Bild der Europaflagge: 12 Gelbe Sterne kreisförmig angeordnet auf blauem Grund

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20 Jahre EU-Erweiterung – Ein Europa für Alle

Seit den 1950er-Jahren hat sich die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft hin zur Europäischen Union (EU) entwickelt mit dem Ziel, auf Basis gemeinsamer europäischer Werte Frieden, Stabilität und Wohlstand in Europa zu schaffen. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) und mit rund 450 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern in 27 Mitgliedstaaten ist der EU-Binnenmarkt heute einer der größten Wirtschaftsräume weltweit. Am 1. Mai 2004 traten zehn neue Länder der EU bei: Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn und Zypern (vgl. Abbildung 1). Bereits unmittelbar nach dem Fall der Berliner Mauer hatten die mittel- und osteuropäischen (MOE) Länder ihr Interesse an einer „Rückkehr nach Europa“ bekundet, dem sie sich historisch und kulturell zugehörig fühlten.

Im Dezember 2002 wurden die Beitrittsverhandlungen mit allen zehn Ländern abgeschlossen. Symbolträchtig fand 2003 die Unterzeichnung der Beitrittsakte am Fuße der Akropolis statt, um den Wesenskern eines geeinten und geschlossenen Europas zu betonen: eine EU, beruhend auf den Grundsätzen von Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. In diesem Geist endet die Erklärung von Athen dann auch mit den Worten „Unser Europa ist ein Europa für alle“. Dieses historische Ereignis war zugleich formaler Schlusspunkt eines langjährigen beiderseitigen Vorbereitungsprozesses. Die EU war sich der großen Herausforderungen sehr bewusst und hatte daher bereits 1993 mit den Kopenhagener Kriterien erstmals formelle Voraussetzungen für alle künftigen EU-Bewerberländer aufgestellt:

  1. Politische Kriterien: stabile Institutionen zur Garantie von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechten und Minderheitenschutz;
  2. Wirtschaftliche Kriterien: eine funktionierende Marktwirtschaft und die Fähigkeit, dem Wettbewerbsdruck und den Marktkräften innerhalb der EU standzuhalten;
  3. Administrative Kriterien: institutionelle Kapazitäten, die die Pflichten der Mitgliedschaft erfüllen und die Übernahme und wirksame Umsetzung des gesamten gemeinschaftlichen Besitzstandes („acquis communautaire“) bewerkstelligen können.
  4. Die Fähigkeit der EU, neue Mitgliedstaaten aufnehmen zu können und dabei zugleich die Stoßkraft der europäischen Integration aufrechtzuerhalten.

ABBILDUNG 1: ZEITLEISTE Bild vergrößern

Gemessen an der Zahl der Beitrittsländer und deren Bevölkerung war die fünfte EU-Erweiterung im Mai 2004 die bis dahin umfangreichste und herausforderndste. Sie ermöglichte neben der Teilnahme der Beitrittsländer am EU-Binnenmarkt auch die Überwindung der politischen Teilung Europas. Damit eröffneten sich für alte und neue EU-Mitgliedstaaten zusätzliche beziehungsweise neue Handelspotenziale, die zugleich Wohlfahrtsgewinne und Vertrauen schufen. Die Weiterentwicklung des Binnenmarktes muss auch in der kommenden europäischen Legislatur prioritäre Aufgabe sein. Denn ein starker zukunftsfähiger Binnenmarkt ist unabdingbar für die aktive Gestaltung der grünen Transformation, die Schaffung globaler Standards und die langfristige Wettbewerbsfähigkeit der EU.

Sven Giegold
Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz

Die Beitrittsländer mussten tiefgreifende Veränderungen bewältigen

Die Erfüllung der Kopenhagener Kriterien und der Beitrittsakte erforderte in den Ländern tiefgreifende Transformationsprozesse. Die Verknüpfung des Beitritts mit konkreten Zielvorgaben der EU („Konditionalität“) half dabei, die Entwicklung hin zu Marktwirtschaft und Demokratie zielgerichtet zu vollziehen. Möglichst schnell mussten in den öffentlichen Verwaltungen der Beitrittsländer Strukturen modernisiert und Expertise aufgebaut werden, damit Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen die Möglichkeiten eines größeren Binnenmarktes ausschöpfen konnten. Hunderte EU-Regelungen mussten dafür von den Beitrittsländern in nationales Recht umgesetzt werden, z.B. in den Bereichen Warenverkehr, Verbraucherschutz, Justiz und Außenhandel. EU-Twinning-Verwaltungspartnerschaften zwischen EU-Mitgliedern und Beitrittsländern unterstützten diese Prozesse aktiv und stellten dabei insbesondere die Förderung guter Regierungsführung, basierend auf Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Transparenz und Menschenrechten, in den Mittelpunkt. Mit dem Beitritt zur EU am 1. Mai 2004 fand die Integration ihren formalen Höhepunkt.

Beeindruckende wirtschaftliche Entwicklung der Beitrittsländer

Die Beitrittsländer haben insbesondere seit Anfang der 1990er-Jahre bis zum Abschluss ihres Beitrittsprozesses und auch danach eine beeindruckende wirtschaftliche Entwicklung genommen. Die gesteigerte Wirtschaftsleistung durch den EU-Beitritt ist für die einzelnen Länder eindeutig erkennbar, dennoch ein nur bedingt messbarer Prozess, da die damaligen Beitrittsländer unterschiedliche Ausgangspositionen hatten. Auch internationale Krisen, wie z. B. die Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009, hatten jeweils sehr unterschiedliche Wirkungen auf die damals neuen ebenso wie auf die alten EU-Mitgliedstaaten.

Das durchschnittliche Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf der damaligen Beitrittsländer hat sich relativ betrachtet stark dem Durchschnitt der alten Mitgliedstaaten angenähert (vgl. Abbildung 2). Die enorme Entwicklung lässt sich beispielhaft an Litauen nachvollziehen, wo das BIP pro Kopf 1995 noch bei rund 5.000 Euro, zum Beitritt 2004 bereits bei rund 18.000 Euro lag und sich dann bis zum Jahr 2023 nochmals auf 71.000 Euro steigerte. Absolut betrachtet verringert sich der Abstand des BIP zwischen Ost- und Westeuropa jedoch bis heute weiterhin nur langsam und alle mittel- und osteuropäischen EU-Länder sind mit Blick auf den EU-Haushalt nach wie vor Netto-Empfängerländer.

Die Vorteile des Binnenmarktes und der Beitritt zum Euro von Estland, Lettland, Litauen, Malta, der Slowakei, Slowenien und Zypern haben erkennbar zu mehr Wettbewerbsfähigkeit und steigenden Exporten in den Beitrittsländern beigetragen. Die Entwicklung hin zu wirtschaftsstarken Partnern zeigt sich eindrucksvoll am hohen Anteil am Intra-EU-Handel dieser Länder (vgl. Abbildung 3).

ABBILDUNG 2: INTRA-EU-HANDEL 2023 Bild vergrößern

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ABBILDUNG 3: ANÄHERUNG DES DURCHSCHNITT- LICHEN BRUTTOINLANDSPRODUKTS (BIP) PRO KOPF DER BEITRITTSLÄNDER IM VERGLEICH ZUM EU- DURCHSCHNITT DER ALTEN MITGLIEDSTAATEN Bild vergrößern

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Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt

Im Zuge der Transformation stieg die Arbeitslosigkeit in den Beitrittsländern zunächst auf durchschnittlich 10,2 % im Jahr 2004 an. Vor diesem Hintergrund wurde die Arbeitnehmerfreizügigkeit für die neuen Mitgliedstaaten in vielen Mitgliedstaaten erst schrittweise eingeführt. Die letzten Übergangsregelungen endeten in 2011. In den mittel- und osteuropäischen Ländern sank die Arbeitslosenrate seither auf 4,8 % im Jahr 2023, in den alten EU-Mitgliedstaaten von 7,3 % leicht auf 6,5 %. Deutschland galt neben Großbritannien, das seinen Arbeitsmarkt direkt nach dem Beitritt komplett geöffnet hatte, als eines der großen Zielländer der Arbeitsmigration mit der negativen Kehrseite des Brain-Drains und dem daraus folgenden Fachkräftemangel in einigen Sektoren und Regionen der Herkunftsländer.

Gleichzeitig stehen die damaligen EU-Beitrittsländer heute, wie auch Deutschland, vor den Herausforderungen einer alternden Gesellschaft. So herrscht in der Tschechischen Republik und Polen derzeit praktisch Vollbeschäftigung. Mit der rasanten wirtschaftlichen Entwicklung in den neuen EU-Mitgliedstaaten ist zu erwarten, dass sich der Wettbewerb um gut qualifizierte Fachkräfte innerhalb des Binnenmarktes weiter verstärken und so zu weiteren gemeinsamen Herausforderungen führen wird.

Wirtschaftliche Bedeutung für Deutschland

Deutschland hat von der Erweiterung der EU im Jahr 2004 in vielfacher Hinsicht profitiert und ist geografisch zu einem Land inmitten der EU geworden. Mit dem Beitritt der zehn neuen Mitgliedstaaten zur EU erschlossen sich für deutsche Unternehmen neue Märkte und Geschäftschancen. Der Handelsumsatz zwischen Deutschland und den zehn neuen Mitgliedstaaten stieg von rund 120 Milliarden Euro im Beitrittsjahr 2004 auf rund 431 Milliarden Euro im Jahr 2023; eine Steigerung um mehr als 250 %. Die große Dynamik führte dazu, dass der deutsche Handelsumsatz mit den MOE-Ländern 2023 mit einem gemeinsamen Anteil von 14,6 % deutlich vor den größten Handelspartnern China (8,6 %) und den USA (8,5 %) liegt. Allein Polen, der größte der neuen EU-Mitgliedstaaten, ist fünftgrößter Handelspartner Deutschlands (vgl. Abbildung 4). Umgekehrt ist Deutschland auch für die MOE-Länder überwiegend und oftmals mit großem Abstand der wichtigste Handelspartner, Investitionsstandort und Absatzmarkt.

ABBILDUNG 4: EU-AUSSENHANDELSUMSATZ 2023 – BEITRITTSLÄNDER UND AUSGEWÄHLTE LÄNDER 2023 Bild vergrößern

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Im Durchschnitt lag der deutsche Anteil an den Importen der MOE-Länder 2022 bei 15,0 %, bei den Exporten sogar 20,2 %.

Polen, Tschechien, Ungarn und die Slowakei sind wichtige Zielländer deutscher Direktinvestitionen. Unternehmen finden hier attraktive Investitionsbedingungen. Im Jahr 2021 betrug das gesamte Investitionsvolumen deutscher Unternehmen in Polen rund 36,9 Milliarden Euro, in Tschechien rund 26,6 Milliarden Euro, in Ungarn rund 18,5 Milliarden Euro und in der Slowakei rund 8,6 Milliarden Euro. Damit liegen diese vier Länder gemeinsam mit insgesamt rund 90,6 Milliarden Euro in Reichweite der deutschen Investitionen in China (rund 102,7 Milliarden Euro). Deutsche Unternehmen sind in Polen, Tschechien und Ungarn mit jeweils rund 20 % aller Direktinvestitionen die mit Abstand wichtigsten Investoren. Diese Investitionen haben die osteuropäische Wirtschaft gestärkt, die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen gesteigert und zugleich zu höherer Produktivität und Effizienz geführt. Im Gegenzug sind die osteuropäischen Länder sehr wichtige Handelspartner und Lieferanten von Gütern und Dienstleistungen der deutschen Industrie geworden, u. a. im Maschinenbau, der Automobilindustrie und der Elektrotechnik. Die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und den osteuropäischen Ländern bietet viele Möglichkeiten der Vertiefung und ist am spürbarsten in den Grenzregionen. Wirtschaftsbeziehungen und persönliche Begegnungen tragen hier ganz praktisch zur Verständigung und zum gegenseitigen Vertrauen bei.

Gestiegene politische Relevanz der Region

Im Zuge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine ist die Zusammenarbeit der EU-Mitgliedstaaten im Bereich Energiesicherheit deutlich intensiviert worden. Sie erstreckt sich u. a. auf Offshore-Wind-Projekte in der Ostsee, LNG-Terminals, Wasserstoff und grenzüberschreitende Stromtrassen. Ein Ausbau gemeinsamer Infrastrukturen kann auch die Energiewende beschleunigen, bei der Deutschland und die osteuropäischen Länder bereits eng zusammenarbeiten, u. a. bei der vom BMWK geförderten Europäischen Klimaschutzinitiative (EUKI). Darüber hinaus stärken strategische Dialoge mit Ländern wie Tschechien, der Slowakei und Slowenien die Zusammenarbeit in verschiedenen Bereichen und dienen dem Austausch von Best Practices.

Die EU steht infolge des Klimawandels und globaler Krisen vor immensen Herausforderungen. Gemeinsam müssen Volkswirtschaften zugleich klimaneutral bis 2050 und wettbewerbsfähig aufgestellt werden. Die grüne und digitale Transformation fordert nach 20 Jahren EU-Mitgliedschaft auch von den Unternehmen in den ehemaligen EU-Beitrittsländern erhebliche strukturelle Veränderungen und bietet zugleich neue Chancen für Wirtschaft und Gesellschaft.

Ausblick: Europas Zukunft gemeinsam gestalten

Die Partnerschaft auf Augenhöhe zwischen Deutschland und den osteuropäischen Ländern wird kontinuierlich fortentwickelt und intensiviert. Sie sind wichtige Akteure auf dem europäischen Parkett, deren Stimmen und Perspektiven für die gesamte EU und Deutschland von großer Bedeutung sind. Eine gleichberechtigte, enge Zusammenarbeit ist der Schlüssel, der die Geschichte der EU-Erweiterung zu einer gemeinsamen Erfolgsgeschichte macht. Die Idee eines Europas, das auf gemeinsamen Grundwerten, Gleichberechtigung und friedlichem Interessenausgleich seiner Mitgliedstaaten basiert, ist weiterhin attraktiv, wie auch das Beitrittsinteresse der Westbalkanländer, der Ukraine, Moldawiens und Georgiens zeigt. Die EU wird sich aber intern reformieren müssen, um künftig mit einer Vielzahl neuer Mitgliedsländer mit unterschiedlichen Ausgangspositionen geeint und zugleich handlungsfähig zu bleiben und die volle Funktionsfähigkeit seiner institutionellen und politischen Errungenschaften zeigen zu können. Die „Dynamik der europäischen Integration aufrechtzuerhalten“ (viertes Kopenhagener Beitrittskriterium) wird angesichts unterschiedlicher Grundhaltungen der EU-Mitglieder ebenso eine Herausforderung bleiben wie auch die gemeinsame Suche nach Kompromisslösungen. Die dabei erforderliche Geschlossenheit und vertrauensvolle Zusammenarbeit in der EU werden durch Formate wie u. a. das so genannte Weimarer Dreieck – ein Dialogformat von Deutschland, Frankreich und Polen – zusätzlich gestärkt. Solche Formate bieten sich als Plattformen für den politischen Dialog und die Förderung der europäischen Integration an.

KONTAKT & MEHR ZUM THEMA

Referat: EA4 – Beziehungen zu Polen, Slowakei, Tschechien, Ungarn, Estland, Lettland, Litauen, Österreich, Slowenien, Griechenland, Zypern und Malta

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