Bild zum Artikel "Grenzüberschreitende Infrastrukturinvestitionen in Europa: Transformation gemeinsam stärken"

Eine moderne und leistungsfähige Infrastruktur ist eine zentrale Voraussetzung für die erfolgreiche grüne und digitale Transformation Europas. Gerade bei grenzüberschreitender Infrastruktur bestehen jedoch noch Lücken. Diese zu schließen schafft Mehrwert für Grenzregionen und für Europa insgesamt.

So können Investitionen in grenzüberschreitende Infrastrukturen Wachstums- und Beschäftigungspotenziale freisetzen, etwa indem sie die Bereitstellung von Gütern und Dienstleistungen erleichtern, die Standortattraktivität erhöhen oder das Matching auf dem Arbeitsmarkt verbessern. Da Grenzregionen oft wirtschaftlich schwächer entwickelt sind, können hier Investitionen zudem Kohäsion, d. h. ein aufholendes regionales Wachstum, fördern. Eine europäische digitale Infrastruktur, eine Energieinfrastruktur für erneuerbaren Strom und Wasserstoff, ein gut ausgebautes Schienennetz sowie Zusammenarbeit in Forschung und Entwicklung von Technologien und beim Umgang mit Klimarisiken stärken zudem Resilienz und Wettbewerbsfähigkeit der EU insgesamt.

Bedeutung grenzüberschreitender Infrastruktur: Was sagen wissenschaftliche Studien?

1. Die Binnenmarktperspektive: Die Binnenmarktliteratur argumentiert, dass die Vollendung des gemeinsamen Marktes Wohlfahrtseffekte durch verstärkten gemeinsamen Handel und einen besseren Einsatz von Ressourcen schafft. Seit den 1980er Jahren sind zahlreiche Studien entstanden, welche den Nutzen des gemeinsamen Marktes bzw. die Kosten nicht realisierter Integration für klassische Binnenmarktbereiche wie Güter und Dienstleistungen, aber auch neuere Aspekte wie den digitalen Binnenmarkt abschätzen (u. a. Cecchini-Bericht 1988, Fontagné 1998, Mayer et al. 2018, in ’t Veld 2019, EPRS 2019). Praktisch braucht es für einen gemeinsamen Markt neben gemeinsamen Regeln auch grenzüberschreitende Infrastrukturen, um positive Effekte realisieren zu können. Genauere Bedarfsanalysen bietet die Binnenmarktliteratur jedoch in der Regel nicht.

2. Die Regionalwissenschaftliche Perspektive: Regionalwissenschaftliche Analysen fokussieren auf Faktoren, welche die regionale wirtschaftliche Entwicklung beeinflussen. Für Wachstumspotenziale und die wirtschaftliche Resilienz von Regionen sind die Anbindung an Transportnetze und digitale Infrastruktur wichtige Faktoren (Revoltella et al. 2016, Massacesi, Rückert und Weiss 2022). Grenzregionen werden in regionalwissenschaftlichen Analysen als Gruppe mit besonderen Herausforderungen identifiziert – auch aufgrund bestehender Infrastrukturdefizite (7. Kohäsionsbericht). Studien gehen von deutlichen Wachstumsimpulsen für Grenzregionen durch den Abbau von Barrieren aus (Camagni et al. 2017, 7. Kohäsionsbericht).

3. Die Infrastrukturperspektive: Infrastrukturanalysen untersuchen Lücken in bestehenden Netzen (z. B. European Railway Agency und Caesar et al. 2022 für Schienenverkehr) und identifizieren Investitionsbedarfe in bestimmten Bereichen oder für Länder bzw. Ländergruppen (z. B. IWF 2020).

Grenzüberschreitende Investitionen: Wichtige Anwendungsbereiche für die Transformation

Gerade mit Blick auf die grüne und digitale Transformation sind grenzüberschreitende Infrastrukturen von großer Bedeutung. Hierfür sind vor allem die folgenden vier Bereiche zentral:

Energieinfrastruktur: Grenzüberschreitende Verbindungen der Stromnetze stärken Versorgungssicherheit und erleichtern die Nutzung erneuerbarer Energien, weil Schwankungen in der Energieproduktion besser ausgeglichen werden können. Daher hat die EU ihre Interkonnektorenziele erhöht: Bis 2030 soll jedes Land ein Stromnetz haben, das mindestens 15 % der erzeugten Kapazität in Nachbarländer transportieren kann. 2021 waren jedoch nur knapp 60 % der Mitgliedsstaaten im Plan oder hatten das Ziel erreicht. Grenzüberschreitende Projekte im Bereich erneuerbarer Energien wiederum werden oft durch unterschiedliche Regulierungen, Priorisierung im Energiemix, Planungs- und Genehmigungsprozesse erschwert.

Mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine sind die Herausforderungen für Europas Energieversorgung weiter gewachsen. Bessere Verbindungen unterstützen nicht nur den schnelleren Einsatz erneuerbarer Energieträger, sondern können zudem steigenden Preisen und Lieferengpässen entgegenwirken. Dabei ist die gemeinsame Weiterentwicklung der Energieinfrastruktur, auch für die verstärkte Nutzung von Wasserstoff, Voraussetzung für die Schaffung eines Energiebinnenmarktes, die Dekarbonisierung der Industrie und das Erreichen der EU-Klimaziele.

Schätzungen gehen davon aus, dass allein für den Ausbau notwendiger Elektrolysekapazitäten für die Erzeugung von Wasserstoff bis 2030 ein Investitionsbedarf in Höhe von 24 bis 42 Milliarden Euro besteht. Die kumulierten Investitionen in erneuerbaren Wasserstoff könnten sich in Europa bis 2050 laut EU Kommission auf bis zu 180-470 Milliarden Euro belaufen. Eine angemessene Infrastruktur ist Voraussetzung für den EU-weiten Wasserstoffausbau, der spezifische Bedarf von Entwicklungsmustern bei Erzeugung und Nutzung abhängig. (Gilles/Brzezicka 2022).

Klimaschutz- und Klimaanpassung: Umfragen zeigen hohe kommunale Investitionsbedarfe bei Klimaschutz- und Klimaanpassungsmaßnahmen europaweit (EIB Investitionsbericht 2022/23). Klimarisiken, wie etwa Überschwemmungen, halten sich nicht an Grenzen. Um Infrastrukturen bes ser an Klimarisiken anzupassen, kritische Bereiche zu schützen und Risiken zu reduzieren, braucht es daher auch mehr grenzüberschreitende Zusammenarbeit und Investitionen. Dies betrifft etwa ein gemeinsames Management von natürlichen Ressourcen, z. B. Wasser- und Hochwasserschutz, sowie Zusammenarbeit bei Risikomonitoring, Forschung und Technologieentwicklung.

Digitaler Wandel: Grenzregionen haben mitunter geographische, ökonomische und demographische Merkmale, die Herausforderungen für die Digitalisierung darstellen, wie etwa eine geringere Bevölkerungsdichte. Innerhalb der EU bestehen zudem weiter große Unterschiede bei der Verfügbarkeit leistungsfähiger digitaler Netze sowie der Nutzung digitaler Technologien durch Verbraucherinnen und Verbraucher und durch Unternehmen. Diese Digitalisierungslücken und Nutzungsunterschiede schränken den Zugang zu Gütern und Dienstleistungen sowie die Entwicklung des digitalen Binnenmarktes selbst ein. Zudem braucht es gerade bei der Digitalisierung verstärkte europäische Zusammenarbeit und Investitionen, etwa in Cybersicherheit, Hochleistungsrechner, Künstliche Intelligenz oder Cleantech, um die künftige Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit gemeinsam zu sichern. Im Vergleich mit anderen großen digitalen Märkten wie den USA oder China sind die Grenzen innerhalb Europas im digitalen Raum nach wie vor präsenter und die Nutzung von Skaleneffekten daher oft schwieriger.

Nachhaltiger Transport: Grenzregionen haben häufig ein Peripherieproblem, das heißt sie sind schlechter an inländische und grenzüberschreitende Verkehrsnetze angebunden. Verkehrsinfrastruktur hat sich in vielen Ländern zentralisiert entwickelt und Netzplanung erfolgte meist aus nationaler Perspektive. Eine schlechte Anbindung hemmt jedoch die wirtschaftliche Entwicklung, führt in betroffenen Regionen nicht selten zu Abwanderung und macht Investitionen weniger attraktiv.

Analysen der Europäischen Kommission zeigen, dass vor allem in ländlich geprägten Grenzregionen die Straßennetze oft schlechter ausgebaut sind. In dichter besiedelten Grenzregionen hapert es dagegen bei den Schienennetzen. Zudem sind die Lücken hier bei Schienen deutlicher ausgeprägt als bei Straßen. Bisher wurden bei der gemeinsamen europäischen Planung vor allem prioritäre Verkehrskorridore und Hochgeschwindigkeitsverbindungen besonders berücksichtigt. „Missing links“, das heißt fehlende kleinräumige Verbindungen, bestehen jedoch auch im unmittelbaren Grenzverkehr fort. Ein schlecht ausgebauter grenzüberschreitender Schienenverkehr fördert jedoch, dass wenig nachhaltige Mobilitätsmuster weiter bestehen. Auch die Ladeinfrastruktur für E-Fahrzeuge ist innerhalb Europas noch von sehr unterschiedlicher Qualität; ein dichtes und verlässliches Netz ist aber für viele Nutzerinnen und Nutzer entscheidend für den Umstieg auf Elektromobilität.

Warum grenzüberschreitende Projekte oft herausfordernd sind

Grenzüberschreitende Projekte sind nicht immer einfach umzusetzen. Projekte sind oft komplexer, ihre Planung und Umsetzung schwieriger zu koordinieren. Gründe hierfür sind Unterschiede bei Regulierungen, personellen und finanziellen Kapazitäten sowie bei Prozessen. Auch müssen bei der Planung oft unterschiedliche Ebenen (national, regional oder kommunal) in mehreren Ländern beteiligt werden. Praktisch bedeuten Unterschiede und Komplexität höhere Risiken (s. Tabelle).

Viele Förderprogramme haben einen national begrenzten Anwendungsbereich, was die Finanzierung von grenzüberschreitenden Vorhaben erschwert. Auch ist es häufig schwierig, die Nachfrage und Nutzung für grenzüberschreitende Infrastruktur zu prognostizieren. Dies betrifft etwa Infrastrukturen zur Schaffung neuer Märkte, aber auch Transportinfrastrukturen. Eine gegenwärtige geringe Nutzung bestehender Verbindungen ist häufig durch fehlende oder schlecht ausgebaute Infrastruktur bedingt, etwa mit Blick auf die Dichte und Anschlussmöglichkeiten. Gleichzeitig macht es die nur schwer beobachtbare Nachfrage schwieriger, Finanzierung für Projekte zu generieren.

Höhere Komplexität, politische, regulatorische und makroökonomische Risiken erschweren wiederum die Beteiligung privater Investoren. Zwar bestehen bei Infrastrukturprojekten je nach Ländern und Sektoren große Unterschiede, im Schnitt weisen grenzüberschreitende Infrastrukturprojekte jedoch eine geringere Beteiligung privater Investoren auf. Die Beteiligung und Koordination durch supranationale Akteure ist häufig einer der Erfolgsfaktoren für grenzüberschreitende Vorhaben (IWF 2020).

RISIKEN BEI INFRASTRUKTURPROJEKTEN Bild vergrößern

Wie grenzüberschreitende Investitionen gestärkt werden können

Für mehr grenzüberschreitende Investitionen braucht es den konsequenten Abbau regulatorischer Hemmnisse, verstärkte Koordination sowie Anreize und Kapazitäten, um konkrete Projekte voranzubringen.

Gemeinsame Planungen für transeuropäische Netze, wie sie etwa für Transport (TEN-T) und Energie (TEN-E) bestehen, bilden hierbei eine Grundlage, definieren Prioritäten und reduzieren Unsicherheit. Zudem gibt es in der EU verstärkt Ansätze für wichtige grenzüberschreitende Vorhaben, etwa im Energiebereich, die Planungs- und Genehmigungsprozesse zu beschleunigen, Fördermöglichkeiten zu verbessern (Connecting Europe Facility) und ihre Sichtbarkeit für Investoren zu erhöhen, wie etwa durch öffentliche Listen mit Infrastrukturprojekten von gemeinsamem Interesse (PCI). Vergleichbare Ansätze könnten auch beispielsweise für digitale Interkonnektoren ausgebaut werden, um grenzüberschreitende transformative Investitionen besser zu unterstützen.

Für wichtige transnationale Vorhaben mit gemeinsamem europäischen Interesse (Important Projects of common European Interest, IPCEI) bestehen besondere Unterstützungsmöglichkeiten. Dieses Modell sollte mit Blick auf Praktikabilität, etwa die Dauer der Verfahren und die möglichst effektive Unterstützung von Transformationsprozessen in der EU, weiterentwickelt werden.

Auch neue Regulierung, wie die REPower-Verordnung, setzt verstärkt Anreize, Vorhaben mit grenzüberschreitenden Bezügen zu realisieren. So sollen europäische Mittel, die über die Aufbau- und Resilienzpläne an die Mitgliedsstaaten für Vorhaben im Energiebereich ausgereicht werden, zu mehr als 30 Prozent auf Projekte mit grenzüberschreitenden Bezügen entfallen. Dies könnte auch für andere EU-Programme Vorbildfunktion haben.

Fortschritte bei der Beschleunigung von Genehmigungsverfahren, etwa zuletzt bei erneuerbaren Energien (RatsVO), können auch die Realisierung grenzüberschreitender Projekte erleichtern. Allerdings braucht es hierzu auch die parallele Stärkung von Planungs- und Umsetzungskapazitäten auf nationaler und regionaler Ebene sowie Kapazitäten und Verfahren für grenzüberschreitende Kooperationen. Dies ist insbesondere Voraussetzung, um auch mehr kleine bis mittelgroße Vorhaben zu realisieren.

Um Kapazitäten für Planung, Strukturierung und Durchführung grenzüberschreitender Projekte in Europa zu stärken, könnte ein Kompetenzzentrum bei der Europäischen Kommission und der Europäischen Investitionsbank das Wissen zu Finanzierung, Strukturierung und weiterer Durchführung grenzüberschreitender Projekte bündeln und gezielte Informations- und Beratungsangebote bieten. Dies könnte zudem den Austausch zu grenzüberschreitenden Projekten erleichtern und den Aufbau von Best Practices europaweit unterstützen.

Zur Finanzierung grenzüberschreitender Projekte gilt es zudem, bestehende Fördermittel bzw. -möglichkeiten möglichst effektiv für transformative Prioritäten einzusetzen. Hierzu zählen neben Zuschüssen auch Instrumente wie das EU-Programm InvestEU, mit dem öffentliche und private Investitionen etwa in Innovation und Nachhaltigkeit mobilisiert werden. Um grenzüberschreitende Projekte auch für private Investoren attraktiver zu machen, können Finanzinstrumente, beispielsweise Garantien, die spezielle Risiken dieser Projekte abfedern, Unsicherheiten reduzieren und mehr Projekten zur Umsetzung verhelfen. Schließlich dürfte auch eine bessere Integration der europäischen Kapitalmärkte längerfristig dazu beitragen, dass mehr grenzüberschreitende Infrastrukturprojekte realisiert werden.

KONTAKT & MEHR ZUM THEMA

Dr. Patricia Wruuck
Referat: Aspekte der EU-Wirtschafts- und Finanzpolitik, Europäische Investitionsbank, Mehrjähriger Finanzrahmen, Bund-Länder

schlaglichter@bmwk.bund.de

Literatur:
7. Kohäsionsbericht der Europäischen Kommission (2018)
8. Kohäsionsbericht der Europäischen Kommission (2022)
IWF: Infrastructure in Central, Eastern, and Southeastern Europe: Benchmarking, Macroeconomic Impact, and Policy Issues (2020)