaubt es, bereits zu einem frühen Stadium im Gesetzgebungsprozess die verschiedenen Anliegen und Ideen zu berücksichtigen.

ABBILDUNG 1: FRAGENKOMPLEXE UND AKTIONSFELDER DES FRAGEBOGENS ZUR VERGABETRANSFORMATION 2023 Bild vergrößern

Die Stakeholder haben sich zu allen Aktionsfeldern und Fragen in großem Umfang geäußert: Zu jeder Frage sind über 200 Antworten eingegangen. Von besonders großem Interesse waren dabei die Fragen zur umwelt- und klimafreundlichen Beschaffung (Aktionsfeld 1) mit knapp 320 Antworten und zur Vereinfachung und Beschleunigung von Beschaffungsvorgängen (Aktionsfeld 4) mit rund 280 Antworten. Zwei Fragen des Fragebogens wurden bewusst gestellt, um die Prioritäten der Stakeholder zu eruieren und im späteren Prozess berücksichtigen zu können sowie um auch ihre Sicht auf mögliche Spannungsfelder zwischen den einzelnen Zielsetzungen zu erfragen.

Um die öffentliche Konsultation möglichst niedrigschwellig zu halten und zugleich ergebnisoffen den Stakeholdern ausreichende Möglichkeiten zur Stellungnahme zu geben, besteht der Fragebogen ausschließlich aus offenen Fragen. Bei der qualitativen Auswertung wurde das BMWK durch das Institut für Mittelstandsforschung Bonn und das BMWK-Datenlabor unterstützt.

Zusammenarbeit mit dem BMWK-Datenlabor

Das Datenlabor des BMWK führte mit Hilfe von Sprachmodellen Sentimentanalysen durch: Zu jeder Stellungnahme ermittelte das Datenlabor für jede beantwortete Frage (insgesamt knapp 5.900 Einzelaussagen) einen Wert in Bezug auf Polarität und Subjektivität der jeweiligen Antwort. Mit der Polarität wird die Stimmungslage einer Aussage, das heißt, ob positiv oder negativ, analysiert. Die Subjektivität misst, inwieweit die Aussage auf persönlicher Meinung oder auf fachlichen Informationen beruht. 

Die Stellungnahmen weisen über alle Fragen hinweg eine neutrale Polarität auf – mit leichten positiven Tendenzen. Somit wurde keinem der Themenfelder eine besonders negative Haltung entgegengebracht. Auch die Subjektivität der Stellungnahmen ist als gering zu bewerten. Das heißt, dass sich die Stakeholder konstruktivfachlich eingebracht haben. Dies kann als Indiz gewertet werden, dass die Zusammenarbeit mit den Stakeholdern auch zu Einzelheiten des Vergabetransformationspakets konstruktiv verlaufen wird.

ABBILDUNG 2: BETEILIGUNG DER STAKEHOLDER Bild vergrößern

Ergebnisse der öffentlichen Konsultation

Die Auswertungen der Fragebögen zeigen, dass die Stakeholder eine Vereinfachung des Vergaberechts als besonders wichtig erachten. Danach folgen mit Abstand die Stärkung einer umwelt- und klimafreundlichen Beschaffung sowie die Digitalisierung der öffentlichen Vergabe.

Die Antworten zeigen auch, dass die Stakeholder eine Spannung zwischen den Bereichen „Strategische Beschaffung“ und „Effiziente Beschaffung“ wahrnehmen. In vielen Antworten wird deutlich, dass eine umwelt- und klimabezogene Beschaffung das Vergabeverfahren nicht mit höheren Anforderungen unnötig verkomplizieren darf. Dazu kommen umstrittene Einzelfragen, zum Beispiel beim so genannten „Losgrundsatz“, also der Pflicht zur Aufteilung der ausgeschriebenen Leistung in kleinere „Lose“ in der Menge (Teillose) sowie nach Art oder Fachgebiet (Fachlose). Die Beibehaltung der Losvergabe halten viele Stakeholder wegen der Bedeutung für kleine und mittlere Unternehmen für wichtig, gleichzeitig wird eine Flexibilisierung des Losgrundsatzes häufig als ein wichtiger Beitrag zur Vereinfachung des Vergaberechts gesehen. Eine möglichst einfache, aber wirksame Auflösung solcher Spannungsfelder gehört zu den wichtigsten Aufgaben bei der kommenden Transformation des Vergaberechts.

ABBILDUNG 3: WORTWOLKE ZU DEN PRIORITÄTEN DER STAKEHOLDER Bild vergrößern

Inhaltlich sind die Vorschläge der Stakeholder breit gefächert. Es zeigt sich zum Beispiel ein großer Wunsch nach mehr Vereinheitlichung im Vergaberecht, sei es in einem Vergabegesetz des Bundes oder durch mehr Angleichungen, etwa zwischen den jeweils geltenden Regelungen in Bund und Ländern. Auch praktische Erwägungen spielen dabei eine Rolle, zum Beispiel in der Forderung einer zentralen, einheitlichen Vergabeplattform für Bund und Länder. Die Vereinheitlichung wie auch die Vereinfachung des Vergaberechts werden zudem als wirksame Stellschrauben zur Stärkung des Mittelstands und von Start-ups genannt. Bei der angestrebten Digitalisierung werden insbesondere die elektronische Einreichung von Nachprüfungsanträgen und eine virtuelle mündliche Verhandlungsmöglichkeit begrüßt.

Es zeigt sich auch, dass die praktische Umsetzbarkeit bei allen Maßnahmen eine große Bedeutung für Vergabestellen sowie Bieterinnen und Bieter hat. Darüber hinaus wird sehr häufig die Notwendigkeit von Verbesserungen in der Vergabepraxis genannt, zum Beispiel über Aus- und Fortbildungsangebote und Standardisierungen, um die tägliche Arbeit in der Beschaffung deutlich zu vereinfachen. Auch dies wird im weiteren Prozess berücksichtigt werden, obgleich rechtlich häufig nur Anreize geschaffen werden können. Für die Stärkung nachhaltiger Ziele in der Beschaffung, also sowohl sozialer Ziele als auch Umwelt- bzw. Klimaziele, kann an allen Verfahrensstufen angesetzt werden. Auch hierfür haben die Stakeholder verschiedene Vorschläge eingereicht. Konkret werden verpflichtende Mindeststandards und Anleitungen für die Praxis als hilfreiche Maßnahmen genannt. Auch auf die notwendige Gestaltungsfreiheit der Auftraggeber oder bestehende rechtliche Lösungen wird häufig hingewiesen.

Weiterer Prozess

Um die Ergebnisse der öffentlichen Konsultation zu präsentieren und eine Diskussion über die in Teilen unterschiedlichen Ansatzpunkte der Stakeholder anzuregen, hat das BMWK im Juni öffentliche Fachgesprächsrunden durchgeführt. Nach einem Auftakt – einem Eröffnungsplenum mit Staatssekretär Sven Giegold am 6. Juni 2023 – wurden in vier Videokonferenzen zu den unterschiedlichen Aktionsfeldern die Stellungnahmen und Diskussionen fachlich vertieft. Eine Aufzeichnung des Eröffnungsplenums sowie die Rede von Staatssekretär Giegold zur Auswertung der schriftlichen Stellungnahmen ist auf der BMWK-Website zu finden.

Auf der Grundlage des umfangreichen Inputs aus den schriftlichen Stellungnahmen und den Diskussionsrunden erarbeitet das BMWK im weiteren Austausch mit den Stakeholdern einen Referentenentwurf mit konkreten Lösungsvorschlägen, der (in einem ambitionierten Zeitplan) im Herbst 2023 vorgestellt werden soll.

KONTAKT & MEHR ZUM THEMA

Simone Terbrack, Dr. Benjamin Häusinger
Referat: Öffentliche Aufträge; Vergaberecht; Immobilienwirtschaft

schlaglichter@bmwk.bund.de

Vergabetransformation@bmwk.bund.de

www.bmwk.de/Transformation-des-Vergaberechts