Im Fokus

Die Regierungsparteien haben im Koalitionsvertrag 2021-2025 vereinbart, dass die ökonomische Gleichstellung von Frauen und Männern innerhalb dieses Jahrzehnts erreicht werden soll. Diese umfasst neben gleicher Bezahlung für gleiche Tätigkeiten auch gleiche Chancen auf Beförderungen, gleiche Unterstützung bei Unternehmensgründungen, einen paritätischen Anteil an Führungspositionen sowie Aspekte der Vereinbarkeit von Beruf und Familie.

Die Begriffe der Lohngerechtigkeit auf der einen sowie des Verdienstabstands auf der anderen Seite beschreiben einen wesentlichen Kern der gesellschaftlichen Debatte: Es geht vor allem um individuelle ökonomische und finanzielle Gerechtigkeit im Geschlechtervergleich. Daneben hat eine Verbesserung der Rahmenbedingungen für Frauen am Arbeitsmarkt auch wichtige positive Effekte aus gesamtwirtschaftlicher und -gesellschaftlicher Sicht. So kann zusätzlich zum Anstieg der Erwerbseinkommen von Frauen eine Ausweitung des Arbeitszeitvolumens das Arbeitskräfteangebot erhöhen und so dem Fachkräftemangel und den Folgen des demografischen Wandels entgegenwirken. Insofern ergibt sich ein direkter Zusammenhang zwischen einem geschlechtergerechten Arbeitsmarkt und dem ökonomischen Wohlstand bzw. der gesamtgesellschaftlichen Wohlfahrt in Deutschland. Im Sonderkapitel zur Wohlfahrtsmessung des Jahreswirtschaftsberichts (JWB) wird seit dem Jahr 2022 der Aspekt der Gleichstellung der Geschlechter anhand mehrerer Indikatoren betrachtet.

Die Entwicklung dieser Indikatoren zeigt, dass in einigen Bereichen wichtige Schritte hin zu einer ökonomischen Gleichstellung von Frauen und Männern getan wurden, insgesamt aber noch weitreichender Verbesserungsbedarf besteht, um das im Koalitionsvertrag vorgegebene Ziel zu erreichen. Im April hatte das BMWK deshalb namhafte Vertreterinnen und Vertreter aus der Wissenschaft eingeladen, um in einem Werkstattgespräch gemeinsam Stand und Hintergründe ökonomischer Ungleichbehandlung von Frauen und Männern vertieft zu diskutieren und mögliche Ansatzpunkte für die Politik zu beleuchten. Die Zitate in diesem Artikel stammen aus dem Werkstattgespräch.

Der Verdienstabstand als wichtiger Gradmesser

Der wohl meistbeachtete Indikator für Unterschiede zwischen Frauen und Männern am Arbeitsmarkt ist der so genannte unbereinigte Verdienstabstand bei den Stundenlöhnen (engl.: Gender Pay Gap). Dieser lässt strukturelle Unterschiede zwischen den Geschlechtern im Hinblick auf Aspekte wie Beruf, Branche, Beschäftigungsumfang, Qualifikation oder Karrierelevel unberücksichtigt und lag im Jahr 2022 bei 18 Prozent. Berücksichtigt man diese Unterschiede, ergibt sich der bereinigte Verdienstabstand, welcher derzeit für Deutschland insgesamt 7 Prozent beträgt. Während der unbereinigte Abstand in den letzten zehn Jahren um ein knappes Viertel gesunken ist, ist der bereinigte Abstand konstant geblieben (vgl. Abbildung 1).

ABBILDUNG 1: VERDIENSTABSTAND ZWISCHEN FRAUEN UND MÄNNERN Bild vergrößern

Erwerbsbeteiligung gleicht sich an, geleistete Arbeitsstunden aber weiterhin sehr unterschiedlich

Da der Verdienstabstand Stundenlöhne von Arbeitenden vergleicht, gehen daraus weder Informationen zu Unterschieden zwischen den Geschlechtern in den Erwerbsquoten noch im Arbeitszeitvolumen hervor. In der Altersgruppe der 20-64-Jährigen waren im Jahr 2022 84,9 Prozent der Männer und 77,1 Prozent der Frauen erwerbstätig. Die Erwerbstätigenquote von Frauen lag demnach fast 8 Prozentpunkte unter der von Männern. Allerdings ist zu beobachten, dass der Abstand in den letzten 10 Jahren immer kleiner geworden ist. Mit einem Zuwachs von 5,5 Prozentpunkten ist die Erwerbstätigenquote seit 2012 insgesamt stärker gestiegen als bei Männern (+2,8 Prozentpunkte; siehe Abbildung 2).

Einerseits nähern sich zwar die Erwerbstätigenquoten von Frauen und Männern langsam an, andererseits bestehen in Deutschland insgesamt weiterhin große Unterschiede bei den geleisteten Arbeitsstunden. Während Männer im Jahr 2022 durchschnittlich 148 Stunden pro Monat im Jahr 2022 arbeiteten, waren es bei Frauen aufgrund des höheren Teilzeitanteils nur 121 Stunden. Eine Trendumkehr ist hier bislang nicht in Sicht, vielmehr nimmt die Bedeutung von Teilzeitarbeit insgesamt zu. So ging insbesondere der Anstieg in der Erwerbsbeteiligung von Frauen auch mit einem Anstieg der Teilzeitarbeit einher. Während also mehr Frauen insgesamt arbeiten, arbeiten auch immer mehr Frauen in Teilzeit. In den letzten Jahren sind die durchschnittlich geleisteten Arbeitsstunden pro Arbeitnehmerin daraufhin sogar leicht gesunken. Dabei wirkt sich Teilzeitarbeit in mehrfacher Hinsicht benachteiligend auf die Entlohnung aus: Zunächst verdienen Teilzeitarbeitende pro Stunde oftmals weniger als Vollzeitarbeitende, selbst bei gleicher Qualifikation und Position. Die Wissenschaft führt hier die Fixkosten für Arbeitsplatzinfrastruktur (Büro, Computer etc.) als eine Erklärung an. Diese sind für Teilzeitarbeitende relativ höher und drücken deshalb die Löhne. Des Weiteren zeigt sich, dass Personen, die in Teilzeit arbeiten, seltener befördert werden. Somit wirkt sich Teilzeitarbeit auch über die Karriereentwicklung auf den Verdienstabstand aus. Umfragen zeigen jedoch, dass immer mehr Berufstätige, vor allem die Gruppe unter 40 Jahren, in Teilzeit arbeiten wollen und die Bedeutung des Berufs im Lebensmodell abnimmt. Grund ist vor allem der Wunsch nach einer besseren Work-Life-Balance. Die bei Frauen und Männern steigende Teilzeitquote spiegelt sich auch in der Anzahl geleisteter Arbeitsstunden je erwerbstätiger Person wider, die von 1.466 im Jahr 2000 auf 1.338 im Jahr 2022 (-8,7 Prozent) gesunken ist.

ABBILDUNG 2: ERWERBSTÄTIGENQUOTE Bild vergrößern

Geburt des ersten Kindes ist ein entscheidender Faktor

Die Aufnahme einer Teilzeittätigkeit fällt für viele Frauen mit der Geburt des ersten Kindes zusammen. Insbesondere ab dem 30. Lebensjahr, dem durchschnittlichen Alter von Frauen in Deutschland bei Geburt des ersten Kindes, entwickelt sich die Anzahl bezahlter Arbeitsstunden von Frauen und Männern auseinander (siehe Abbildung 3). Während die Arbeitsstunden von Männern auch nach der Geburt des ersten Kindes konstant bleiben oder sogar leicht ansteigen, sinken die Arbeitsstunden von Frauen. Parallel dazu steigt auch der Verdienstabstand zwischen Männern und Frauen von 7 Prozent im Alter von 25 auf 22 Prozent im Alter von 40 Jahren – ein Niveau, das über den restlichen Erwerbslebensverlauf konstant bleibt. Den Gesamteffekt, den die Geburt von Kindern auf das Einkommen von Frauen hat, beschreibt die wissenschaftliche Literatur mit dem Begriff „Child Penalty“. So verdienen Mütter im ersten Jahr nach der Geburt ca. 70 Prozent und 10 Jahre nach der Geburt immer noch 30 Prozent weniger im Jahr als gleichaltrige Väter. Diese Differenz zwischen Müttern und Vätern ist in Deutschland im Vergleich zu anderen westlichen Nationen besonders ausgeprägt.

Katharina Wrohlich, Professorin für Öffentliche Finanzen, Gender- und Familienökonomie an der Universität Potsdam und Leiterin der Forschungsgruppe Gender Economics am DIW Berlin:

Den Stundenlohn, den Frauen mit 30 Jahren verdienen, behalten sie für den Rest ihres Erwerbslebens, während der Lohn des Mannes bis zum 45. Lebensjahr weiter ansteigt. Parallel zum Verdienstabstand steigen im Lebensverlauf auch Teilzeitquote und Gender Care Gap.

Bekannte Fehlanreize im Steuer- und Transfersystem

Hierbei spielt auch das deutsche Steuersystem mit dem Ehegattensplitting und seiner stark progressiven Struktur eine wichtige Rolle – insbesondere im Wechselspiel mit weiteren institutionellen Rahmenbedingungen, welche u. a. eine ungleiche Inanspruchnahme von Elternzeit begünstigen. Diese setzen Anreize für Zweitverdienerinnen und Zweitverdiener in Familien, welche zumeist weiblich sind, in Teilzeitstellen oder Minijobs zu arbeiten. Die Folge sind oftmals ein flacherer Karrierepfad und dauerhafte Gehaltseinbußen für Frauen. Andere Länder, wie etwa Schweden und Großbritannien, sind deshalb dazu übergegangen, die Besteuerung vom Familienstand unabhängig zu machen. Dadurch entfällt ein wesentlicher Anreiz für Zweitverdienerinnen und Zweitverdiener, die Arbeitszeit zu reduzieren bzw. nicht auszuweiten. Auch in Deutschland wurden und werden immer wieder Debatten über eine Reform oder gar Abschaffung des Ehegattensplittings geführt, welche neben der ökonomischen auch eine verfassungsrechtliche Dimension haben. Im Koalitionsvertrag konnten sich die Regierungsparteien darauf verständigen, die Familienbesteuerung auch unter Beibehaltung des Ehegattensplittings attraktiver zu gestalten (vgl. Kasten am Ende des Artikels). Laut der Wissenschaft könnte auch z. B. eine (verpflichtende) Angleichung der Elternzeitmonate dazu beitragen, dass Erwerbsunterbrechungen gleicher aufgeteilt werden und nicht überwiegend bei Müttern anfallen.

ABBILDUNG 3: DURCHSCHNITTLICHE ANZAHL AN BEZAHLTEN ARBEITSSTUNDEN PRO MONAT 2022 (NACH ALTER) Bild vergrößern
Beblo, Schiprowski, Wrohlich, Allmendinger:

Durch die Kombination aus Ehegattensplitting, beitragsfreier Mitversicherung und Minijobs werden Fehlanreize geschaffen, sodass Frauen weniger oder gar nicht erwerbstätig sind. Es bedarf einer Politik, die konsequenter eine egalitäre Arbeitsteilung unterstützt.

Spiegelbildlich zur reduzierten Arbeitszeit wenden Frauen ab dem 30. Lebensjahr zunehmend mehr Zeit für unbezahlte Sorge- und Hausarbeit auf. In der Spitze, um das Alter von 40 herum, nimmt diese mit rund sieben Stunden am Tag ungefähr doppelt so viel Zeit in Anspruch wie bei Männern mit rund dreieinhalb Stunden – es entsteht zusätzlich zum Pay Gap der so genannte Gender Care Gap. Die Verfestigung dieser Rollen hängt oftmals eng mit dem Einkommen zusammen. Durch eine Angleichung der Gehälter könnte dieser Effekt aufgebrochen und der Care Gap verringert werden, wie jüngste Erkenntnisse aus der Wissenschaft zeigen.

Amelie Schiprowski, Junior-Professorin für Volkswirtschaftslehre im Bereich Angewandte Mikroökonomie mit dem Schwerpunkt Arbeitsmarkt an der Universität Bonn:

Das zumeist höhere Einkommen von Männern verstärkt oftmals die traditionelle innerfamiliäre Arbeitsteilung. Mit Angleichung des Gehalts ändert sich dies: Erste Ergebnisse aus Schweden zeigen, dass der Anteil an der Sorgearbeit von Männern im Haushalt zunimmt, wenn das Einkommen der Frau (signifikant) ansteigt.

Große Regionale Unterschiede

Bei der ökonomischen Gleichstellung von Frauen und Männern gibt es innerhalb Deutschlands große regionale Unterschiede zwischen den neuen und den alten Bundesländern, wie ebenfalls eine Reihe jüngerer Forschungspapiere zeigt. Mütter in Ostdeutschland nehmen weniger Elternzeit und arbeiten öfter in Vollzeit als Mütter in Westdeutschland. Als Folge sind auch Kausaleffekte einer Mutterschaft in Ostdeutschland weniger präsent als in Westdeutschland. So beträgt der Verdienstabstand zwischen Frauen und Männern in Ostdeutschland nur sieben Prozent gegenüber 19 Prozent in Westdeutschland und der Gender Care Gap ist nur halb so groß. Wichtige Gründe hierfür lassen sich neben institutionellen Faktoren, wie z. B. unterschiedlicher Verfügbarkeit von Kinderbetreuungsplätzen in Ost- und Westdeutschland, auch in gesellschaftlichen Normen finden. So akzeptiert die Gesellschaft in Ostdeutschland eher, dass Mütter einer Erwerbstätigkeit nachgehen, während in Westdeutschland das traditionelle Rollenbild vom Mann als Hauptverdiener der Familie weiter verbreitet ist.

Geschlechterspezifisches Verhalten begünstigt Lohnunterschiede

Einen wichtigen Einflussfaktor für den Verdienstabstand stellen des Weiteren unterschiedliche, geschlechterspezifische Verhaltensmuster bei Gehaltsverhandlungen dar. Männer haben im Durchschnitt eine höhere Risikoneigung und verhandeln länger. Frauen hingegen werden harte Verhandlungen teilweise negativ ausgelegt. Als Folge hiervon ist der Verdienstabstand dort besonders groß, wo das Gehalt zu einem großen Teil individuell verhandelbar und Verhandlungsspielräume wenig transparent sind. Dies gilt vor allem bei Tätigkeiten, bei denen kollektive Verhandlungsmöglichkeiten nicht greifen, wie z. B. beim Fehlen von Gewerkschaften oder außertariflichen Positionen.

Matthias Sutter, Direktor am Max-Planck-Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern und Professor für Experimentelle Wirtschaftsforschung an den Universitäten zu Köln und Innsbruck:

Drei wesentliche Verhaltensunterschiede zwischen Frauen und Männern, die zu Lohnungleichheiten führen, sind soziale Normen, Risikoaversion und ein anderer Wettbewerbsgedanke. Männer verhandeln länger, Frauen nehmen Jobangebote schneller an. Mit einfachen verhaltensökonomischen Mitteln, wie z. B. Transparenz über Höhe und Dauer des Verhandlungsspielraums, kann Gehaltsunterschieden effektiv entgegengewirkt werden.

Eine stärkere Transparenz wiederum kann in mehrfacher Hinsicht positive Auswirkungen auf eine Anpassung der Gehaltsstrukturen haben. So können nicht nur verbesserte Rahmenbedingungen für Frauen in Verhandlungen geschaffen werden, sondern es zeigt sich auch, dass der Verdienstabstand auf Unternehmensebene verringert werden kann, sobald Vorgesetzte persönlich Verantwortung für diese Unterschiede übernehmen müssen.

Miriam Beblo, Professorin für Volkswirtschaftslehre, insb. Arbeitsmarkt, Migration und Gender, an der Universität Hamburg:

Ein weiterer effektiver Hebel für gleichere Bezahlung ist die Zuschreibung von Verantwortlichkeiten. Wenn Führungskräfte den Gender Pay Gap ihrer Mitarbeitenden transparent verantworten müssen, haben sie einen größeren Anreiz, auf seine Reduktion hinzuwirken.

Die Rolle geschlechtstypischer Berufswahl ist komplex

Wie oben bereits angedeutet, ist die Höhe des unbereinigten Verdienstabstandes zu einem wesentlichen Teil auf strukturelle Faktoren zurückzuführen. Einer dieser Faktoren sind Unterschiede bei der Berufswahl. Die Ursachen der so genannten beruflichen Geschlechtersegregation, d. h. der Tendenz von Frauen und Männern, bestimmte „geschlechtstypische“ Berufe zu ergreifen, sind wiederum in einer Vielzahl von Faktoren zu suchen, die empirisch kaum vollständig erfasst werden können. Beobachtbar ist, dass Frauen häufiger in Berufen arbeiten, die schlechter bezahlt werden – z. B. in sozialen Berufen, während besser bezahlte MINT-Berufe überwiegend von Männern ausgeübt werden. Inwiefern und über welche Wirkungskanäle sich Frauenanteil und Höhe der Bezahlung eines Berufszweiges gegenseitig beeinflussen, ist jedoch nicht vollständig erfasst. Eine mögliche Erklärung liefert die Devaluationshypothese, die postuliert, dass ein steigender Frauenanteil in einem Beruf zu einer geringeren Bezahlung in diesem Beruf führt.

Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) und Professorin für Bildungssoziologie und Arbeitsmarktforschung an der Humboldt-Universität zu Berlin:

Die These, dass mit steigendem Frauenanteil in einem Beruf das durchschnittliche Lohnniveau sinkt, ist korrelativ belegt. Die Kausalkette ist bislang aber unklar: Sinkt zunächst das Lohnniveau und führt dazu, dass Männer den Berufszweig verlassen und mehr Frauen diesen Bereich „übernehmen“? Oder üben mehr Frauen den betreffenden Beruf aus, worauf das durchschnittliche Lohnniveau sinkt?

Aus der empirischen Forschung gibt es Anhaltspunkte dafür, dass Frauen bereits bei der Ausbildungsentscheidung eher Berufe wählen, bei denen eine Beschäftigungsunterbrechung aufgrund einer Mutterschaft keine allzu starken Verluste des Humankapitals erwarten lässt, um nicht „den Anschluss zu verlieren“. Insbesondere MINT-Berufe als klassische „Männerdomänen“ unterliegen aber einem stärkeren Weiterbildungsdruck als z. B. soziale Berufe. Solche Selbstselektionseffekte wirken durch mangelnde Vorbilder oder Vorurteile von „Männerdomänen“ auch normenbildend, so dass bestimmte Berufe von manchen Frauen gar nicht erst in Betracht gezogen werden.

Ansatzpunkte der Bundesregierung

Die den Lohndifferenzen zugrunde liegenden Ursachen zu ermitteln, stellt eine wichtige Voraussetzung dar, um politischen Entscheidungsträgerinnen und -trägern Anhaltspunkte für Interventionsmöglichkeiten zu geben. In der vorangegangenen Analyse werden die Vielschichtigkeit der Ursachen und die Komplexität der Zusammenhänge ersichtlich. Das bedeutet aber auch, dass es keine einzelne und keine einfache Lösung zur Erreichung des Ziels einer ökonomischen Gleichstellung der Geschlechter geben kann. Die Bundesregierung konzentriert sich deshalb auf verschiedene Maßnahmen, um dem im Koalitionsvertrag vorgegebenen Ziel näher zu kommen. So profitieren mit Blick auf den Bruttolohn vornehmlich Frauen von der Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns und von der weiteren Aufwertung sozialer Berufe, z.B. durch die Einführung der Tarifbindung in der Altenpflege im Herbst 2022. Weiterhin werden Regelungen zur gleichberechtigten Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen (Zweites Führungspositionen-Gesetz am 12.08.2021 in Kraft getreten) sowie Initiativen zur Förderung einer klischeefreien Berufswahl (Initiative Klischeefrei seit 2016), das heißt einer Berufswahl nach Interessen und Fähigkeiten, gestärkt. Schließlich werden die Rahmenbedingungen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie Quantität und Qualität der Kindertagesbetreuung ausgebaut.

Bei den darüber hinaus geplanten Maßnahmen ist insbesondere die Weiterentwicklung des Entgelttransparenzgesetzes zu nennen, welches die Möglichkeiten von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern stärkt, ihre Rechte durchzusetzen, und insbesondere auch mit Blick auf Verhandlungssituationen neue Rahmenbedingungen schaffen soll. Hierzu wird im Sommer 2023 die zweite Evaluation des Gesetzes durchgeführt. Geplant ist außerdem, eine gerechte partnerschaftliche Aufteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit zu unterstützen. Der Koalitionsvertrag sieht hier z. B. einen weiteren exklusiven Partnermonat vor. Schließlich wird die Bundesregierung prüfen, wie die Förderung haushaltsnaher Dienstleistungen umgesetzt werden kann.

Zwar kann die Politik alleine durch Änderungen der Rahmenbedingungen keine gefestigten Normen per se ändern, denn hierzu sind tiefgreifendere und langfristigere Veränderungen in der Gesellschaft nötig. Über die Beeinflussung von Erwartungshaltungen, sinnvolle finanzielle Anreize, eine umfassende und hochwertige Kinderbetreuung oder auch flexible Homeoffice-Regelungen können jedoch Rahmenbedingungen geschaffen werden, mit welchen ein neuer Normalzustand und schließlich auch die Anpassung von Normen einhergehen. Genau dies hat die Bundesregierung sich letztlich zum Ziel gesetzt.

Ökonomische Gleichstellung von Frauen und Männern im Koalitionsvertrag, Tz. 3828:

„Um Erfolge und Handlungsbedarfe sichtbarer zu machen, erweitern wir die Grundlage der Berichterstattung der jährlichen Informationen der Bundesregierung über die Entwicklung des Frauen- und Männeranteils an Führungsebenen und in Gremien der Privatwirtschaft und des Öffentlichen Dienstes und schärfen bei Bedarf gesetzlich nach.

Wir wollen die Lohnlücke zwischen Frauen und Männern schließen. Deshalb werden wir das Entgelttransparenzgesetz weiterentwickeln und die Durchsetzung stärken, indem wir Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ermöglichen, ihre individuellen Rechte durch Verbände im Wege der Prozessstandschaft geltend machen zu lassen.

Wir wollen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf stärken. Damit die Brückenteilzeit künftig von mehr Beschäftigten in Anspruch genommen werden kann, werden wir die so genannte „Überforderungsklausel“ entsprechend überarbeiten und gleichzeitig für die Unternehmen übersichtlicher gestalten.

Wir wollen die Familienbesteuerung so weiterentwickeln, dass die partnerschaftliche Verantwortung und wirtschaftliche Unabhängigkeit mit Blick auf alle Familienformen gestärkt werden. Im Zuge einer verbesserten digitalen Interaktion zwischen Steuerpflichtigen und Finanzverwaltung werden wir die Kombination aus den Steuerklassen III und V in das Faktorverfahren der Steuerklasse IV überführen, das dann einfach und unbürokratisch anwendbar ist und mehr Fairness schafft.“
Weiterführende Literatur:

Barth, D., J. Jessen und K. Spieß (2020): Mütter in Ost und West: Angleichung bei Erwerbstätigenquoten und Einstellungen, nicht bei Vollzeiterwerbstätigkeit. DIW Wochenbericht Nr. 38/2020.

Bick, A. und N. Fuchs-Schündeln (2017): Quantifying the Disincentive Effects of Joint Taxation on Married Women’s Labor Supply, American Economic Review Papers and Proceedings, 107(5), 100-104.

Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (Hrsg.) (2023): Jahreswirtschaftsbericht 2023. Wohlstand erneuern, abrufbar unter: https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Publikationen/Wirtschaft/jahreswirtschaftsbericht-2023.pdf?__blob=publicationFile&v=3.

Destatis (2023): Neuer Indikator „Gender Gap Arbeitsmarkt“ erweitert den Blickwinkel auf Verdienstungleichheit, https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2023/03/PD23_084_621.html (Zugriff am 3.4.2023).

Fuchs-Schündeln, N. (2023): Warum sind Löhne und Einkommen immer noch vom Geschlecht abhängig? (mimeo, Veröffentlichung folgt unter: https://www.socialpolitik.de/en/warum-sind-loehne-und-einkommen-immer-noch-vom-geschlecht-abhaengig).

Gallego Granados, P., R. Olthaus und K. Wrohlich (2019): Teilzeiterwerbstätigkeit: Überwiegend weiblich und im Durchschnitt schlechter bezahlt. DIW Wochenbericht 46/2019.

Gangl, M. und A. Ziefle (2015): The Making of a Good Woman: Extended Parental Leave Entitlements and Mothers’ Work Commitment in Germany, American Journal of Sociology, 121(2), 511-563.

Glogowski, U., T. Bönke, E. Hansen, H. Lüthen, D. Sachs (202X): Child Penalties, Family Policies, and Gender Norms in Germany, mimeo.

Görlich, D. und A. de Grip (2009): Human capital depreciation during hometime, Oxford Economic Papers, Oxford University Press 61, 98-121.

HDI Berufe-Studie 2022 (2022), abrufbar unter: https://www.hdi.de/ueber-uns/presse/hdiberufestudie-2022/#dokumente.

Keller, M. und I. Kahle (2018): Realisierte Erwerbstätigkeit von Müttern und Vätern zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Wirtschaft und Statistik Nr. 3, 54-71.

Kleven, H., C. Landais, J. Posch, A. Steinhauer and J. Zweimuller (2019): Child Penalties Across Countries: Evidence and Explanations, AEA Papers & Proceedings 109, 122-126.

Schäper, S., A. Schrenker und K. Wrohlich (2023): Gender Pay Gap und Gender Care Gap steigen bis zur Mitte des Lebens stark an, DIW Wochenbericht 9/2023.

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Referat: IC-WA – Wirtschaftspolitische Analyse, Wohlfahrtsindikatorik
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